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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

16. 1. 2016 - 13:08

"Krieg Singen"

Musik zwischen Frieden und Folter. Eine Veranstaltungsreihe im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Mit Laibach, Hitler und dem "Hate Radio".

Aus dem Leben der Lo-Fi Boheme

Geschichten aus der deutschen Hauptstadt von Christiane Rösinger

Am Donnerstag eröffnete das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) die Veranstaltungsreihe "Krieg Singen". Nach den Schwerpunkten "Böse Musik" und "Krieg Erzählen" aus den vergangenen beiden Jahren führt das HKW die inhaltliche Auseinandersetzung mit Musik zwischen Friedens- und Folterinstrument fort.

Die enge Beziehung zwischen Musik und Krieg wird ja seit einiger Zeit erforscht: Substanzielle Bestandteile der Aufnahme-, Wiedergabe- und Übertragungstechnologie wurden für militärische Zwecke entwickelt. Viele Armeen haben Musikabteilungen. Aktuelle Videos, wie etwa die mit moderner Popmusik hinterlegten Propagandafilme der russischen Armee, der Navy Seals oder des IS zeigen: Zur Darstellung von Gewalt und kriegerischer Handlungen gehört einfach fetzige Musik.



Während der Thementage "Krieg Singen" sollen diese komplexen Beziehungen untersucht und weitere Fragen aufgeworfen werden: Wie wird Musik zu Propagandazwecken eingesetzt, wie schürt sie Kriegsbegeisterung? Lassen sich Kriegserfahrungen musikalisch darstellen? Steckt das Kriegerische in der DNA zeitgenössischer Musik?

Im Foyer des Hauses dreht sich die Installation "Hate Radio" um die Hasskampagnen, die Mitte der Neunziger Jahren den Völkermord an der ruandischen Minderheit der Tutsi über den Rundfunk befeuerte. Ein Stockwerk höher hat man Hörstationen unter der Überschrift "Pop und Propaganda" eingerichtet. Hier kann der Besucher über Kopfhörer alles nachhören: Rap- und Reggaesongs, die das Grauen des Bürgerkriegs in Sierra Leone verarbeiten; Heldenmärsche, gesungen von japanischen Kinderchören; Calypsos, die in den 1940er Jahren die karibische Perspektive auf die Geschehnisse in Europa zum Ausdruck brachten; die "singende Waffe der Sowjetunion" - der 1928 gegründete Soldatenchor der russischen Armee; US-amerikanische Popsongs der 1930er und 40er Jahre zum Thema "Hitler & Hell".

Einstürzende Neubauten

Ein Alexander-Hacke-Spezial in der FM4 Homebase zu seinen Memoiren "Krach. Verzerrte Erinnerungen" mit Musik von Malaria!, den Jever Mountain Boys, Suicide u.a.

Zur Eröffnung wurde am Donnerstag das Hörspiel "Deutsche Krieger I Kaiser Wilhelm Overdrive, II Adolf Hitler Enterprise" erstmals live aufgeführt. Andreas Ammer und FM Einheit, einst bei den Einstürzenden Neubauten, haben Radioaufnahmen von Kaiser Wilhelm II und Adolf Hitler mit zeitgenössischen Tonaufnahmen verbunden und die Tonträgeroper "Deutsche Krieger" daraus entwickelt. Am Donnerstag hatte man zusätzliche Musiker auf die Bühne gebeten, FM Einheit bearbeitete nach alter Sitte allerlei Materialien aus Metall, Stein und Beton mit Muskelkraft, an der Gitarre und deklamatorisch unterstützt vom Kollegen Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten.

