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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

28. 12. 2014 - 10:52

Normcore

Rewind 2014: The Year in Music, Teil 2. Run The Jewels, traurige Gitarren. Und: 40 Alben des Jahres.

Rewind 2014

Das Jahr im Rückblick, alle Highlights, die besten Storys und wegweisende Entwicklungen

Digital Witnesses
The Year in Music, Teil 1. PC Music, St. Vincent, FKA Twigs, Fatima Al Quadiri

Reality Bites: Der aus Atlanta stammende MC Killer Mike und der New Yorker MC und Produzent El-P haben mit dem zweiten Album ihres Projekts Run The Jewels eine Platte aufgenommen, die fast schon prophetisch die Unwirtlichkeiten der Gegenwart abklopft.

Raum für Party und geile Selbstbeweihräucherung ist hier freilich ausreichend, genauso legen Run The Jewels ihre Ohren aber auch mit hoher Konzentration auf die Schienen der Geschichte und entwerfen ein strenges Gesellschaftspanorama, mit all seinen Widerwärtigkeiten, Ungerechtigkeiten und all seinem Gestank.

Das zweite Album von Run The Jewels, schlicht und wie als Manifest "Run The Jewels 2" betitelt, ist ein Album ohne unnötiges Fett und ohne Bullshit. Kein Bullshit at all. Eine Platte, die sich in mundtrockenem Realismus übt und die nur die allerkiesigsten Wege des Lebens abschreitet. Humor gibt es ebenfalls, mehr als genug, man muss ihn haben, um durchzukommen. "I m so high, you're a hobbit".

Run The Jewels

Run The Jewels

Killer Mike und El-P umkreisen sich in ihren Rhymes, befeuern und ergänzen einander, übertrumpfen sich Zeile für Zeile oder beleuchten eine Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven, die sich dann zu einer bildreichen Erzählung fügen. In soundsovielen Silben geht es gegen Politik aller Seiten, Religion, Medien-Larifari und alle, die es eben nicht gar so gut drauf haben wie unsere beiden Helden. Das sind laut "Run The Jewels 2" so ziemlich alle.

Dreihundertundzwei zitierbare Zeilen über Rassismus, das Pushen von Coke, Stripclub, Sex und soziale Schräglagen und darüber, wer denn aber nun wirklich der Allerdopeste ist. Darunter hat El-P, oft in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Little Shalimar, einen erschütternden Sound gebaut. Scheppern, metallene Beats, Noise. Minimal, dunkel, schief und quietschend.

In dieses Schrottorchester dringen dann aus dem Hintergrund unaufdringlich kleine Soundeinfälle. Eine verbogen dudelnde Funk-Gitarre, ein Synthesizer, den man sich eher im Programm von Radiohead vorstellen würde, eine Posaune im Eröffnungsstück "Jeopardy", Stimmwunder Michael Winslow of "Police Academy"-Fame darf kurz seine Quatsch-approved Robo-Voice beisteuern.

All das protzt nicht, sondern wird Teil einer fehlerfrei ineinandergreifenden gemeinsamen Sprache zweier Typen mit unterschiedlichen Backgrounds. Der Track "Early" erzählt von der Willkür der Justiz und Polizei-Gewalt. In der Strophe des Afro-Amerikaners Killer Mike heißt es da angesichts der Konfrontation mit den Organen des Staats: "And I apologize if it seems like I got out of line, sir / Cause I respect the badge and the gun / And I pray today ain't the day that you drag me away / Right in front of my beautiful son". El-P, weißer Mann, darf hingegen den Song beruhigt beenden und muss keine Angst um seine alltägliche Routine haben: "Go to home, go to sleep, up again, early".

Ein Klassiker, jetzt schon, mit gerade einmal 39 Minuten Laufzeit angenehm schlank serviert, und gar Zack De La Rocha von Rage Against The Machine fließt auf dieser Platte eine sehr gute Strophe, die beste seiner ganzen Karriere, aus dem Mund, die pflichtbewusst, geschichtsbeflissen und unpeinlich Miles Davis und Eric B. & Rakim zitiert. Check Out My Melody.

Einer der Newcomer des Jahres, der ebenfalls aus Atlanta stammende MC und Sänger iLoveMakonnen, inszeniert die Themen vom Drogenhandel, vom harten echten Leben und Partymachen mit heliumgeschwängerter Leichtigkeit und mit lustig verpitchter Stimme derart luftig und weich, dass dieses Jahr da und dort immer wieder die öde Frage auftauchen musste, ob das denn überhaupt noch so richtiger HipHop sei, was der junge Mann da fabriziert.

