Erstellt am: 29. 7. 2014 - 17:51 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 29-07-14.
The daily blumenau hat seit Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Mit Items aus diesen Themenfeldern.
Gestern wollte ich ein daily zum U19-EM-Halbfinale machen, das, was zu sagen wäre, geht sich aber auch in den #fußballjournal14-Einträgen, die diese Woche noch folgen, aus. Am Wochenende war ich auf Kurzurlaub.
#demokratiepolitik #medien #symbolpolitik
Die Debatte ist ja schnell zu Ende: klar war der Einsatz unverhältnismäßig; klar geht die Polizei, die mittlerweile wie der politische Arm der AUF, die FPÖ nämlich, agiert, in ihrer Gesamtgewichtung einäugig vor.
Viel wichtiger als die Ob-Diskussion ist die Warum-Frage, und der Versuch einer unaufgeregten Analyse.
Die zeigt meiner Meinung nach zwei seit langem schwelende Tendenzen auf dem Vormarsch in den gesellschaftlich akzeptierten Mainstream. Und beide, sowohl die neue Verortung ideologischer Standpunkte, als auch die Abwesenheit politischer Lösungskompetenzen sind durchaus aussagekräftige Zeit-Zeichen an der Wand.
Tendenz 1: Einerseits lösen sich Gut/Böse-Kategorien auf, andererseits ist Rechts die neue Mitte
In einer Gesellschaft, die keinerlei Diskurs-Kultur kennt, entzündet sich so etwas wie Debatte nur dann, wenn der Symbolgehalt eines Vorfalls genug Breite in ein Thema bringt, um es ganz vage zu halten und auf "eigentlich alles" auszudehnen (die Gender/Hymnen-Debatte des Sommers ist da ein Musterbeispiel dafür) oder wenn es auf eine ganz simple "Fluch oder Segen"-Abstimmung zurechtzustutzen ist.
Nur dann können es die Mainstream-Medien und ihre Unterstützer, die vor Angst um die Kundschaft schlotternden sogenannten Qualitätsmedien bearbeiten; andernfalls trauen sie sich nicht drüber. Angesichts einer ob dieses konstant tiefen Niveaus bereits teilverblödeten kritischen Masse der Gesamtbevölkerung durchaus nachvollziehbar, angesichts der Inkaufnahme der Diskurs-Unfähigkeit einer jungen, gut ausgebildeten Generation, die diese Debatten rein technisch durchaus führen könnte, aber ein Verbrechen.
In der Debatte zum aktuellen Thema Nummer 1, der absurd aufgeblähten Räumung eines besetzten Hauses, werden keine Positionen mehr verhandelt, sondern nur noch Schablonen hin- und hergeschoben.
"Pizzeria Anarchia" wird mit Großaufgebot geräumt
Hundertschaften an Polizisten rückten aus, um in Wien eine Pizzeria zu räumen. Ein beispielloser Polizeieinsatz in Wiens jüngerer Geschichte. Die Live-Twitter-Berichterstattung.
Nach der Räumung der Pizzeria Anarchia
Beobachtungen einer völlig überzogenen Polizeiaktion
The daily Blumenau
Dass die Diskussion um die Hausbesetzer-Räumung ums Thema "unverhältnismäßig oder nicht?" geführt wird, weicht den zentralen Fragen dahinter feig und weiträumig aus.
Pizzeria-Anarchia-Nachwehen
Josef Iraschko ist KPÖ-Bezirksrat in der Wiener Leopoldstadt und arbeitet für das Mieterselbsthilfezentrum. Er hat schon vor der Besetzung und den Protesten die AltmieterInnen rechtlich beraten.
Der vorliegende Fall würde nämlich eine Umkehrung vieler eingefahrener Denk- und Handlungsmuster möglich machen. Denn die im Denken der Law & Order-Fraktion und des alles-bewahrenden Teils der Bevölkerung klar als Bösewichte identifizierbaren Störenfriede und die als Erhalter auf der guten Seite stehenden Besitzer haben hier ja ganz klar die Rollen getauscht: symbolpolitisch sind längst die Immobilien-Spekulanten, die mit kottanesken Methoden an der Vertreibung der Mieter scheitern, die Bösen, und die mit den braven ehrbaren Bürgern in Not solidarisierten Punks die Guten.
Das ist für viele Menschen harter Tobak, bedroht ihre fest verankerten Wert-Einstellungen in ihren Wurzeln, verlangt neue Kategorisierungs-Schemata und fordert das Denken etwa in der Stärke einer Frau mit Bart. Nun wissen wir seit dem Mai, dass das trotzdem möglich ist; wir wissen seit dem Juni, dass das genaue Gegenteil, der pure Backlash, der Schritt zurück der treue Begleiter jedes Schrittes nach vorne ist.
Und dass die Bewahrer, seit sie erkannt haben, dass sich mit wütenden Scheiße-Stürmen und dem guten alten Leserbrief im digitalen Gewand eine Menge Stimmung machen lässt, umso stärker auf der Hut vor allem sind, was vorgestanzte Einstellungen, Klischee-Bilder und alte Kamellen wegwischen und neues Denken in ihr Leben bringen könnte. Denn das ist der Feind der Bewahrer-Koalition: die Veränderung, die durch ein virtuelles Feindbild gutmenschelnder Medienlinken in ihr Weltbild einsickert.
