Erstellt am: 9. 11. 2014 - 13:26 Uhr
Die letzte Nacht am Ahoi Pop Festival
Nach dem Trail Of Dead Konzert am Freitag sagt mir eine dreiköpfige Besuchertruppe, das Highlight des Festivals kommt erst, wenn Fiva aufspielt. Tatsächlich fasst der Saal beim Auftritt von Fiva gefühlt so viele Besucherinnen wie am ersten und zweiten Festivaltag zusammen. Ein guter Start. Was heißt Start: Zu dem Zeitpunkt hat das verehrte Publikum schon zwei Bands gesehen, die Coves und Clara Luzia. Und jetzt eben Fiva, die ihr Konzert emotional anlegt, als wäre es das letzte. Wenn man viel gibt, kriegt man viel zurück. In dem Fall: Applaus. Glückliche Gesichter. Wow. Und was passiert dann? Auch Applaus, auch glückliche Gesichter, aber halt anders.
Christoph Thorwartl / subtext.at
Christoph Thorwartl / subtext.at
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Aber fangen wir von vorne an. Weit vorne.
Mir war schon am Donnerstag zum Platzen zu Mute. Es ist nämlich so. Was ich mache, ist leicht: nach dem "Warum" und "Wie" fragen. Und sich beruflich darüber freuen, dass es überhaupt Künstlerinnen gibt, die Sachen machen, bei denen es sich lohnt nachzufragen. Weil man mit Ideen konfrontiert wird, auf die man selbst nicht kommen würde. Alles leuchtet halt. Oder ist "dead". Außer den "digital witnesses", die tippen auch aus dem kulturellen Jenseits.
- Clara Luzia live: 10.11. Stadtsaal Wien
- Fiva live: 15.11. Oberwart OHO, 29.11. Trimmelkam Sakog, 6.12. Weekender Innsbruck
- St. Vincent Live: 18.11. Arena Wien
Es hat schon am Donnerstag also begonnen - das Zucken, weil man jemandem gegenübersitzt, der mehr ist als nur "rapper". Die Young Fathers haben bei ihrem Konzert am zweiten Festivaltag gezeigt, dass sie mehr als nur einen Gig spielen. Sie zelebrieren, sie verstören. Sie mögen dabei vielleicht kein einziges Mal eine Freude oder Freundlichkeit ausgestrahlt haben, als sie das Publikum an ihrem durchchoreografierten Kampf teilnehmen haben lassen, aber was für eine Offenbarung. Ich musste dabei die ganze Zeit an St. Vincent denken, die bei ihren Konzerten ebenfalls nicht vor Choreografien zurückscheut. Vielleicht, weil die Gitarre so leicht missbraucht werden kann für ikonische Posen mit gespreizten Beinen. Machen wir's doch mal anders. Brechen wir mit der Erwartbarkeit und dem Image. Inszenieren wir! Bauen wir alles darauf auf, dass Magie möglich wird! Wenn Magie aber ein Zufallsprodukt ist, dann tausche Magie mit Chaos. "I'd like to tame chaos!" Oder auch: Tausche Magie und Chaos mit Intelligenz! Ja genau: Ich, die Konsumentin, der Musikfan, der vorne rechts steht: Ich will, dass Leute clever sind. Dass sie einen Plan und ein Konzept haben. Keine Hülsen, kein "das kommt aus mir so raus". Gebt mir einen Plan, damit ich fragen kann "warum" und "wie" und mir dann mit offener Kinnlade vorsagen kann: "So hab ich das noch nie gesehen." Das hab ich auf dem Ahoi Pop Festival erlebt. Beim Konzert der Young Fathers und bei St. Vincent.
Ahoi! Pop 2014
- Mittwoch: Perrecy, Cherry Sunkist, Seekae, Neneh Cherry
- Donnerstag: Olympique, The Boys You Know, Merchandise, Young Fathers, Palma Violets
- Freitag: Nothing, INVSN, Hidden Cameras und Trail Of Dead.
- Samstag: Clara Luzia, Fiva und St. Vincent
Artikel über St. Vincent tragen in ihren Überschriften Worte wie "artistic integrity" oder "singular sound". Sie sagt Sätze wie "I never envisioned a Plan B. I'm almost immune to the idea of failure!" oder "I'd like to tame chaos". Sie hat ihr viertes (und wichtigstes) Album gemacht, kurz nachdem sie eines mit David Byrne fertiggestellt hat. Tour inklusive. Es ist halt so passiert. David Byrne. Auch so einer, bei dem man das Warum und Wie ewig erforschen könnte. Ein anderer David hat auch eine große Rolle gespielt: Bowie.
Es ist nämlich so: St Vincent inszeniert auch. Fiva öffnet ihr Herz und ihre Arme, sie umarmt mit Songs und Worten. St. Vincent macht scheinbar eine Wand. Eine durchsichtige, kugelsichere Wand. Du kannst sie sehen, aber nicht greifen. Die Show hat nicht nur einen Erzählbogen durch die Setliste, sondern auch durch die fast schon an Politikerinnen-Ansprachen erinnernden Bühnenansagen. Ergänzt wird das ganze durch Choreografien. Es ist keine Tanztruppe dabei wie bei David Byrnes "Ride, Rise Roar" Tour bzw. dem daraus entstandenen Film aber halt minimalistische Hand- und Hüftbewegungen, Bühnenraum erobernde Tanzschritte. Ein Podest, auf dem sie sich herunterräkelt. Alles schreit "Kontrolle": die mit STV Logos ausgestatteten Overalls, die nicht nur die gesamte Band-Crew hinter den Kulissen, sondern auch der Drummer und Keyboarder auf der Bühne tragen. Selbst die Laufmasche an ihren Strumpfhosen schaut geplant und gewollt und inszeniert aus. She's boss. Sie erzählt von Hoffnung und erzählt von ihrer Gemeinsamkeit mit dem Publikum. Könnt ihr euch noch erinnern, als ihr Kinder wart und fliegen wolltet? Es ist ihre Version, Arme und Herz zu öffnen. Für die Idee und ihr Konzept etwas "anderes" auf der Bühne zu machen als nur als Band dazustehen und sich durch vier Alben durchzuspielen, gehört ihr mein voller Respekt. Darin ist sie einzigartig und verströmt die Hoffnung uns noch mit den nächsten vier, wenn nicht vierzig Alben zum Staunen zu bringen. War das Konzert gut? Aber hallo. Ist der Papst katholisch? Ist David Bowie Ziggy Stardust? Na eben.