Erstellt am: 27. 12. 2014 - 10:26 Uhr
Digital Witnesses
Das englische Label PC Music ist das Label des Jahres 2014 gewesen, unter anderem, weil es schon in seiner Anlage und gesamten Konzeption frech die Behauptung aufstellt, Trend und Marke aus dem Heute zu sein. Viel ist diskutiert worden über PC Music, viel geschimpft und lustvoll ausgeflippt angesichts des überschäumenden Einfallsreichtums des Labels. Aber hört diesen aus allen Fässern gezapften Wahnsinn auch tatsächlich jemand?
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Diese überdrehte Verquickung von Happy Hardcore, Bubblegum-Pop, Nineties-Boygroup-Quatsch, Energydrink-Filterhouse und Brausepulver-Trance? Auch wenn PC Music heuer tatsächlich einige wunderbare Stücke veröffentlicht hat, selbstredend fast ausschließlich digital und sehr oft gratis, hat das Label aber vor allem geschafft, sich als eigenes Logo, ein schrill leuchtendes, in Szene zu setzen.
Ein Label muss, im Überschwang der Gegenwart und im Dauergeblitzel der Stimulanzen, mehr denn je Symbol sein und nicht bloß öde Vinyl vertreiben. Ende nächsten Jahres dürfte PC Music vergessen, geächtet und gedemütigt sein. 2014 aber hat das Label ein erfreuliches Knall- und Hup-Orchester bereitet.
Und war auch schönes Wechselprogramm zu nach wie vor hoch im Kurs stehendem Dekonstruktions-Techno, der den Verfall von Industrie und Technologie vertont. Sehr gute Alben von Menschen wie Arca, Vessel, Andy Stott, Sd Laika, Objekt oder Actress haben ehrfurchtgebietend demonstriert, wie das denn so klingen könnte, wenn die Fabriken aufhören zu arbeiten, die Maschinen langsam stoppen bzw. ohne menschliches Zutun, ohne Zweck und Sinn von alleine weiterlaufen. Krise. Wie können sich der Mensch und der Fortschritt bloß einigen?
Die amerikanische Musikerin Annie Clark hat sich dieses Jahr für ihr Projekt St. Vincent endgültig ein speziell eigenes Vokabular zurechtmontiert. Auf ihrem vierten, selbstbetitelten Album hat St. Vincent das Folkige, das Erdverbundene, das Weihevolle, das Sweete früherer Platten zugunsten von Kälte, kunststoffhafter Strenge und alienhafter Eleganz, von Synthesizern und eines nervös zittrigen Wave-Funks wegrationalisiert.
Minimale Kraftwerk-Kometenmelodien, die Hibbeligkeit der Talking Heads, Laurie Anderson, Brian Eno. Annie Clarke singt hier, am deutlichsten in dem Song "Digital Witness" zu identifizieren, vom modernen Leben in modernen Häusern mit allen Gadgets und Conveniences, der Durchdigitalisierung und der Dauerkonnektivität - und den damit einhergehenden Gefühlen von Ohnmacht und Vereinsamung. "Am I The Only One In The Only World?" heißt es da, auf verlorenem Posten stehend, beispielsweise prominent auch in "Rattlesnake", dem Eröffnungsstücke der Platte.
St. Vincent
Schon gut abgegraste Themen also, zu denen in den letzten Jahren schon von ziemlich vielen so einiges gemeint worden ist. Von Erika M. Anderson etwa, die das ebenfalls dieses Jahr erschienene Album ihres Alter Egos EMA wenig zuversichtlich "The Future's Void" genannt hat.
Sie setzt auf dieser Platte ebenfalls stärker als bisher auf Elektronik, verhandelt ähnlich gelagerte Themen wie St. Vincent: Corporate Überwachung des freiwillig sich in die Abhängigkeit begebenden Consumers, digitale Paranoia. Das geht bei EMA nur stellenweise gut, im programmatischen Song "Satellites" beispielsweise, sehr oft wirkt die wie supercasual eingestreute Internet-Lingo schon heute superdated, in dem sonst ziemlich fantastischen Stück "3Jane" singt EMA allen Ernstes in ironischem Douche-Duktus "The Interwebs". Cyberpunk riecht hier nach Steampunk.
St. Vincent glückt im Gegensatz in schlanker Sprache, durch den einlullenden Einsatz von Wiederholung, dem Zeigen unangenehmer Szenarien der Alltäglickeit und teils schiefer Bilder ein spannender Blick auf bekannte Topoi. Dazu inszeniert sie sich als Hybrid-Wesen, als Cyborg, als funkelnde Menschmaschine, die in der nach wie vor oft so schlicht vorformatierten Indierock/pop-Welt noch ein paar Rätsel aufgeben kann.
