Erstellt am: 29. 8. 2014 - 18:01 Uhr
Weltpremiere in Venedig
Bei den Filmfestspielen von Venedig hat Ulrich Seidls neuer Film "Im Keller" Premiere gefeiert.
Seidls Kunst ist mittlerweile State-of-the-Art für aufgeklärtes Publikum. Das Argument, Seidl stelle seine Darsteller erniedrigend aus, ist alt und abgehangen. Seidl ist Everybody's Darling im Festivalzirkus. Nach seiner "Paradies"-Trilogie ein Wiederkehrer, dessen Position sich hier aufs Neue als einzigartig im Autorenkino beweist. Die Doku "Im Keller" provoziert weniger blankes Entsetzen über die schiefen Weltanschauungen und stoischen Beziehungen seiner Figuren: Hier sprengt nichts die Vorstellung, was die Leute so unter der Erde treiben. Mit bestechendem Minimalismus verleibt Seidl dem scheinbar Absonderlichen die erschreckende Monotonie der Normalität ein.
Josef Ochs ist einer der Protagonisten. Er lebt von seiner Frau getrennt im eigenen Haus. Man sieht Mittsechziger beim Abstauben eines riesigen Hitlerbilds. Da lacht das Premieren-Publikum laut auf. Über nichts in seinem Leben hätte er sich bisher so gefreut wie über diesen Führer-Gemäldeschinken, sagt Ochs. Damals hätte er am liebsten gleich die eigene Hochzeit verlassen, um seine liebste NS-Memorabilia in seinem gemütlichen unterirdischen Refugium aufzuhängen, dort wo sich Hakenkreuz-Armbinden und Reichsadler-Skulpturen massig gute Nacht sagen.
Die meisten fröhlichen Grunzer im Kinosaal kassierten die spät auftauchenden aber umso ausführlicher gezeigten expliziten Praktiken und ehrlichen Bekenntnisse von drei SM-Pärchen: Der kleine Mann mit der Hähnchenbrust und seinem heftigen Samenstrahl, den, wie er erzählt, die Prostituierten gerne kostenlos in Anspruch nehmen würden, weil dieser so spürbar gegen die Scheidenwand pralle. Die bekennende Masochistin, die für die Caritas geschlagenen Frauen betreut oder der dicke nackte Sub, der von seiner dominanten Lebensgefährtin im Keller an den Hoden aufhängt wird, wenn er nicht mit der Zunge Klo und Badewanne putzen muss.
Stadtkino Filmverleih
Sich über die Authentizität eines Seidls-Films zu unterhalten ist ein Festivalfixstarter. Nach Ende des Screenings ist man qua seiner Staatsbürgerschaft auch Insider und Auskunftsbüro für die internationalen Kollegen. Wie groß ist die Grauzone zwischen Fiktion und Realität nun wirklich, die Ulrich Seidl mit seinen ungeschönt offenen Biografien in seinen originären Kinoentwurf erzählt? Und wie erfrischend ist wieder das Mysterium, wie Seidl das Vertrauen seiner Protagonisten gewinnt? Eine ukrainische Journalistin war wenig erschrocken über die intimen Film-Beichten, ganz klar seien alle Schauspieler. Für den deutschen Kollegen lassen sich die dunklen Obsessionen eindeutiger Laien gar nicht mit der versteckten Lage der Keller-Räumlichkeiten kurzschließen. Auch das Kinderzimmer seiner Tochter läge im Souterrain.
"Im Keller"
Der Film startet am 26.9. in den österreichischen Kinos.