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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

3. 7. 2015 - 17:31

Servus nach Buxtehude und Karlsruhe!

Ronja von Rönne, Monique Schwitter und Falkner tragen Texte oder ein Manifest vor. Der zweite Tag beim Lesen um den Bachmannpreis - mit Reiseempfehlungen und Trendbarometer.

Skizze eines Porträts Ingeborg Bachmanns, das Logo des Bewerbs

ORF

39. Tage der deutschsprachigen Literatur, bis Sonntag in Klagenfurt

"Gute Frau, ich habe niemals einen Haul gemacht", will die Protagonistin im Text von Ronja von Rönne der Mutter einer Jugendlichen sagen. Ein "Haul" ist ein Produktbesprechungsvideo, das manche für ihren YouTube-Kanal produzieren. Was davon übrig bleibt, wenn man die Bilder weglässt, hat die deutsche Wired vorgeführt. Die Deutsche Ronja von Rönne verzichtet bei ihrem Antreten um den Bachmann-Preis auf einen Clip zur Vorstellung ihrer Person.

Dabei wäre eine Vorstellung durchaus interessant. Denn seit von Rönne in einem Zeitungsartikel erklärte, dass sie der Feminismus anekelt, wurde viel über sie geschrieben. Um in Klagenfurt antreten zu können, bedarf es nicht allein der Einladung eines Juroren oder einer Jurorin. Man muss auch Veröffentlichungen vorweisen können. Von Rönne hat einen Blog - sudelheft.de - und schreibt für die "Welt" und "Welt am Sonntag". Wie letztere lautet auch der Titel des Textes, den sie Freitagnachmittag
mitbringt.

Wer den Shitstorm sät... oder was bisher geschah: Christiane Rösinger zur Aufregung rund um Ronja von Rönne

Sie setzt sich, schaut ins Publikum, atmet kurz eine Haarsträhne aus dem Gesicht und liest schnell. Umso ruhiger ist die Jury danach. Welche Banalität ihr da als etwas Besonderes verkauft werden will, ärgert Jurorin Meike Feßmann. Ob Dekadenz oder Depression im Text vorrangig wäre, fragt der Jury-Vorsitzende Winkels, der von Rönne zum Wettlesen eingeladen hatte. Den Juroren Klaus Kastberger erinnern die beschriebenen Coolness-Gesten junger Leute an jene von amerikanischen Jugendlichen in den 1950er Jahren. Bloß wäre es amerikanischen Kurzgeschichten nach damals schon cool gewesen, Getränke zu zwitschern, heute gehe es um Konsum. Auch Juri Steiner erkennt die Moral an der Geschichte. Viel mehr, als in dem Text beschrieben wird, ist aber nicht auszumachen.

Ronja von Rönne

ORF/Johannes Puch

Ronja von Rönne

Reiseempfehlungen

In Ronja von Rönnes Text ist es Karlsruhe, das von einem Paar aufgesucht wird, und in Monique Schwitters Text "Esche" stapfen Protagonisten durch Buxtehude, genau genommen durch den Wald dort. "Bonsai-Barock", urteilt Kastberger über Schwitters Beitrag. Dennoch punktet die Autorin und Schauspielerin Schwitter, die 2002 beim FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut mitgemacht hat und eine der Gewinnerinnen war.

Viele Beziehungen und Dreiecke bilden den Text, mit dem sie in Klagenfurt antritt. So will es die Struktur des Textes, sagt Kastberger: „Es gibt ein Wucherungsprinzip in diesem Text“. Er würde sich den Text auf den Schreibtisch stellen, gebe es ihn als Gegenstand zu kaufen. Das Liebevolle kann Juri Steiner nicht erkennen. Ich muss ihn nachlesen, denn im Ohr hatte ich Valerie Fritsch, die mir in der Mittagspause von ihrer Reiselust erzählt hat.

Monique Schwitter liest

ORF/Johannes Puch

Monique Schwitter konnte bei der Jury punkten

Querverweise und Metaebenen ergeben sich am zweiten Lesetag. Fichten, Klebebänder, Fallobst und fehlende Väter kommen in mehreren Texten vor. Während Kastberger findet, die Reise nach Karlsruhe könne man sich also sparen und sich auf Rönnes Text bezieht, weiß Winkels zu berichten, dass Karlsruhe 300 Jahre alt ist und eine barocke Schöpfung. Neo-Juror Kastberger legt sich ins Zeug, das kommt auch gut an, während Neo-Juror Stefan Gmünder zurückhaltender agiert. So richtig aufregend war bislang noch gar nichts.

