Erstellt am: 7. 11. 2014 - 14:05 Uhr
Ahoi! Pop Festival in Linz: der zweite Abend
Ahoi! Pop Festival
5.-8.11.2014
Posthof, Linz
Short, aber sharp. Die hierzulande vielgepriesenen, aus Salzburg stammenden Olympique machen am Donnerstag den Anfang im Linzer Posthof, samt Ruderleiberl tragendem Sänger. Eine halbe Stunde steht der Band zur Verfügung, und die "nutzen" Olympique auch gut. Nach dem ersten Ahoi-Pop-Tag sind diesmal schon um Einiges mehr Menschen vor der Bühne als am letzten Abend.
Christoph Thorwartl
Olympique haben ein Publikum. Und sie klingen live härter als ich - die die Band noch nie gesehen hat - vermutet hätte. Mir persönlich ist das bisweilen ja etwas zu "cocky", aber das soll ja nix heißen. Danke fürs Spielen, und rascher Abgang, denn die nächste österreichische Band wartet bereits hinter der Bühne: The Boys You Know. Ich, die sich beschämenderweise nicht sooviel um österreichische Musik kümmert, habe, wie der englischsprechende Mensch sagen würde, einen "soft spot" für dieses junge Quartett aus Wien, seit ich The Boys You Know das erste Mal auf, ah, FM4 gehört habe. Unter diesen Boys gibt es auch ein Girl - Bassistin Sophie Schmiedauer. Alle guten Bands haben eine Bassistin, meint Freund K., also rasch zur Bühne geeilt, wo der Auftritt von The Boys You Know schon voll in Gange ist.
Und tatsächlich ist da irgendwas im Sound, das an J Mascis und Dinosaur Jr erinnert, an die frühen 90er Jahre, als der Alternative-Sound der US-Ostküste so richtig aufschäumte, mit Bands wie den Pixies, Throwing Muses oder eben Dinosaur. Da hüpft das Indierockherz jedenfalls vor Freude. The Boys-You-Know-Sänger Thomas Hangweyrer ist ein Schüchti-Nerd wie er im Bilderbuch, ah im Buch, steht. Das ist selbstverständlich ein Kompliment. Ein Brillen-Shoegazer, der gern in Richtung Gitarrist schaut, wenn er spricht. Volle Kanne Popstar-Selbstvertrauen trifft auf sympathische Unsicherheit.
Weil wir jung sind
Auch The Boys You Know haben nur eine halbe Stunde Spielzeit an diesem Ahoi!-Pop-Abend, und sie verfliegt im Nu. Gitarrenwechsel bei Thomas Hangweyrer, dazu redet der ehemalige Wiener Sängerknabe etwas von steuerlicher Absetzbarkeit am Ende des Jahres. Gitarrenkauf als Abschreibeposten. Ein junger Mann im Hier und Jetzt, zwischen ökonomischer Cleverness/ Überlebensstrategie und künstlerischer Abschottung. Von den Kids, die ausgehen singt er ganz am Schluss des Sets, während er zuhause bleibt: "The Kids We Know". Was soll man/ich da noch sagen, außer "I´m your fan". Diese Songs haben The Boys You Know gespielt: "The Cult", "Money", "Teenager Of The Year", "I Can Wait", "Omar", das superhübsche neue Stück "Indifferent", und den FM4-Hit "All The Other Kids".
Christoph Thorwartl
Wenn die Bühnen doch immer so groß wären, wenn wir spielen, scherzte Thomas Hangweyrer am Nachmittag vor dem Auftritt von The Boys You Know noch. Das würde ihm gefallen. Tags zuvor standen Hangweyrer und Band nämlich noch auf der kleinen Dreiraum-Bühne in der Arena in Wien. Zusammen mit der US-Band Merchandise. Und auch am Ahoi!-Pop folgen Merchandise auf The Boys We Know.
Christoph Thorwartl
Merchandise sind ein Quintett aus Tampa, Florida, das, beeinflusst von klassischen US-Hardcorebands wie Fugazi, erste Musik-Schritte machte. Aber auch Krautrock, Bob Dylan und Neil Young mochten Sänger Carson Cox - ein blonder Frontmann, der optisch etwas an Paul Banks von Interpol erinnert - und Gitarrist Dave Vassalotti. Letzterer ist ein manischer Bühnenmensch und dennoch verlässlicher Co von Sänger Carson Cox. Schon in der Highschool spielten die beiden zusammen, ihre Auslegung von Punk/Hardcore war aber auf den mean streets of Tampa nicht wirklich willkommen. Auch wenn dort stets die Sonne scheint - wirklich?, Tampa ist ein hartes Pflaster.
