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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

5. 4. 2016 - 11:25

Im Keller

Mit "10 Cloverfield Lane" widmet sich nun auch Hollywoods Genrekino einem typisch österreichischen Thema: dem Gefangenhalten und den Schattenseiten der Normalität.

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Der Schrecken ist in die Popkultur eingedrungen. Konkret gesagt: Der Horror, der von österreichischen Kellern ausgeht, hat Filme und sogar Musikvideos infiziert. Im äußerst cinematischen Clip "It's Love" von Konstantin Groppers Band Get Well Soon hat Udo Kier ein dunkles Geheimnis. Man sieht die Schauspiellegende in einem sauberen Wohnhaus in der Küche hantieren, am Ende wird das Essen für ein Kidnapping-Opfer im Keller zubereitet.

Die Stimmung dieses ziemlich herausragenden Musikvideos passt beinahe zur Atmosphäre, die man mit heimischen Feel-Bad-Movies verknüpft. Bekanntlich hat auch das österreichische Kino die entsetzlichen Fälle der Entführer Wolfgang Přiklopil und Josef Fritzl aufgegriffen. Auf seine typische Weise zeigt Ulrich Seidl in seiner Spieldoku "Im Keller" diverse Abgründe, die unter der Oberfläche beschaulicher Wohnidyllen ruhen.

Konkreter bezieht sich Regisseur Markus Schleinzer auf die realen Fälle. Sein leises Drama "Michael" schildert das unfreiwillige Zusammenleben eines zehnjährigen Buben mit einem 35-jährigen Versicherungskaufmann. Der Film schafft, ganz in der Tradition von Michael Haneke, Beklemmung durch Zurückhaltung, das eigentlich unverfilmbare Grauen materialisiert sich in der Fantasie des Zusehers.

Im Keller

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Im Keller

Beängstigend universelles Thema

Ich erinnere mich an ein Interview mit Denis Villeneuve über Keller im amerikanischen Mittelwesten, die Verließe ähneln und sich natürlich auch irgendwo in Niederösterreich befinden könnten. "Es ist leider eine beängstigend universelle Story", sagt der Ausnahmeregisseur damals anlässlich seines Films "Prisoners" zu mir. Auch darin verschwinden Kinder spurlos am hellichten Tag und das Unvorstellbare lauert hinter bürgerlichen Fassaden. Statt in der österreichischen Provinz spielt der Film, der es mit großartigen Schauspielern schafft, die Grenzen zwischen Thrillerkino und Sozialdrama zu überschreiten, aber in einer verschneiten Kleinstadt in Pennsylvania.

Einen ganz anderen Zugang wählt Lenny Abrahamson in seinem gefeierten Film "Room". Eine junge Frau wird mit ihrem kleinen Sohn in einem neun Quadratmeter großen Raum gefangen gehalten, der psychopathische Entführer ist auch der Vater des Buben. Abrahamson möchte in seinem außergewöhnlichen Werk Mut zur Flucht aus dem Horror machen. Den grausigen Inhalt inszeniert er aus der Sicht des Kindes, das sich aus der erstickenden Kellerwelt träumt. "Room" wirkt dadurch aber einfach oft zu märchenhaft, unbefangen, beinahe gut gelaunt, trotz einiger beklemmender Momente.

Mit "10 Cloverfield Lane" ist das Kellerthema nun endgültig im Genrekino angekommen. Man könnte auch sagen "im Mainstream", denn kein geringerer als JJ Abrams zieht die Produktionsfäden. Allerdings beweist der kleine Film, der mit einer gewissen Verwandtschaft mit dem Found-Footage/SciFi/Horror-Spektakel "Cloverfield" kokettiert, wieder einmal, was man im sogenanntem Unterhaltungskino an Subtext und Tiefe herausholen kann.

10 Cloverfield Lane

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10 Cloverfield Lane

Isoliert im Redneck-Bunker

Tiefe darf man im Fall von "10 Cloverfield Lane" wortwörtlich verstehen. Eben noch ist die junge Michelle (Mary Elizabeth Winstead) mit dem Auto durch die amerikanische Provinz gerast, von einem Beziehungsdrama aufgewühlt. Nach einem Unfall erwacht sie aber benommen in einem leeren Raum, mit ihrem verletzten Bein festgekettet. Ein schwergewichtiger Mann namens Howard (John Goodman) behauptet, ihr Retter zu sein. Da draußen, sagt der ältere Redneck, sei die Hölle los, irgendein kriegerischer Angriff habe die Luft verseucht, Michelle muss bei ihm in seinem unterirdischen Bunker bleiben.

Bald stellt sich heraus, dass die verstörte Großstädterin und der militante Howard nicht allein sind. Ein junger Nachbar namens Emmett (John Gallagher Jr.) befindet sich ebenfalls in dem muffigen Kellerraum. Auch wenn sich die drei gegensätzlichen Charaktere nicht über den Weg trauen, nach außen wirkt das Zusammenleben im Zeichen der Bedrohung bald wie eine morbide Parodie auf eine Familie.

Viel mehr sollte man inhaltlich nicht verraten. Nicht umsonst hat sich Mystery-Guru Abrams fast schon unheimlich bemüht, dieses Projekt bis zum Schluss geheim zu halten. Dabei ist der Zusammenhang mit dem Originalfilm eigentlich relativ nebensächlich. Denn "10 Cloverfield Lane" hinterlässt ganz grundsätzlich einen weitaus stärkeren Eindruck als das damals mittels Viral-Marketing zum Hype hochgejazzte Riesenmonster-Epos.

10 Cloverfield Lane

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10 Cloverfield Lane

Klaustrophobisches Kammerspiel

Der Kontrast könnte auch nicht größer sein. Während das enge formale Korsett irgendwann den Found-Footage-Schocker "Cloverfield" sabotiert, verzichtet Debütregisseur Dan Trachtenberg im filmischen Ableger nun glücklicherweise auf die Wackelkamera. Stattdessen lotet er den Kellerraum auf eine Weise aus, die an klassisches Spannungskino im Hitchcock'schen Sinn ebenso erinnert wie an ein rohes Indie-Drama.

Auch im Fall der Charaktere trennen die beiden Filme Welten. Während die Figuren, die im Originalfilm durch die Trümmer New Yorks hetzten, gänzlich uninteressant, sogar nervig wirkten, fiebert man in "10 Cloverfield Lane" dank der fantastischen Schauspieler in jeder Minute mit. Der epochale John Goodman fügt seinem Repertoire an gespenstischen Männern mit dem paranoiden Howard einen weiteren Gänsehaut-Typen hinzu. Mary Elizabeth Winstead wiederum begeistert als junge Frau, die sich keine Sekunde mit ihrem Opferstatus abfindet und prädestiniert sich für die nahe Zukunft als Actionheldin der ganz anderen Art.

10 Cloverfield Lane

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Genauso wie dieses klaustrophobische Kammerspiel muss perfektes modernes Genrekino sein, denke ich mir mittendrin. Mitreißend, klug, überraschungsreich. Und abseits aller eskapistischen Twists in der Realität geerdet. Und zwar so sehr, dass all die verstörenden Themen - der köchelnde männliche Irrsinn und die dazugehörigen Bedrohungssituationen, die verstörende Schattenseite der Normalität, den Punkt, wo das Spießige zum Soziapathischen mutiert - niemals banalisiert werden.