Erstellt am: 26. 5. 2015 - 11:01 Uhr
Alles in allem ein guter Jahrgang
Cannes 2015 auf fm4.orf.at
- Frauenpower in Cannes: Frauen dürfen jetzt auch beim wichtigsten Filmfest der Welt mehr als nur auf dem Roten Teppich gut aussehen (15.5.)
- Halbzeit in Cannes!: Noch gibt es keinen klaren Favoriten auf die Goldene Palme, aber bei zwei Filmen herrscht nahezu Einigkeit: alle lieben Todd Haynes "Carol" und Gus van Sant sorgt für Buhrufe (19.5.)
- Von Liebe und Schlaf: Erschöpftes Ende mit ungewissem Ausgang: Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes in der Zielgeraden (22.5.)
- Alles in allem ein guter Jahrgang: Viele Überraschungen bei der Preisvergabe der Internationalen Filmfestspiele von Cannes (26.5.)
Es war am Ende gelinde gesagt eine Überraschung, als die Jury-Präsidenten Ethan und Joel Coen den Gewinner der Goldenen Palme verkündeten.
Filmfestival Cannes
Mit dem Hauptpreis der am Sonntagabend zu Ende gegangenen Filmfestspiele in Cannes wurde mit Jacques Audiards „Dheepan“ ein Film ausgezeichnet, den kaum einer auf dem Schirm hatte. Entsprechend machten auch ein paar Journalisten im Presseraum mit Buhrufen ihrem Unmut Luft. Und tatsächlich ist es nicht Audiards bestes Werk, ein solides, geradliniges Drama um Kriegsflüchtlinge aus Sri Lanka, die in den Banlieues von Paris zwischen die Fronten eines Bandenkriegs geraten. Bemerkenswert sicherlich in der eingenommenen Perspektive, die Situation in Europa aus der Sicht der Flüchtlinge zu erzählen, mit Laiendarstellern und zum Großteil in Tamil gedreht. Doch wie er die authentische Darstellung Richtung Genrefilm dreht und am Ende die Lage in den Pariser Sozialbauten mit der Kriegserfahrung gleichsetzt, ist dann doch recht fragwürdig.
Mit seinen letzten beiden Film „Un Prophète“ und „De rouille et d’os“ war Audiard auch bereits in Cannes und war beide Male im Rennen um die Goldene Palme Michael Haneke unterlegen, der 2009 für „Das Weiße Band“ und 2012 für „Amour“ den Hauptpreis des weltweit wichtigsten Filmfestivals abräumte. Nun hat es also doch geklappt und ein hocherfreuter Audiard hat am Sonntag auf der Bühne zuallererst Michael Haneke gedankt, in diesem Jahr keinen Film gedreht zu haben.
APA/EPA/SEBASTIEN NOGIER
Es war nicht die einzige merkwürdige Juryentscheidung. Der Preis für die beste weibliche Schauspielleistung ging nicht wie erwartet an die beiden Hauptdarstellerinnen Cate Blanchett und Rooney Mara in Todd Haynes’ lesbischer Liebesgeschichte „Carol“, sondern lediglich an Mara. Und sie musste sich den Preis teilen, mit der Französin Emmanuelle Bercot aus dem Beziehungsdrama „Mon roi“. Ein halber Darstellerpreis für einen der herausragenden Filme des Festivals ist dann doch arg mager.
Mit dem männlichen Darstellerpreis ging eine dritte Auszeichnung an einen Franzosen, wenn auch weitaus verdienter. Vincent Lindon trägt im Sozialdrama „Le loi du marché“ als Arbeitsloser, der sich nicht unterkriegen lässt, nahezu jede Szene des Films.
Mit dem großen Preis wurde das ungarische KZ-Drama „Son of Saul“ ausgezeichnet, ein formal mutiges, in seiner Darstellung des Holocaust aber auch problematisches Werk des jungen Regiedebütanten László Nemes, das hier in Cannes für viel Diskussionsstoff gesorgt hat.
Wie erwartet wurden zwei der eigenwilligsten Filme des Wettbewerbs prämiert. Der Grieche Yorgos Lanthimos erhielt den Preis der Jury für „The Lobster“, eine absurd-komische Science-Fiction-Sozialsatire über die gesellschaftlichen Vorstellungen, wie Paarbeziehungen zu sein haben – Singles, die nach 45 Tagen keinen passenden Partner gefunden haben, werden in Tiere verwandelt oder zum Abschuss freigegeben. Einer meiner Lieblingsfilme in diesem Jahr.
Der Regiepreis ging an den Taiwanesen Hou Hsiao-Hsien für den opulenten Schwertkampffilm „The Assassin“, seinem ersten Film seit acht Jahren.
Alles in allem war Cannes 2015 ein guter Jahrgang, trotz einiger Gurken - wie Gus van Sants banal-esoterischem Fegefeuertrip „Sea of Trees“ - und auch wenn viele Filme leer ausgingen, die drei Italiener Nanni Moretti („Mia Madre“), Paolo Sorrentino („Youth“) und Matteo Garrone („Tale of Tales“) etwa. Einige der interessantesten Filme waren gar nicht im Wettbewerb zu finden, sondern liefen in Nebensektionen. Miguel Gomes’ sechsstündiges Triptychon „Arabian Nights“, in dem er die Geschichten aus 1001 Nacht mit der Wirtschaftskrise in Portugal verknüpft oder Apichatpong Weerasethakuls traumwandlerischer „Cemetary of Splendour“ über ein Krankenhaus im Norden Thailands, in dem Soldaten mit einer mysteriösen Schlafkrankheit behandelt werden. Zwei magische Filme, die auch ohne Preissegen in die Filmgeschichte eingehen werden und sicherlich spätestens auf der Viennale im Oktober auch bei uns zu sehen sein werden.