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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

10. 10. 2013 - 16:07

Unten im Keller

Atmosphärisches Spannungskino und schockierendes Sozialdrama zugleich: „Prisoners“ ist einer der Höhepunkte des Kinojahres.

Hier ist er, sehr verehrte Damen und Herren, ein Thriller wie man ihn in dieser atemberaubenden Qualität nur selten sieht. Und er kam doch etwas unerwartet daher. Sicher, der erste Trailer zu „Prisoners“ hat schon solides Spannungskino versprochen und wohl auch eine grimmige Sozialstudie angedeutet.

Dass das Hollywood-Debüt des kanadischen Filmemachers Denis Villeneuve dann ein Film werden würde, der es mit fiebrigen Meisterstücken wie „Se7en“ oder „Zodiac“ von David Fincher aufnimmt, habe ich für meinen Teil zumindest nicht erwartet.

Villeneuve ist jemand, der bislang wohl eher nur einem cineastischen Minderheitenpublikum bekannt gewesen sein dürfte. Mit seinem erschütternden Nahost-Drama „Incendies“ (Die Frau, die singt, 2010) konnte er zwar auf diversen Festivals punkten. Mit „Prisoners“ stürmte Villeneuve nun tatsächlich die amerikanischen Kinocharts. Dabei wirkt der Entführungsschocker wie hochgradig kontroverses Material für den Mainstream.

Prisoners

Tobis

Wahrheit um jeden Preis

Kinder verschwinden am helllichten Tag und werden in dunklen Kellern versteckt. Das Szenario dieses Films würde auf traurige Weise in die österreichische Provinz passen. „Prisoners“ spielt aber in einer verschneiten Kleinstadt in Pennsylvania, wo die ländliche Tristesse regiert, Waffen in Bunkern gehortet werden, an der Oberfläche aber noch immer der amerikanische Spirit von Nachbarschaftshilfe und christlicher Nächstenliebe vorgegaukelt wird.

Ausgerechnet am Thanksgiving Day werden die jüngsten Sprösslinge zweier befreundeter Familien entführt. Während einer der beiden Väter (Terrence Howard) mit apathischer Trauer reagiert, zuckt der andere Mann aus. Keller Dover, dem Hugh Jackman in seiner bisher besten Rolle eine grimmige Getriebenheit verleiht, kann es nicht glauben, dass der Hauptverdächtige wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

Dabei gibt es aber keinerlei Beweise, dass der infantile junge Alex (Paul Dano) tatsächlich hinter dem Kidnapping steht. Der vor Wut schäumende Keller Dover nimmt das Gesetz in die eigene Hand. Während seine kleine Tochter in einem mysteriösen Verließ dahindämmert, greift er zu drastischen Methoden, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Prisoners

Tobis

Provinzielle Leere & politische Metaphern

Sie sind offensichtlich alle Gefangene, die Figuren in diesem desolaten, dunklen und verdammt mitreißenden Film. Auch der überforderte Detective Loki, brilliant von Jake Gyllenhaal gespielt, wirkt wie eingekerkert von der provinziellen Leere, von der Landschaft, seiner eigenen Verbitterung. Und die Ehefrauen, denen Mario Bello und Viola Davis ein entnervtes Antlitz verleihen, erweisen sich nicht wie in glatten Hollywoodproduktionen als moralische Instanz, sondern beschreiten für ihre Töchter auch sinistre Pfade, auf denen sich der amerikanische Staat in seiner Gesamtheit längst verirrt hat.

Ja, „Prisoners“, über dessen Inhalt man jetzt wirklich keine Zeile mehr verraten sollte, ist überreich an politischen Metaphern, die sich auch auf das Land der Fritzls und Priklopils übertragen lassen. Keine dieser Anspielungen kommt aber mit dem Holzhammer daher, Denis Villeneuve arbeitet subtiler, dringt aber umso subkutaner in die Zuschauerpsyche ein.

Kein Wunder, dass die genannten Stars in diesem Film, der den Suspense eines erstklassigen Thrillers mit erschütternden Charakterstudien verbindet, um einen Bruchteil ihrer Gage mitspielten. Und so die Umsetzung des ambitionierten Drehbuchs, das schon seit Jahren auf Produzentenschreibtischen herumliegt, überhaupt erst ermöglichten. Der wirkliche Star ist aber die hypnotische Kamera von Roger Deakins, die den Zuschauer langsam in Abgründe zieht. Tiefer und tiefer. Da unten, in verschiedenen Kellern passiert etwas. Und es könnte auch im Keller des Nachbarn gegenüber passieren.

Prisoners

Tobis

Zum Nachhören: Denis Villeneuve im Gespräch mit meiner Wenigkeit. Von der Subversion mitten im Mainstream, der Bedeutung ambitionierter Stars, der Symbolik von Kellern und Verließen, der Folter als politisches Mittel und warum Kino immer zuerst eine Kunstform bleiben muss.

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