Erstellt am: 18. 11. 2015 - 18:39 Uhr
Bangerz
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Alle Synapsen platzen
Auf "Visions" brummt eine absurde Fantasie-Musik, in der Pop aus dem Kaugummi-Automaten und Goth-Elektronik Geschwister sind.
Auch wenn sehr oft schwer bis kaum bis gar nicht zu verstehen ist, was hier gesagt, gesungen, geflötet, gekreischt und geschrien wird, handelt diese Platte auch von Texten und Inhalten. "Art Angels" von Grimes ist die ganz große Popmusikmüllhalde, kurz vorm Explodieren, die prächtige, schäbige, alles testende Schrottgeilheit und ein vor Fruchtaroma platzendes Meisterwerk des musikalischen 3rd-Hand-Maximalismus - die Künstlerin dahinter hat uns aber auch etwas zu erzählen, hinter Collagierungsmacht und Neonkleister.
Oft kann auf diesem Album die Stimme als bloße Stimmung funktionieren, manipuliert, hochgepitcht und vertunet, als Transporter von Melodie und Atmosphäre - aber eben nicht nur. Form, Funktion und Message sind auf "Art Angels" in einer erschreckend simpel wirkenden Perfektion überlagert, selbstsicher, verzweifelt, naiv, auf Konfrontation gebürstet, müde und voller Saft.
Holly Andres
Auch wenn es sicherlich nicht das wichtigste Verdienst von "Art Angels" ist: Der kanadischen Produzentin, Sängerin und Anti-Musikerin Claire Boucher gelingt mit dem vierten Album ihres Projekts, ihrer Kunstfigur Grimes noch einmal, längst schon verschlaffte Debatten neu zu beatmen. Underground-Credibility versus Poptimism. Ausverkauf, "Indie"-Sein. Schaut man ein bisschen so im Internet nach, dann darf man erfahren, dass "Art Angels" in den gut zwei Wochen seit Erscheinen das selten gewordene Kunststück geglückt ist, die Menschen so richtig zu nerven und zu ärgern.
In einer Welt, in der alles und jeder zu einer alles vereinnahmenden Popsingularität verschmolzen wird, zwischen HipHop und EDM, Mall-Punk und Retrosoul die Grenzen komplett durchlässig geworden sind, eine Seltenheit. Dabei versprüht "Art Angels" bei allen wie chaotisch und willkürlich zusammen geschmissenen, dabei aber ebenso genau gesetzten Klangmaterialen in musikalischer Hinsicht eben nicht den öden Wunsch nach Verstörung. Vielmehr glühen hier Entdeckerwillen, jugendliche Euphorie, die Freude an der Melodie, an komischen Effekten und neuen Sounds noch in der hintersten Rille. Das sind Hits, Tune after Tune, Bombe nach Bombe.
Auf Konfrontationskurs geht Grimes in den Texten: Zentrale Themen sind hier die Schieflage zwischen Außenwahrnehmung und eigener gefühlter Realität, Fandom vs. Fame, Erwartungshaltungen anderer, Selbstermächtigung, Selbstverwirklichung, Fuck-You-Finger.
Das introhafte Eröffnungsstück "Laughing and not being normal" scheint in seiner Kargkeit, seinem strengen Minimalismus noch als Überleitung vom Vorgänger-Album "Visions", auf dem zwar an seltsamen Kauderwelschmusiken auch schon so einiges los war, das aber noch von Goth-Charme und kaltem Chrome-Geruch gelebt hat. Danach wird alles neu und anders.
4AD
"You only like me when you think I'm looking sad", singt Grimes in bester, inhaltlich, Lana-Del-Rey-Manier in einem Stück, das nach dem motivisch schwer beladenen Sehnsuchtsort benannt natürlich "California" heißen muss. Inszenierungen, Selbstbespiegelung, falsche richtige Posen - die Wirrungen des Showbiz lassen sich freilich auch auf die privaten, intermenschlichen Beziehungen umdeuten. "The things they see in me, I cannot see myself", heißt es im selben Stück, dazu gibt es auf musikalischer Ebene beschwingten Country-Twang und Handclaps - die Outsider-Position wird mit einer Einladung zum digitalen Square-Dance verknüpft.
In "Kill V. Maim", einem der besten Tracks der Platte, switcht Grimes, in einem der besten Momente der Platte, von süßlicher Helium-Stimme zu einem kurzen, vor Gift berstenden Schrei-Gesang: "But they don’t know me", so lautet die prominent ausgestellte, symptomatische Zeile.
Bubblegum-Pop, Pop-Punk-Gitarren, Drum’n’Bass-Partikel aus dem Hörensagen. Cheerleader-Chants, Preset-80er-Disco, Euro-Dance, 90er-R’n’B und der zuckrigste Krach. Das alles ist so bestens zusammengefaket und raubkopiert, dass Begriffe wie "Würde" und "Stil" wieder einmal nur als Schablonenworte für das Gitarrenrockmagazin erscheinen müssen. Das ist aber eben auch alles kein Trash und erfreut sich ebensowenig an billigen Schockwerten. Das sind Lieder, die strahlen.
"Why you looking at me again?", heißt es im mit Neo-Soul-Königin Janelle Monáe aufgenommenen, vor Kraft, Leben und Gewissheit strotzenden Stück "Venus Fly". Der schon länger durch die Welt geisternde Song "SCREAM" mit der taiwanesischen Rapperin Aristophanes am Mikrofon - neben "Venus Fly" der einzige Gastbeitrag auf "Art Angels" - wiederum vibriert vor Energie und Flow und Elan und kommt dann eben doch auch ohne die buchstäbliche Lesart aus - sofern man nicht eventuell in Mandarin sattelfest sein sollte.
"Art Angels" ist die poppigste Platte von Grimes bisher geworden, und ihre weirdeste und komplexeste. Ekstase und Aggression, Kollision und Umarmung. Eine Platte, in der Risiko und Unbekümmertheit wohnen, alberne, große Lieder, in denen eine Künstlerin ein Statement formuliert und einfach Spaß hat. Songs, die wissen, wer sie und ihre Erschafferin sind.