Christoph Thorwartl
Spätestens seit die beiden dem Straight Edge - also kein Alkohol, keine Zigaretten und so - abgeschworen hatten, kam ihre volle künstlerische Kraft heraus. Alte Electro-Punk-Platten von Suicide, oder auch vom großen Jazz-Mann Miles Davis, entdeckte Carson Cox. Zu neuen Platten fehlte das Geld, aber die Flohmarktschätze wirkten ohnehin Wunder. Dazu der Stoff aus der Kindheit von Carson Cox: die Musik von "Cinderella" und "The Sound Of Music". Cox hat eine ältere Schwester, die in so beeinflusste, und seine Mutter brachte ihm das Singen bei. Merchandise - der Name hat eine gewisse Ironie an sich: etwas an sich Kommerzielles als Gegensatz zum DIY-Punk Ethos.
Christoph Thorwartl
Merchandise waren vor fünf Jahren erstmals im US-Collage-Radio zu hören. "After The End" heißt der neue, erste richtige Longplayer von Merchandise, beim Londoner Plattenlabel 4AD erschienen, samt der superschönen Single "True Moment", die einen so sehr reinzieht, ohne dass man es sofort bemerkt. Merchandise sind ambitioniert, enthusiastisch, und vor allem strahlen sie eine unschuldige Romantik aus. Dass die Band statt einer Drummachine jetzt einen richtigen Schlagzeuger hat - er trägt auch Ruderleiberl an diesem Abend - ist gut. Bitte mehr von Merchandise.
Väterkarenz?
Und dann das: Von dem mean streets of Tampa, Florida zu den mean streets of, ah, Edinburgh, Schottland. Die Young Fathers treten als nächstes auf. Und das ist die wohl beste Show bei diesem Ahoi!-Pop bisher. Bei der Performance dieses Trios bleibt einem der Mund offen. Der Schotte "G" Hastings, und seine Sanges/Rap-Partner Alloysius Massaquoi, der aus Sierra Leone stammt, sowie Kayus Bankole, der aus Nigeria stammt und auch einmal in den Vereinigten Staaten lebte, kommen von der ersten bis zur letzten Sekunde mit einer derartigen Dichte in ihrer Show daher, dass es dafür nur ein Wort gibt: GROSSARTIG.
Christoph Thorwartl
Die frisch gebackenen Gewinner des noch immer prestigeträchtigen britischen Mercury Music Prize - move over Damon Albarn, FK Twigs und Bombay Bicycle Club - sind educational - auch wenn man vielleicht ihre Texte (noch) gar nicht kannte. Sie sind theatralisch im allerbesten Sinn, mit fantastischer Bühnenpäsenz, haben eine tolle Dramaturgie, eine die Band wirklich gut ergänzende Gastsängerin, und einen extra-phantastischen Schlagzeuger, dem auf die Füße zu schauen allein schon faszinierend ist. Er spielt so, als ob er für den Godfather of Funk, James Brown, gespielt hätte. Seit sechs Jahren gibt es die Young Fathers nun schon, mit ihrem Album "Dead" sind diese "experimental hip hopper" aus Edinburgh nun angekommen. De La Soul für die Gegenwart und die Zukunft? Egal was, die Young Fathers und ihre Darbietung ist powerful, truly powerful. Wiedereinmal kommt spannende neue Musik aus Großbritannien.
Christoph Thorwartl
Und schließich noch die Headliner des Abends: Palma Violets aus London. Für alle unter uns, die noch immer nicht über das Ende der Libertines hinweg sind. Ein Hut, ein Sakko, Chelsea Boots. Britpop meets Garage Rock. Und mein persönlicher Lieblingssong ist auch dabei, "All The Garden Birds", in dem Sam Fryer singt: "Don´t shoot them down". Very British. Ach, wer wird schon den lieben garden birds eine Feder krümmen, wo es doch das bird watching gibt, bei dem kein Vögelchen zu Schaden kommt. Very British.
Christoph Thorwartl
Ahoi! Pop 2014
- Mittwoch: Perrecy, Cherry Sunkist, Seekae, Neneh Cherry
- Donnerstag: Olympique, The Boys You Know, Merchandise, Young Fathers, Palma Violets
- Freitag: Nothing, INVSN, Hidden Cameras und Trail Of Dead.
- Samstag: Clara Luzia, Fiva und St. Vincent
Mit ihrer ersten Single "Best Of Friends" wurde die Band vor zwei Jahren in Großbritannien bekannt. Letztes Jahr erschien dann das Debütalbum, und es gab dazu, wie man in England sagen würde, "a buzz", vorallem mit der zweiten Single "Step Up For The Cool Cats", die vom ex-Pulp-Bassisten Steve Mackey produziert wurde. Die beiden Frontmänner Sam Fryer - Stimme und Gitarre, und Alexander "Chilli" Jesson - Stimme und Bass, erinnern mich in ihrer Verschmitzheit ja ein wenig an, ah, Max und Moritz. Streiche spielen. Gegen das Schlagzeug treten und ein Tambourin zerschlagen. Palma Violets erfinden das Indierock-Rad nicht neu, aber darum geht es ja auch nicht. Diese Briten haben jedenfalls ordentlich Krach gemacht, und viele glückliche Gesichter gehen raus in die kalte Linzer Nacht. Dieser zweite Ahoi!-Pop-Abend war schlicht und einfach rund.