Erstellt am: 23. 8. 2015 - 01:02 Uhr
Art-Pop, Peniswitz, Rap
FM4 Frequency 2015
Sonntag
Samstag
Freitag:
- Jugendlicher Indierock, Frittenbude, The Offspring
- In aller Kürze
- Ich tu Festival: "Out of Space" mit dem Zeltplatz-Chor
- Fotos von und vor den Bühnen
Donnerstag:
- Mittlerer Folk, Hurensöhne, Hitverweigerung
- In aller Kürze
- Das Zeltplatz-Mixtape
- Fotos von und vor den Bühnen
Alle Stories zum Frequency 2015
Radiotipp
Die langen Nächte des FM4 Frequency: Von Montag auf Dienstag und Dienstag auf Mittwoch senden wir Konzerte und Interviews vom FM4 Frequency: mit Alt-J, Interpol, Frittenbude, Wombats, William Fitzsimmons und mehr.
Ein Hoch auf den Eskapismus. Die Musik als Abschussrampe weg von diesem Planeten verstehen. Wer braucht schon die schnöde Realität, wenn es die Kunst gibt, Hirngespinste, Fantastereien, Vampirreiche? Das junge britische Quartett Gengahr entwirft versponnenen Halluzinogen-Indie und kann damit am frühen Nachmittag des letzten Tages beim FM4 Frequency die Halle der Weekender Stage schon so mittelokay vollmachen.
Es ist ja auch nicht immer eine ganz einfache Musik mit Ösen, an denen man sich allzu leicht festhalten könnte. Gitarre, Bass, Gitarre, Schlagzeug, Gengahr mühen sich redlich, dem klassischen Rockband-Instrumentarium schnörkelige Musik zu entlocken. Musik, die gar nicht anders kann, als eben genau nicht den direkten Weg zu gehen. Kurven machen, schwindlig werden, die Töne umschiffen und erratisch ruckeln.
Franz Reiterer / FM4
Gengahr haben sich da sicherlich eine Dosis Mittneunziger-Postrock zu Gemüte geführt, nervösen und nervigen Mathrock, um diese Dekonstruktionsmusiken dann wiederum zurück ins Songformat - wenn auch ein vertracktes - zu transportieren.
Frontmann Felix Bushe besingt passend dazu, gerne im entrückten Falsett, allerlei Außerweltliches: Poltergeister, Hexen, Spukerscheinungen. Oft ist das im besten Sinne einlullend und im gerade richtigen Maße weird. Bisweilen schlägt das Mühen und unbedingte Wollen, Artyness und ein gewieftes Neben-der-Spur-Laufen zu verkörpern, in streberhaftes Muckertum um. Nennen wir es das Alt-J-Problem.
Am besten sind Gengahr, wenn sie mit Hall und Echo und Verzerrung arbeiten, sich beruhigen und in der Nähe von Shoegaze und Spacerock ankommen. Das kann noch was werden, diese Band.
Franz Reiterer / FM4
Die amerikanische Band TV on the Radio ist bekanntlich eine der prägendsten Gruppen der Nuller-Jahre gewesen. Wenn auch nicht breitenwirksam. Zwischen LCD Soundsystem und Animal Collective, den Liars und Brooklyn-Hype haben TV on the Radio den mittlerweile schon totgekauten Stilpluralismus als das Normalste mitetabliert. Punkrock und Elektronik, Soul, Gospel, Barbershop-Quartett, Disco. I was there. Man hat sich daran gewöhnt, die Band selbst in Österreich aber lange schon nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Franz Reiterer / FM4
So freut man sich nun, sich gegenseitig selbstversichernd, pflichtbewusst und beflissen auf das Konzert dieser wunderbaren Band, die am frühen Abend die Green Stage bespielt. TV on the Radio, zu sechst, beginnen ihr Konzert mit dem frühen, nicht gar so bekannten Stück "Young Liars": Ein Song von introhafter Funktion, ein im Original vor sich hinwogendes, elektronisches Schlaflied. Hier jedoch ein lang hinausgezögertes psychedelisches, krautiges Wabern. Mit Posaune und großartig. Eine Band, die das Publikum nicht sofort mit Knall abholen muss. Das ist eine Band, die weiß, wer sie ist.
Franz Reiterer / FM4
"Seeds", das jüngste, Ende 2014 erschienene Album von TV on the Radio, ist nicht ihr bestes, mit Abstand nicht. Mehr Geld, mehr Gloss ist in diese Platte geflossen, die nach dem Tod von Bassisten und Keyboarder Gerard Smith eine Art weiche Neuorientierung der Band dokumentiert. Mehr straightforward Rock, mehr Powerpop, mehr Neue Einfachheit, die spannend bleibt. Klarheit, Schlankheit, im Untergrund grummelt und fiepst es nach wie vor - live wird alles mit mehr Noise und Rauschen und Schall gegeben.