40 Alben des Jahres:

40 Copeland – "Because I'm Worth It"

39 iLoveMakonnen – "iLoveMakonnen"-EP

38 Gazelle Twin – "Unflesh"

37 Alvvays – "Alvvays"

38 Fatima Al Quadiri – "Asiatisch"

37 Rustie – "Green Language"

36 Dorian Concept – "Joined Ends"

35 Fear Of Men – "Loom"

34 Bing & Ruth – "Tomorrow Was The Golden Age"

33 Ariel Pink – "Pom Pom"

32 The Body – "I Shall Die Here"

31 Flying Lotus – "You're Dead!"

30 Kassem Mosse – "Workshop 19"

29 Hundred Waters – "The Moon Rang Like A Bell"

28 St. Vincent – "St. Vincent"

27 Freddie Gibbs & Madlib – "Piñata"

26 Objekt – "Flatland"

25 Swans – "To Be Kind"

24 Edward – "Into A Better Future"

23 Trümmer – "Trümmer"

22 Mac DeMarco – "Salad Days"

21 Actress – "Ghettoville"

20 FKA Twigs – "LP1"

19 Todd Terje – "It's Album Time"

18 Die Heiterkeit – "Monterey"

17 Perfume Genius – "Too Bright"

16 Andy Stott – "Faith In Strangers"

15 YG – "My Krazy Life"

14 How To Dress Well – "What Is This Heart"

13 PC Music – DISown Mix

12 Angel Olsen – "Burn Your Fire For No Witness"

11 Von Spar – "Streetlife"

10 Grouper – "Ruins"

9 Caribou – "Our Love"

8 Arca – "Xen"

7 Sharon Van Etten – "Are We There"

6 Run The Jewels – "Run The Jewels 2"

5 Sun Kil Moon – "Benji"

4 Ja, Panik – "Libertatia"

3 Vessel – "Punish, Honey"

1 The War On Drugs – "Lost In The Dream"

Lost in the Dream

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1 Aphex Twin –"Syro"

Aphex Twin

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Formatgetreuer hat da das ziemlich fantastische Album von YG aus Compton abgeliefert. "My Krazy Life" heißt die Platte nur richtig, klassisch geprägter Rap von der Westküste, beseelt vom Geist von G-Funk, das Leben als Gangster, von einem Producer der Stunde, DJ Mustard, mit modernem Anstrich versehen und Geplinker geschmückt. Geschichten aus dem wahren Alltag, so nahe dran, man musste sie teils fast schon für fabriziert halten. Spitzenplatte, die auch alle Hässlichkeiten mitbringt.

Der schön schaurige Blick in die intimsten, oft unangenehm schaukelnden Gefühlswelten hat 2014 einige großartige Alben befördert. Der oft übel beleumundete Typus "Singer/Songwriter", der vermeintlich das normale, schwierige Dasein in der geheimsten Stube ohne Pose und Utopia abbildet, war heuer willkommene Botschafterin einer Zärtlichkeit, einer Leidensmusik, einer inneren Einkehr, die nicht miefig und vorgestrig daherkommt. Wenn draußen alles explodiert und lärmt, ziehen wir uns noch einmal die dicke Decke bis unter die Nase.

Der New Yorker Musikerin Sharon Van Etten ist mit ihrem Album "Are We There" ein Meisterstück zeitlos-traditionellen Songwritings geglückt, weihevolle, kräftige, zerbrechliche, zerstörte und hoffnungsvolle Lieder aus Licht und Dunkelheit. "Your Love Is Killing Me" nennt sich da ein sehr guter Song unter vielen und genau so ist es.

Die aus St. Louis stammende Angel Olsen hat auf ihrem zweiten, genauso sehr guten Album mit dem toll bedeutungsschwangeren Titel "Burn Your Fire For No Witness" die ganze Angelegenheit von Herzschmerz, Liebesfunkeln und Liebesblödsinn Richtung Folk, Country oder Leonard-Cohen-Elegie gedeutet, vor allem aber hat das überall zu Recht beklatschte Album "Lost In The Dream" von The War On The Drugs dieses Jahr gezeigt, was heutzutage mit dem ollen Format "Gitarrenband" noch so anzustellen ist.

Dabei klingt das, was der Musiker Adam Granduciel mit seinem in Philadelphia stationierten Projekt da so braut, so betont unmodern wie kaum nur irgendwas. Vom schicken Trend-Leben in Ruhe gelassener Cool-Dad-Rock, ein Verschmelzen von Krautrock-Motorik, vernebelten Gitarrenwänden und mal kernigem, mal nasal-verzweifeltem Songwriting-Songwriting, das sich ausdrücklich bei kaum Geringeren als Springsteen, Dylan und Petty bedient und so tönt, als hätte es wirklich nie anders sein können. Es gibt ein Saxophon, eine Mundharmonika, Gitarrensoli.

Was The War On Drugs im bestdokumentierten Beef des Jahres jenseits von HipHop die Bezeichnung "Beer Commercial Lead-Guitar Shit" eingebracht hat. Mark Kozelek, einst Kopf der großen Trübsalbläser Red House Painters, hat sich diese Umschreibung für die sicherlich emotional geladene und schön überfrachtete Musik Granduciels ausgedacht, er selbst hat dieses Jahr mit seinem Solounternehmen Sun Kil Moon in musikalischer Hinsicht Reduktion betrieben.

Auf seinem hervorragenden Album "Benji" erfüllt Kozelek die Vorstellung vom Liedermacher und Geschichtenerzähler in einer so altertümlichen und konservativen Art, dass man sich jedes Mal aufs Neue wundern muss, wie es mit rechten Dingen zugehen kann, dass diese Platte, der alles außer der eigene Alltag egal ist, so wunderlich am Herzen rühren kann. Zu kärgster Instrumentierung singt Kozelek auf "Benji" vom Tod, der Familie, vom Älterwerden und vom Tod. Durch den Griff ins Privateste, zurück auf emotionale Souvenirs, die nur ihm gehören, stellt er die Verbindung zur Welt her.