Die sich selbst mit elektronischen Impulsen zu erratischen Bewegungen anstachelnde Schaufensterpuppe, die vom Blitzschlag geschockte, eigenhändig und erfolgreich zusammengedokterte Bride of Frankenstein und das weltentrückte Art-Rock-Wunder, das dann eben doch noch die Gitarre, das Rock'n'Roll-Instrument, so bedient wie kaum jemand anderer. Störrisch an ihr ruckelt, die Töne ganz ohne elektrische Verstärkung aus dem Klangkörper rütteln, streicheln und kitzeln zu können scheint. Dabei schreibt St. Vincent nach wie vor echte Songs, die da und dort auch nerven können, sie ist nicht komplett an der Zersetzung interessiert, wie etwa eine Laurel Halo, dazu ist Annie Clark doch zu sehr Musikerin, sie speist mit ihrem etwas durchwachsenen Album jedoch ein hochspannendes und wichtiges Modell in die Außenränder des Mainstreams ein.
Die aus dem Senegal stammende, in Kuwait aufgewachsene und mittlerweile in New York ansässige Künstlerin und Produzentin Fatima Al Quadiri streicht auf ihrem bei Hyperdub erschienen Debütalbum die globale Verfügbarkeit musikalischer Zeichen, von Designs und Wunschvorstellungen hervor. Klischeebilder so genannter Weltmusiken, die die über die Erde verstreuten End-User oft bloß in Form verwässerter Aneignungen, als ausgedünnte Pop-Derivate, als Kopien von Kopien von Kopien erreichen.
"Asiatisch" hat Al Quadiri ihr Album genannt und spielt da mit Sounds, die für den möglicherweise mit abgegriffenen Hollywood-Schemata vom vereinfacht dargestellten, irgendwie diffus "Asiatischen" Aufgewachsenen wohl irgendwie "asiatisch" konnotiert klingen müssen. Stimmfetzen, die in fremden Zungen sprechen, weiche Synthie-Fläche, die gerne das Esoterische beschwören, nachdenklich bimmelnde Arpeggios, Glockentönen.
Wo Al Quadiri das alles herhat, bleibt unbekannt. Aus uralten Computerspielen zusammengesamplet? New-Age-Compilations? Sakralen Traditionals und dem Werbefernsehen der Achtziger? Ein Platte, die wieder einmal die frei zu habenden Wellen jeglicher Musik in Frage stellt, die Authentizität flüchtiger Signale, die Implikationen künstlerischer Aneignungen, aber auch die Aura, die einem greifbaren Artefakt innewohnt. Man kann "Asiatisch" auch ziemlich gut hören.
FKA Twigs
Bei der Durchstarterin des Jahres, FKA Twigs, fügen sich Inszenierung, Artwork, intime Seelenlieder, Sciene-Fiction, Körperpolitik und Quecksilber-Elektronik zu einem vibrierenden Gesamtprogramm. Ein Wandeln durchs Uncanny Valley, währenddessen Kunstfiguren, echte Menschen, tanzende Porzellan-Puppen und Androiden nur mehr schwer auseinanderzuhalten sind. Die Musik bleibt da auf "LP1", dem Debütalbum der Engländerin, nur ein Teil der Idee - und kann den im Vorfeld hochgekochten Erwartungen bei aller Güte der Platte dann auch nicht ganz genügen.
Normcore - Rewind 2014. The Year in Music, Teil 2.
Und: Die 40 Alben des Jahres.
Den Ausdruck "Future R'n'B" als Beschreibung für ihre Musik kann FKA Twigs nicht ausstehen, "LP1" klingt eben auch so sehr now wie wenige andere Platten dieses Jahr - ein wenig ein Problem des Albums. Was FKA Twigs da gemeinsam mit Producern wie Tic, Arca, Sampha, Clams Casino oder Paul Epworth an delikater Architektur anrichtet, ist teils durch schon dreistes Melken des Zeitgeistes entstanden - für den die Beteiligten selbst freilich auch mitverantwortlich gewesen sind. Entkernter elektronischer Soul, geschmeidig stolpernder Poststep, ein Update von TripHop.
Bisweilen erwachsen hier dann aber doch im besten Sinne verwirrende, magische Momente. Wenn FKA Twigs' Stimme sich in seltsame Spiralen verschraubt, die Musik dazu kurz wie im Augenblick erstarrt scheint, regungslos, vom Blick einer Gorgone für immer im Leben angehalten, um gleich darauf wie ein flinker Eisbach durch schweres Geröll Richtung Erlösung zu stürzen. Die Schalter werden mit spitzen, warmen Fingern umgelegt.