"Seeds" bestimmt das Set von TV on the Radio mit leichtem Überhang: "Lazerray", "Winter", Lieder, an die sich viele schon gar nicht mehr so recht erinnern werden, und klarerweise der "Happy Idiot", der dunkle Bubblegum-Hit im Oeuvre. Höhepunkt ist so gut wie alles bei diesem Konzert. "Golden Age" vom Album "Dear Science" beispielsweise. Handclaps, Funk, Halb-Rap, Halb-Singsang und die Kunde von möglichen güldenen Epochen und Reichen. Oder: "Wolf Like Me" vom Meisterwerk "Return to Cookie Mountain" - eine konstante, forsche Vorwärtsbewegung von einem Song.
Franz Reiterer / FM4
Eine schlaue, agile Band am Morphen, Grooven, Rocken, Innehalten. Am Ende des Konzerts steht der bis in alle Zukunft nicht totzukriegende Hit "Staring at the Sun", Glühen liegt in der Luft. Konzeptionell und auch in Fleisch und Blut ist diese Band ein Durchbruch für so ziemlich alles.
Auch am Samstag gibt es nach K.I.Z., Casper und Frittenbude an den Vortagen Neuigkeiten aus der HipHop-Matrix, diesmal aus den Randzonen: Beim Auftritt von Alligatoah, der kaum als "Rapper" oder "Künstler" beschrieben werden kann, ist auf dem Areal vor der Main Stage am späten Nachmittag publikumstechnisch über die Maßen mehr (in Worten: viel mehr) los als bei irgendeinem anderen Act zuvor an diesem Wochenende. Ohne Übertreibung: Die Toten Hosen würden vor Konkurrenzdruck erschüttern.
Franz Reiterer / FM4
Alligatoah ist der Mario Barth des Deutsch-Rap, er sagt hochpopulär in Liedern verpackt Dinge wie "Mein Gott hat den längsten Penis" oder "Willst du mit mir Drogen nehmen?". Könnte für sich genommen freilich auch von K.I.Z. stammen. Alligatoah jedoch vermag nicht Brechung einzubauen, in seinen "Stücken" herrscht die simpelste Anbiederungs- und Verstörungsgülle. Dazu läuft Billig-House und Banalo-Electroswing, Hardrockgitarren rocken hart. Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.
Es geht auch anders: Semi-Headliner auf der Main Stage ist am Samstag Kendrick Lamar: Der kalifornische MC hat mit "To Pimp A Butterfly" so ziemlich das beste Album des Jahres aufgenommen, man weiß es. Ein geil mäanderndes Flickwerk aus Rap und HipHop, kosmischem Jazz, Funk, Soul. Kann dieses ausfransende, an allen Ecken auseinanderfallende und seltsam groovende Sozial- und Historiendiorama von einem Album, das auf offensive Hits und easy Hooks weitgehend verzichtet, in der Live-Situation - nicht zuletzt auf einem großen Festival - bestehen?
Patrick Wally
Kendrick Lamar setzt bei seinem Auftritt hauptsächlich auf das Vorgängeralbum "good kid, m.A.A.d city", ebenfalls jetzt schon ein Klassiker. Eine Platte, die eher auf traditionellen Rap und HipHop baut, mit mehr Punch und Kick, elektronischer, stärker an Maschinen produziert als das aktuelle Album, das mehr von einem handgemachten Bandsound lebt.
Live gibt es dann doch genau das: Liveband mit Gitarre, Kendrick davor hat allein auf weiter Bühne die Crowd mühelos in der Tasche. Highlights bis Highlights: "Swimming Pools (Drank)", "Bitch, Don’t Kill My Vibe", "King Kunta", "m.A.A.d city". Ein einziges glückliches, großes Moshen und Hände-in-die-Luft-Strecken. Gemeinsam mit dem Gig von TV on the Radio die beste Performance des Wochenendes. Es kann funktionieren, es besteht Hoffnung. Yawk, Yawk, Yawk.
Patrick Wally
Nach der trübsalblasenden, soliden Postpunk-Gedächtnisarbeit der New Yorker Joy-Divsion-Nachlassverwaltungs-Institution Interpol mit mäßig variantenreichem Repertoire wird es hinsichtlich der Headliner traurig.
Auf der Main Stage steht die Band Linkin Park. Eine Gruppe, die alles, was an Rock, Alternative, Metal, Pathos, HipHop, DJ-Kultur, Elektronik, Gefühl, Schmerz, Jugend, Rebellion, Außenseitertum schlecht sein könnte, gefunden hat. Sich angeeignet und zur Definition von "Douchebag" verschmolzen hat. Auf der Green Stage ist währenddessen der niederländische Großraum-Houser Martin Garrix zugange. Garrix verhält sich zu interessanter elektronischer Musik wie Linkin Park zu Punk.
Franz Reiterer