Juroren Klaus Kastberger, Hildegard E. Keller und Juri Steiner beim Wettlesen um den Bachmannpreis

ORF/Johannes Puch

Drei der Juroren: Klaus Kastberger, Hildegard E. Keller und Juri Steiner

Die Wiener Humoristin Stefanie Sargnagel ist indes angereist, um sich die etablierte Literaturveranstaltung aus der Anti-Haltung anzuschauen. Einfach wird das nicht, das weiß sie. Sie wird sich als Außenreporterin in Top FM4 melden. Auch Fritz Ostermayer sitzt im Garten vor dem Landesstudio Klagenfurt. Und an dieser Stelle ist Garten ein gutes Stichwort: Mythen, Sagen, Märchen hat sich Tim Krohn vorgenommen, nun geht es an die Bibel, erklärt Jurorin Hildegard E. Keller. Der Schweizer Autor Tim Krohn verzichtet nicht auf das Videoporträt. Er präsentiert sich in einer Homestory. "Ich leb' hier mit meiner Frau und zwei Kindern", so Tim Krohn und Auftritt Frau, Kuss. Dazu Geflöte eines asiatischen Instruments, das Krohn spielt.

Krohns Text ist ein Auszug aus "Das Paradies", einem wohl kommenden Roman. Ein Mann zieht los, um Tiere zu jagen. Das Reh wird schließlich die Frau töten. „Die Adam-und-Eva-Dichter gehen daran, die Lücken zu füllen, denn in der Bibel sind ja ganz viele Fragen nicht geklärt“, so Keller. Die „Veganisis“ will Kegel ausmachen. „Natürlich ist die Stoßrichtung des Textes, dass das Töten von Tieren nicht so gut ist“. Krohn liest spätvormittags, da dränge sich auch diese Grundfrage auf: Fleisch oder kein Fleisch in der Mittagspause? Winkels findet den Text misslungen, es wäre eine kleine Schauergeschichte ohne Parabeln. „Das die Story von Adam und Eva so gut sein kann, wusste ich nicht“, sagt Juri Steiner, der den Text eine zweite Schöpfungsgeschichte nennt und das Kreatürliche darin mag. Schließlich war er es auch, der Krohn eingeladen hat.

Kommata gestrichen, Körperteile ab

Bei allem Tiertod, radikaler geht es in Falkners Beitrag zu. Michaela Falkner hat in politischer Psychologie promoviert und sich an einem Punkt entschlossen, nur noch Manifeste zu verfassen. Manifest 47 ist ihr Text beim Bachmannpreis-Lesen, Titel: KRIEGER SEIN BRUDER SEIN. Michaela Falkner tritt unter ihrem Künstlernamen Falkner an, eingeladen wurde sie von Klaus Kastberger. Falkner arbeitet an den Schnittstellen Sprache/Text und Körper/ Performance und im Studio ruft jemand zu leise "wuhuu" nach ihrer Lesung.

Falkner

ORF/Johannes Puch

Michaela Falkner

Bachmannpreis 2015

Beim Anblick des Textes von Falkner singt Françoise Cactus in meinem Kopf: Wenn ich dich sehe [Komma] denke ich [Doppelpunkt] der Text macht mir Kummer, ich möchte [Punkt, Punkt, Punkt]. Die Kommata fehlen, das entgeht auch einer Jurorin nicht. Dabei ist das zu bemängeln Firlefanz. Schließlich verhandelt der Text den Versuch von Liebe und Freundschaft in höchst feindlichen Zeiten. Ja, auch das Angebot, dass die Freundschaft die Macht brechen könne, wie es Juri Steiner ausdrückt. Doch diese Suche nach dem Grundprinzip der Freundschaft und der Liebe in dem Text mache ihn zum Meta-Manifest, der Text beiße sich selber in den Schwanz. Im Text wird angekündigt:
„Ich schneide mir meinen Schwanz ab montiere ihn an deinen er gehört uns beiden.“
„Ich nehme ein Auge raus schenke es dir.“

Wie sich ein Autor die Jugend denkt

Beim Schauen geht sich auch noch ein kurzer Blick auf Peter Truschners Auftritt aus. Eingeladen wurde er von Stefan Gmünder. Wie Valerie Fritsch schickt Peter Truschner einen Clip voran, der kein Videoporträt ist. Im Clip verknoten sich Hände und greifen garantiert unangenehm in Gesichter. Dagegen ist der Text von Truschner nicht mal mühsam. Ein „RTL-Reptil“ beschreibt er seitenlang, allein es ist eine Imagination einer Projektion: ein junger Mann, der Whatsapp checkt und einen Einbruch begeht. Bewundernswert ist die Vortragsweise des gebürtigen Klagenfurters Truschner: als würde noch etwas ganz Arges passieren. Schauen wir weiter. Der Lesemarathon findet morgen Samstag seine Fortsetzung.