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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

26. 10. 2013 - 15:19

Wenig harmlos

Gibt es böse Musik und wenn, wo? Das Berliner Haus der Kulturen der Welt geht dieser Frage auf den Grund – mitunter auf ganz schön böse Art.

Mund

http://www.hkw.de/de/index.php

"Böse Musik" kann man derzeit im Berliner Haus der Kulturen der Welt erleben

Am Donnerstag wurde im Berliner Haus der Kulturen der Welt, (HKW ) das Festival "Böse Musik – Oden an Gewalt, Tod und Teufel" eröffnet. Mit einer Themenwoche geht das HKW der Frage nach, ob es so etwas wie böse Musik überhaupt gibt und was ihre Faszination ausmacht.

Von der dunklen Seite der menschlichen Natur erzählen ja viele musikalische Stile und Genres: die Popkultur ist fasziniert vom Bösen, von Serienkillern, Psychopathen, Gesetzesbrechern und sexy Gewalttätern. Die populäre Musik hat immer die Nähe zum Bösen und Verdorbenen gesucht, genauso war "gute", freundliche Musik aber auch stets anfällig für Aneignungen von falscher Seite.

Man will im HKW mit der Reihe "Böse Musik" aber auch der Frage nachgehen: Was treibt den künstlerischen Prozess seit Hunderten von Jahren zur Auseinandersetzung mit bösem, hasserfülltem oder niederträchtigem Gedankengut? Böse Musik ist nicht nur Hate-Rap, die Lieder der Mafia, die Mörderballaden oder mexikanischen Drogenbosshymnen, die Narco Corridos. Schon der Blues, Ausgangspunkt der westlichen Popmusiktradition, hat sich eingehend mit dem Morbiden und der Gewalt beschäftigt.

Zur Eröffnung am Donnerstag konnte man sich zuerst im Foyer des Hauses in der Ausstellung "Kultur der Gewalt" von Francesco Sbano über die kalabrische Tarantella als Tanz der Mafia und über die 'Ndrangheta, die mächtigste Mafia-Organisation der westlichen Welt, informieren.
Der Fotograf und Journalist Sbano hat sich quasi als Ethnograph in die Organisation begeben, er hat ihre geheimen Rituale und Gesetze dokumentiert, ihre Musik produziert und die Texte übersetzt. Er offenbart dabei, wie die 'Ndrangheta den katholischen Glauben benutzt, um ihre Soldaten gehorsam zu machen und ihre unmenschliche Brutalität zu rechtfertigen.

Die Bilder der Ausstellung zeigen vermummte, schwer bewaffnete Gestalten, malerische Bergdörfer im Hintergrund. Direkt lieblich und heiter dagegen die Exponate in den Schaukästen: Bunte Kassetten mit Mafialiedern und liebevoll gestalteten Schutzhüllen und eine Sammlung von Heiligenbildchen, Marienstatuen und anderen Devotionalien.

Den Eröffnungsvortrag zu "Böse Musik" hielt Dietmar Dath, bekannt aus Spex und FAZ, als Buchautor und als so etwas wie ein moderner, überbegabter Privatgelehrter auf dem Feld der Wissenschaft, der Magie, des Horror und der Popkultur.

In seinem schlauen, schnellen und kurzweiligen Vortrag "Genug geblutet – Wie Musik Sachen macht, die sich nicht gehören" fragt er, was böse Musik sein soll, und führt aus, dass doch jede Epoche ihre Form von Musik hat, die sie hasst. Das Böse ist letztendlich das Aufkündigen des Gesellschaftsvertrags, und welche Musik gerade böse klingt, ist immer abhängig von Moral und Lebensweise des Hörers. Die Pubertät als wahrscheinlich schlimmste Zeit des Lebens ist auch die Zeit, in der die ästhetischen und moralischen Ausschlussmerkmale von "böser Musik" die gebeutelte Jugend zur Identifikation einlädt.

Nach Daths Vortrag begann die Spoken Word-Performance "Pure Hate" – eine Collage aus Raptexten, vorgetragen von Ale Dumbsky, Robert Stadlober und Volkan Terror. Die drei traten an ihre Stehpulte, beugten sich über das Textheft und legten los. Dem Hass-Rap nahmen sie die Faktoren Funk und Flow und sprachen die Worte unbewegt, während sich im Hintergrund ein atonaler Klangteppich ausbreitete. Das Resultat war kaum aushaltbar: Die Texte wurden, der Musik beraubt, überdeutlich und brutal und menschenverachtend. Sidos Arschficksong ist als gesprochenes Wort einfach nur widerlich, weiter ging es in "Pure Hate" gegen Juden, gegen Schwule, gegen Frauen, gegen Nicht- Deutsche, die Texte kamen von Kool Savas, von Nazi -Rappern und anderen, es wurden Kinder zerstückelt, Frauen erniedrigt und verstümmelt und obwohl die Vortragenden auf der Bühne ihre Sache sehr gut machten, musste man angewidert den Raum verlassen.

Häftling

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Etwas lustiger ging es in den "Folterkammern" im ersten Stock zu, dort konnte man in den Dolmetscherkabinen ausprobieren, wie auch "harmlose Musik" zum Folterinstrument werden kann. Was auf der Folter-Playlist in Guatanamo stand, ist inzwischen ja bekannt, aber die viel ältere "Noriega Experience" zeigte doch die zermürbende Wirkung von Popmusik sehr eindrucksvoll. Mit Neil Young, XTC, Rick Astley und Styx beschallte die US-Armee im Dezember 1989 den in die vatikanische Vertretung geflüchteten panamaischen Staatschef Manuel Noriega in einer irrwitzigen Lautstärke. Zehn Tage hielt Noriega den amerikanischen Classic Pop aus, bevor er zermürbt aufgab.

In der dritten Folterkammer wurde demonstriert, wie am Hamburger Hauptbahnhof schlafende Obdachlose mit klassischer Musik vertrieben werden. Hier standen Chopin, Haydn und Ravel auf der Folter-Playlist. Bis Sonntag gibt es im HKW noch Filme zu Narco Cultura und Nazibands, Vorträge zur norwegischen Blackmetal-Szene und Mafia-Musik, Lectures zu bösen Schwingungen und bösen Instrumenten. Das Bundespolizeiorchester spielt politisch korrekte Märsche, Sunpie & The Louisiane Sunspots hingegen Voodoomusik aus New Orleans.