Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Frauenpower in Cannes"

Thomas Abeltshauser

Filmjournalist. Berichtet von Filmfestspielen, unter anderem Cannes oder Venedig.

15. 5. 2015 - 17:13

Frauenpower in Cannes

Frauen dürfen jetzt auch beim wichtigsten Filmfest der Welt mehr als nur auf dem Roten Teppich gut aussehen.

Cannes 2015 auf fm4.orf.at

  • Frauenpower in Cannes: Frauen dürfen jetzt auch beim wichtigsten Filmfest der Welt mehr als nur auf dem Roten Teppich gut aussehen (15.5.)
  • Halbzeit in Cannes!: Noch gibt es keinen klaren Favoriten auf die Goldene Palme, aber bei zwei Filmen herrscht nahezu Einigkeit: alle lieben Todd Haynes "Carol" und Gus van Sant sorgt für Buhrufe (19.5.)
  • Von Liebe und Schlaf: Erschöpftes Ende mit ungewissem Ausgang: Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes in der Zielgeraden (22.5.)
  • Alles in allem ein guter Jahrgang: Viele Überraschungen bei der Preisvergabe der Internationalen Filmfestspiele von Cannes (26.5.)

Was als erstes auffällt, wenn man sich in Cannes durch die rigorosen Sicherheitskontrollen am Eingang des Festivalpalais durchgezwängt hat, Taschenleerung und Körperdurchleuchtung inklusive, und im Saal Lumière einen Sitzplatz ergattert hat: die Sessel sind neu! Und fühlen sich erst mal richtig gut an, breiter und gut gepolstert. Ein nicht ganz unwesentliches Detail, schließlich werde ich in den nächsten elf Tagen einen Großteil meiner Zeit hier verbringen.

Auch sonst erneuert sich das Festival in seinem 68. Jahrgang hier und da ein wenig. Vor allem der zurecht immer wieder geäußerte Kritik am Auswahlgremium um Direktor Thierry Fremaux, Frauen vor allem in der Form schöner Schauspielerinnen auf dem Roten Teppich zu hofieren, aber kaum Regisseurinnen mit ihren Werken einzuladen, trägt Cannes in diesem Jahr Rechnung.

La Tete Haute

Luc Roux

La tête haute

Gleich der prominente Eröffnungsslot wurde einer Frau eingeräumt, überhaupt erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Festivals. Emmanuelle Bercots „La tête haute“ ist dann aber leider nur recht unausgegorenes Sozialdrama um einen schwer erziehbaren Jugendlichen und die wenig erfolgreichen Versuche, ihn wieder auf Spur zu bringen. Eine Kollegin brachte es süffisant auf den Punkt: „Auch Frauen haben das Recht, schlechte Filme zu machen“.

An

2015 AN FILM PARTNERS – COMME DES CINEMAS – TWENTY TWENTY VISION - ZDF

An

Es geht auch ganz anders und besser, das zeigt die Japanerin Naomi Kawases mit „An“, mit dem die Nebensektion Un Certain Regard eröffnet wurde. Sie präsentierte seit ihrem Debüt „Suzaku“ 1997 jeden Film hier, alleine drei in den letzten fünf Jahren. Ihr neuester und bislang zugänglichster spielt in einem kleinen Pfannkuchenladen, in dem eine schrullige Alte anheuert und mit ihrer süßen Bohnencreme nicht nur den mürrischen Ladenbesitzer verzaubert. Kawase erzählt ihre süße Geschichte von Einsamkeit und Freundschaft an der Grenze zum Sentimentalen, lässt aber nichts anbrennen. Ich muss zugeben, ich hab am Ende ein Tränchen vergossen. Und das passiert mir nicht oft.

