Erstellt am: 5. 7. 2015 - 13:54 Uhr
"The points are not the point"
Der dreitägige Lesemarathon ist zu Ende und der beste Text dieses Jahr kommt von Nora Gomringer.
Der Bachmann-Preis und das Prozedere dazu sind einzigartig: AutorInnen präsentieren jeweils einen unveröffentlichten Text, die Mitglieder der Jury bekamen die Texte vorab. Im Studio des ORF Landesstudio Kärnten kann dann jede und jeder das Geschehen erleben, der sich in der Früh rechtzeitig vor den Saaltüren einfindet. Am Sonntag, also heute, stimmt man dann ab, wer den besten Text geschrieben hat.
Bachmannpreis 2015
- Harmonie ist hier eine Strategie: Neue Gesichter in der Jury! Und klarerweise neue Texte am ersten Lesetag in Klagenfurt.
- Servus nach Buxtehude und Karlsruhe!: Ronja von Rönne, Monique Schwitter und Falkner tragen Texte oder ein Manifest vor - mit Reiseempfehlungen und Trendbarometer.
- Wer ist die Favoritin?: Das Finale beim Lesemarathon. Und erneut punkten Autorinnen.
Die Skurrilität und Intimität des Formats des Bachmannpreises ist doch auch nach mehrmaligem Besuch auffallend. Im Garten draußen, am See beim Handtuchausbreiten und beim Public Viewing wie dem abendlichen Programm am Lendhafen laufen sich KandidatInnen für den Preis, Verlagsangehörige, Neugierige und Literaturstudierende über den Weg. In Klagenfurt erweist sich der ab und an als elitär kritisierte Bewerb als Tummelplatz. Mag man Sprache und Diskurs, verbringt man hier vergnügliche Tage. Man sitzt mit zuvor noch Fremden zusammen, auf Liegestühlen im Schatten von Bäumen oder in der Kantine und schaut fern (denn im Fernsehstudio ist weder Mitschreiben noch gar twittern möglich). Und wenn man das macht, fühlt sich das in keinem Moment absurd an. "Wir arbeiten philologisch und setzen uns dieser ästhetischen Form aus", sagt der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels.
Nora Gomringer, die Bachmannpreisträgerin 2015, befand die Situation im Fernsehstudio für gut. Vor Ort in Klagenfurt habe sie sich jedoch nie privat gefühlt. "Das Intimste ist, dass man den Text mitbringt, an dem man Wochen, Monate gearbeitet hat. Und den aufmacht vor Publikum. Das ist eine Operation am offenen Herzen", sagt Nora Gomringer nach der Preisverleihung.
ORF/Johannes Puch
Auf der Shortlist Sonntagvormittag standen sechs Autorinnen und mit Jürg Halter ein Autor. Ronja von Rönne, die im Vorfeld des Bachmann-Preis-Lesens die meiste Aufmerksamkeit bekommen hatte, war nicht dabei. In der Kantine war sie am Morgen guter Laune. Für die Lesenden bietet der Bewerb nicht allein die Aussicht auf den Preis, sondern die Möglichkeit, die Verlagssituation auszuloten.
"The point is poetry"
Die eingespielte Musik verheißt Spannung. Es kommt zur Stichwahl Teresa Präauer/Nora Gomringer um den Bachmann-Preis - und Gomringer gewinnt.
Die Lyrikerin Nora Gomringer hat mit "Recherche" einen im Kern selbstreflexiven Text geschrieben, sagt Sandra Kegel in der Laudatio für ihre Kandidatin. Der Text verhandle ein ganzes Bündel an Themen. Es geht um den Selbstmord oder Unfalltod eines Buben, und wie man über einen solchen Tod schreiben könne, verhandle Gomringer in ihrem Text, so die Jurorin Kegel. "Die Stimme der Schriftstellerin Nora Gomringer ist schon ganz da, sie ist stark, klug und präsent". Laudatorin und die Bürgermeisterin Klagenfurts drücken die Bachmannpreisträgerin 2015.
"Ich danke jedem, der es mir gönnt", sagt Gomringer und ganz in Poetry-Slam-Tradition: "The points are not the points, the point is poetry". Slams veranstaltet sie heute, bei Slams tritt sie jedoch seit zehn Jahren nicht mehr an. Sie sitze auch immer beim Lesen, im Stehen trage sie nicht so gern vor.
Radio FM4
Zwei Blumensträuße und zwei Preise für Valerie Fritsch
Juri Steiner verspricht sich grandios bei der Abstimmung zum Kelag-Preis und sagt "ich sterbe" statt "ich stimme" und stimmt für Valerie Fritsch und ihren Text "Das Bein" über die Beziehung eines Sohnes zum Vater und Phantomschmerzen. An die Grazerin geht dann auch der Publikums-Preis, dotiert mit 7.000€.
"Ein Bild der großen Metaphorik, durch das man sich durcharbeiten muss. Man sieht immer nur soviel, wie man bereit ist", urteilt Juri Steiner. Eingeladen worden war die Grazerin Fritsch vom neuen Jury-Mitglied Klaus Kastberger.
Dass Teresa Präauer auch einen Preis, wenn nicht den Bachmannpreis, gewinnen würde, dachte und hoffte Valerie Fritsch. „Deswegen fand ich es jetzt eigenartig, dass sich gar kein Preis ausgegangen ist. Ich fand den Text großartig“, sagt Valerie Fritsch unmittelbar, nachdem sie ihre Preise in Empfang genommen hat.
Dana Grigorcea gewinnt mit ihrem Text mit dem Titel "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" den Ernst-Willner-Preis in der Höhe von 5000 Euro. Die Jurorin Hildegard E. Keller hatte sie für das Wettlesen vorgeschlagen. Grigorcea hatte als Letzte gelesen, so bestimmte es die Auslosung, und die gebürtige Rumänin katapultierte sich damit unter die FavoritInnen.
Und nächstes Jahr ein rundes Jubiläum
2016 werden die Tage der deutschsprachigen Literatur zum vierzigsten Mal stattfinden. Allein der Blick auf die Listen der bisherigen PreisträgerInnen und auch JurorInnen belegt, warum diese Castingshow der deutschsprachigen Literaturwelt Sinn macht.