Mit Spannung wurde im inzwischen ausverkauften Haus dann das Konzert von Laibach erwartet. Laibach, ein Bandkollektiv, hervorgegangen aus der Bewegung der Neuen Slowenischen Kunst, findet seit den Achtzigern in Berlin ein begeistertes Publikum, und die Gespräche des Abends drehten sich darum, wer wo Laibach früher schon gesehen hatte. 1986 bei einem Berlin-Atonal-Konzert? Oder doch erst 1993, als sich das Laibachsche Künstlerkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) zu einem Staat NSK erklärt hatte und das gesamte Gebäude der Berliner Volksbühne zwei Tage lang zum Territorium NSK erklärt wurde? Manche haben heute noch die Ausweispapiere, die an Mitglieder und Unterstützer der NSK verteilt wurden. Unbestätigten Berichten zufolge sei es wiederholt Personen gelungen, mit ihren NSK-Reisepässen internationale Grenzen zu überqueren.

Laibach

Jørund F. Pedersen

Laibach

Außerhalb der Fanzone ist das seit dreißig Jahren operierende Gesamtkunstwerk aus Ljubljana immer noch umstritten. Ist das noch Kunst oder eine faschistische Inszenierung? So lautet die Gretchenfrage der Laibach-Skeptiker. Die Inszenierung soll Retro-Avantgarde sein, wirkt jedoch 2016 sehr aus der Zeit gefallen und bei aller Ironie arg humorlos.

Zeitlos modisch uniformiert haben sich die Musiker statisch vor Mikrofon und Synthesizer positioniert, die Sängerin stützt die Hände beim Singen rechts und links auf die Kanten ihres Rednerpults und erzeugt mit strenger Frisur und ausdrucksloser Miene das Gefühl einer latent bedrohlichen Ansprache.

Milan Fras, die knurrende männliche Stimme Laibachs, lässt das "R" vocoderunterstützt meisterlich hitlerisch rollen und wirkt mit seinen pathetisch erhobenen Armen wie ein Hohepriester oder eine Witzfigur. Das überdimensionierte Schlagzeug steht mittig auf einem Podest, der Tastenmann berserkert einfallslos mit den Unterarmen auf seinen Keyboards rum. Militärische Symmetrie bestimmt das Bühnenbild, unheimliche Kompositionen, metallische Sounds und synthetische Tiefbässe werden mit viel Wagnerischem und brachial interpretierten Popmelodien gemischt.

Die Lightshow ist ein einziges Zitat von Albert Speers Lichtdomen. Symbole und Kreuze geistern über die Leinwand, grelle Verfolgerscheinwerfer schweifen durch die Zuschauermenge, dazwischen Stroboblitze. Das alles zusammen kreiert ein machtvoll-mulmiges Gefühl von Unwohlsein.

Aber da passt ja zum Thema "Krieg Singen" und "Böse Musik". Aber lieber würde man jetzt "Schöne Musik" hören, ein paar Bowie-Songs vielleicht, kommt es der nicht so laibach- affinen Zuschauerin da plötzlich in den Sinn.

Einiges passiert noch bis am Sonntag bei "Krieg Singen" im HKW, es gibt prominent besetzte Panels zum Thema "Hass schüren" und interessante Filme zur Situation der Musiker im Norden Malis nach dem Musikverbot der islamistischen Kämpfer.



Songhoy Blues

Songhoy Blues

Songhoy Blues

Songhoy Blues aus Mali, der seine Geschichte im Film erzählt, steht dann am Samstag auch live auf der Bühne.
Victor Gama und das Kammermusikensemble Neue Musik führen eine Sinfonische Dichtung über eine mutmaßliche Atombombenexplosion in der Antarktis auf.

Und - kein Festival ohne Workshop: Die TeilnehmerInnen des Workshops "The Future War" haben eine Woche lang mit dem libanesischen Rapper und Künstler Rayess Bek Klänge gesammelt, um den Soundscape künftiger Kampfhandlungen zu imaginieren, und stellen nun ihre Ergebnisse vor.

ictor Gama, Kammerensemble Neue Musik: Vela 6911

Niklas Zimmer

Victor Gama, Kammerensemble Neue Musik: Vela 6911