Tale Of Love And Darkness

Cannes

A Tale Of Love And Darkness

So richtig gleichberechtigt ist die Official Selection mit diesen und zwei noch folgenden Wettbewerbsbeiträgen von Regisseurinnen natürlich nicht. Aber starke, komplexe Frauen gibt es auch auf der Leinwand, ob Charlize Theron als kämpferische Furiosa in „Mad Max: Fury Road“, der hier bei der Pressevorführung dreimal frenetischen Szeneapplaus bekam oder Salma Hayek als Königin mit Kinderwunsch in Matteo Garrones englischsprachigem Märchenfilm „Tale of Tales“. Gleich alle wichtigen Posten, Regie, Drehbuch und Hauptrolle, hat Hollywoodstar Natalie Portman in ihrem Debütfilm selbst übernommen. „A Tale of Love and Darkness“ basiert auf den Erinnerungen des israelischen Schriftstellers Amos Oz an seine Kindheit in Jerusalem der 40er Jahre, der unruhigen Gründungsjahre des Staates Israel. Portman spielt Oz’ Mutter, die ihrem kleinen Sohn Geschichten erzählt, aber zunehmend an Depressionen leidet. Und sie meistert die Mehrfachbelastung vor und hinter der Kamera toll, auch wenn ihr Familiendrama ein bisschen gediegen und zäh geraten ist. Und für das Festival geht die Rechnung gleich doppelt auf: Natalie Portman gehört seit dem Eröffnungsabend am Mittwoch zu den täglichen Lieblingsmotiven der Fotografenmeute am Roten Teppich.

The Lobster

Cannes

The Lobster

Sehr viel komischer ist der neue Film von Yorgos Lanthimos, seit „Dogtooth“ wichtigster Vertreter der Neuen Welle im griechischen Kino. „The Lobster“ ist eine absurde Beziehungsfarce mit Colin Farrell und Rachel Weisz, und wie schon Garonnes „Tale of Tales“ erstmals in englischer Sprache gedreht. Mit tiefschwarzem Humor kreiert er eine Welt, in der die Paarbeziehung das einzig wünschenswerte Lebensmodell ist. Verlassene, Geschiedene und Singles kommen in eine Hotelanstalt, in der ihnen 45 Tage bleiben, einen neuen Partner zu finden, andernfalls werden sie in ein Tier verwandelt. Um Liebe geht’s dabei nicht, eine banale Gemeinsamkeit wie Humpeln, Nasenbluten oder Kurzsichtigkeit reicht. Geniale Details und immer wieder brillante Dialoge, auch wenn die zweiten Hälfte, nach der Flucht Colin Farrells in den Wald, wo er sich einer Untergrundgruppe von Singles anschließt, ein wenig lang geraten ist.

Eine weitere Neuerung des Festivals kann ich dagegen gar nicht gutheißen. Dieser Text entsteht im Pressezentrum, einem weißgestrichenen Raum mit Arbeitsplätzen, WLAN und Espressobar. Nicht jeder Kollege hat den Raum zum Schreiben genutzt, die breiten Sofas waren aber auch zu verlockend für einen kleinen Powernap zwischendurch. Also wurden sie entfernt und durch hohe Barhocker ersetzt, die Füße baumeln in der Luft, nicht mal eine Rückenlehne soll nun mehr die Konzentration der Journalisten stören. Gut möglich, dass hier mal einer vor Erschöpfung vom Stuhl kippt! Ich werde das mal im Auge behalten.

Irrational Man

Cannes

Irrational Man

Woody Allens „Irrational Man“ am Freitag ist dagegen über weite Strecken eine Variation der Alter-Sack-junges-Ding-Geschichte. Joaquin Phoenix ist ein Philosophieprofessor mit Schmerbauch und Alkoholproblem, dessen verwaschene Intelligenz eine seiner Studentinnen (Emma Stone) betört. Er wehrt sich gegen ihre Avancen, stattdessen reden sie über Kant und Kierkegaard und die Diskrepanz zwischen Theorie und dem realen Leben. Hm. In der zweiten Hälfte kriegt der Film dann doch noch einen unerwarteten Twist, bleibt aber doch eins von Allens uninteressanteren Werken.

Nun steht ein übervolles Wochenende bevor, mit Nanni Morettis „Mia Madre“, der Amy Winehouse-Doku, Joachim Triers „Louder Than Bombs“ und Gus van Sants „The Sea of Trees“. Am meisten freue ich mich auf Todd Haynes’ Patricia Highsmith-Adaption „Carol“, in dem sich Cate Blanchett und Rooney Mara im New York der Fünfziger Jahre ineinander verlieben. Wenn jemand Frauen inszenieren kann, dann der Mann hinter Melomeisterwerken wie „Far from Heaven“ und „Mildred Pierce“.