Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vier Wände, eine Mutter und ihr Sohn"

Anna Katharina Laggner

Film, Literatur und Theater zum Beispiel. Und sonst gehört auch noch einiges zum Leben.

18. 3. 2016 - 16:02

Vier Wände, eine Mutter und ihr Sohn

Lenny Abrahamsons "ROOM" handelt vom Aufwachsen in und dem Ausbruch aus der Gefangenschaft.

Die Vorstellung, zu leben, aber die Welt nicht zu kennen, ist praktisch unmöglich. In diesem Unmöglichkeitsraum spielt - der Titel ist Programm - "ROOM". Jack ist fünf Jahre alt und lebt mit seiner Mutter in einer Gartenhütte, die er noch nie von außen gesehen hat. Die Mutter, genannt Ma und gespielt von Brie Larson, die für diese Rolle den Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewann, wurde als Jugendliche gekidnappt, eingesperrt und von ihrem Peiniger ("Old Nick") vergewaltigt. Sie wurde schwanger, hat in der Gefangenschaft ein Kind geboren. "ROOM" ist die ganze Welt von Jack.

Filmstart:

ROOM ist seit 17. März in den österreichischen Kinos zu sehen.

Die Menschen, die man im Fernseher sieht, können allein schon deswegen nicht real sein, da sie flach sind. "I can´t see the outside side", sagt Jack seiner Mutter, als sie rund um seinen fünften Geburtstag aufhört, ihm die wenigen zur Verfügung stehenden Quadratmeter als alles Existierende zu präsentieren und ihn zu ihrem Komplizen für einen Ausbruch erzieht. Auch, da ihr die Kontrolle über das Verhältnis zwischen Old Nick und ihrem Sohn zu entgleiten droht.

Room Filmstill

Universal Pictures

Regisseur Lenny Abrahamson sieht dieses Aufwachsen unter extremen und extrem seltenen Bedingungen als Metapher für eine Erfahrung, die jede und jeder von uns kennt: "Es gibt diese in sich geschlossene Blase der Kindheit, in der alles geordnet ist, wo es diverse Mythen über die Welt gibt und in der es immer jemanden gibt, der einen vor allen Gefahren bewahrt. Das gilt für alle Kinder, die liebende Eltern haben."

Ein Kind, vor allem ein Kind wie Jacob Tremblay, das Jack spielt (und dafür mindestens auch einen Oscar verdient hätte), ist magisch in seiner Fähigkeit, alles Interesse, alle Emotion, alle Aufmerksamkeit des Publikums an sich zu binden. Man kann sich als ZuschauerIn von so einem Film aber auch billig abgespeist fühlen. Dieses Dilemma, das jeder Film, in dessen Zentrum ein Kind steht, hat, war Lenny Abrahamson bewusst. Er hat es gelöst, indem er nicht allzu viel gegrübelt hat. Und indem er Brie Larson und Jacob Tremblay im engen Raum größtmögliche Freiheit gelassen hat. Drei Wochen lang haben die beiden vor Drehbeginn miteinander am Set verbracht, Lego gespielt, mit Klopapierrollen und anderem Müll gebastelt (diese Bastelarbeiten sieht man in "ROOM"), Geschichten erzählt, kurz: einander kennen gelernt.

"Für die Rolle der Mutter", sagt Lenny Abrahamson, "war es wichtig, eine Schauspielerin zu finden, die sich in ihrer Haut wohl fühlt, die warmherzig, lustig und verspielt ist und sich selbst nicht allzu ernst nimmt. Es hätte keine Schauspielerin sein können, die mit method acting arbeitet und einen ganzen Drehtag lang in ihrer Rolle bleibt, sich in den Drehpausen zur Konzentration zurückzieht. Sonst hätte das Kind Angst vor ihr gehabt."

Wer kann lauter schreien?

Das gute Verhältnis zwischen Brie Larson und Jacob Tremblay hat aber auch zu Problemen beim Dreh geführt. So hat sich Jacob geweigert, seine Filmmutter in einer Szene anzuschreien. Lenny Abrahamson: "Man weiß nie genau, was so einem Kind Sorgen bereitet und meistens ist es etwas, das nicht unmittelbar ansteht, sondern später kommt. Als wir zu der Szene gekommen sind, in der Jack seine Mutter wegen der fehlenden Kerzen auf seiner Geburtstagstorte anschreien muss, wurde es schwierig. Er hat es nicht gemacht. Irgendwann hat er mir ins Ohr geflüstert, ich will sie nicht anschreien, Anschreien ist gemein und ich mag sie sehr gern. Wir haben dann mit der ganzen Crew einen Schrei-Wettbewerb veranstaltet. Es war ein Spiel. Man muss den Dingen ihre Intensität nehmen und den Raum größer machen".

Room Filmstill

Universal Pictures

Der zweite Teil von "ROOM", so viel darf man verraten, spielt draußen in der Welt. In dieser Welt funktioniert es nicht mehr, den Film aus der Perspektive des Kindes zu erzählen. Hier hat Drehbuchautorin Emma Donoghue die größten Veränderungen gegenüber ihrem Roman, auf dem der Film basiert, vorgenommen.
Dennoch tut sich der zweite Teil schwer, gegen den ersten anzukommen. Lenny Abrahamson ist ein Regisseur, der gerade durch Restriktionen weit und tief in das menschliche Seelenleben vordringen kann. Mit "Frank" ist es ihm gelungen, einen zwischen Überheblichkeit und tiefer Trauer wankenden, sich selbst verfolgenden Musiker zu zeichnen, obwohl der Hauptdarsteller fast den ganzen Film hindurch einen Pappmasché-Kopf trägt (angeblich ist Michael Fassbender darunter). Insofern ist es amüsant, dass er über die beengten Verhältnisse im ersten Teil von "ROOM" sagt, es sei nicht einengend, denn ein Gesicht sei ja eine äußerst faszinierende Sache. "Wenn das, was passiert, fesselnd ist, muss man sich über eine enge Location keine Sorgen machen. Oft haben Regisseure Angst vor kleinen Räumen und versuchen sie durch Weitwinkelaufnahmen oder starker Kamerabewegung irgendwie sexy zu machen. Aber man sollte sich die Frage stellen, was passiert, warum etwas an diesem Ort passiert und weshalb ich persönlich ein Interesse daran habe. In "ROOM" entfalten sich derart viele faszinierende Dinge, daher habe ich den tatsächlichen (engen) Raum als Teil dieser Geschichte wahrgenommen."

So abgebrüht kann man gar nicht sein, dass einen "ROOM" kalt lässt. Das ist das eine, das Unmittelbare dieses Films. Was er einem unter der Hand mitgibt, ist die menschliche Erkenntnis, regelmäßig zu versagen, obwohl man das Allerbeste will (nicht nur, aber auch als Eltern).