Deshalb war auch der Polizei-Einsatz so arg unverhältnismäßig: weil es galt in diesem Symbol-Fall Flagge zu zeigen; weil der Ärger darüber, dass die alten Parameter nicht mehr greifen, dass die Hausbesitzer die von allen verachteten Spekulanten sind und die Hausbesetzer die empathisch-sozialkompetenten Helden an der Seite des kleinen Mannes, eine besonders wütende und besonders groteske Reaktion zeitigte. Wie immer, wenn ein Weltbild in Gefahr ist.
Wovon in echt natürlich keine Rede sein kann. das Bewahrer-Weltbild sitzt fetter am Thron als jemals zuvor in den Jahrzehnten, die ich politisch überblicken kann. Wenn die Bewahrer (wie im angesprochenen Hymnen/Gender-Streit) empört darüber sind, wegen vollmundiger Aussagen "in die rechte Ecke gestellt zu werden", weil sie doch nur das gesunde Volksempfinden widergeben würden, die Rückkehr zur Normalität wollten oder sonstwie den Stammtisch zitieren würden, dann zeigt das nur ein Verortungs-Problem. Sie sehen dort, wo früher rechts war, die Mitte. Und da alles jenseits der eigenen Ideen links ist, hat eine Mitte aufgehört zu existieren.
Für eine Mitte braucht es eine funktionierende Medienlandschaft, eine mutige Zivilgesellschaft (und nicht deren hier nur wenig überzeichnete Parodie) und ein Bürgertum jenseits des Monarchismus. Weil all das in Österreich nicht funktioniert, gibt es diese Mitte nicht mehr. Weil die Linke pragmatisch unfähig und politisch schwach gebildet ist, ist nicht - wie anderswo, etwa in Deutschland - sie in diese Lücke nachgestoßen, sondern die "Wird-man-doch-noch-sagen-dürfen!"-Rechte.
Die spricht zwar auch mit vielen verschiedenen Zungen, ist sich aber im (einfachen, vorhin bereits angeführten) Prinzip einig. Rechts ist in Österreich also die neue Mitte, dort wo früher rechts war ist mittlerweile Rechtsextrem, wovon man sich (noch) schicklich distanziert.
Die Polizei ist, ideologisch wie personell ein Brennglas dieser Entwicklungen, deshalb die Haudrauf-Lösung von gestern.
Tendenz 2: politische Ohnmacht im Großen führt zum Verlust politischer Lösungs-Kompetenzen im Kleinen
Ich will keiner früher-war-alles-besser-Stimmung das Wort reden. Denn ganz früher, als in Wien noch die Eiszeit herrschte, waren die (bekanntermaßen zumindest nominell linken) Stadtväter und -mütter die Oberunfähigsten wenn es galt, mit Rebellen, Jugendkultur-Forderern oder gar Hausbesetzern zurechtzukommen
Dann, nach vielen Lehren der vielen Besetzungen rund um Arena, WUK, GaGa, Ägidi und Co, hatte sich der Gedanke durchgesetzt, dass die politische der militärischen Lösung vorzuziehen sei; dass Verhandlungen und ein sensibles lösungsorientiertes Vorgehen, das die großteils ja berechtigten Forderungen zumindest einmal ernstnahm, allen Beteiligten mehr bringt als der Polizei-Einsatz.
Diese Kultur ist irgendwann, gefühlsmäßig so in den 90ern, wieder entschlafen. Die Generation Häupl beherrscht sie nicht (mehr) - und hat sichtbar auch keine Lust auf derartige Anstrengungen. Die Grünen haben diese Techniken nie beherrscht, waren - wenn überhaupt - nur mit parodistischen Einlagen unterwegs.
Beide Regierungs-Fraktionen und all ihre kritischen Think Tanks hatten im Fall der Pizzeria Anarchia jahrelang Zeit sich einzuschalten und eine politische Lösung zu suchen und zu finden (mit etwas Willen und machtpolitischem Druck wäre da schon etwas möglich gewesen). Passiert ist nichts.
Von der extrem weit von Jugend und Kultur agierenden Stadt-SPÖ hat niemand etwas anderes als vielleicht ein paar Sonntagsreden gegen Wohnungsspekulation erwartet; von den Grünen hingegen schon. Schließlich ist die Wohnsituation, ist der ins Absurde auslappende Immobilienmarkt, ist der Mieterschutz ein Kernthema der Stadtpartei. Wenn man dann etwas tiefer gräbt, findet man aber Schulterschlüsse mit der Branche, nicht mit den Mietern, als wäre man der Junior-Partner der ÖVP.
Abgesehen von dieser ideologischen Wurschtigkeit besonders erstaunlich ist aber die komplette Abwesenheit von ganz grundsätzlichen lokalen Lösungs-Kompetenzen, von politischen Trouble-Shootern, von Mediatoren und Anpackern.
Klar hat die nationale Politik angesichts globaler Konzern-Gegnerschaft und über Brüssel lobbyierte Gesetze ganz oft kein Leiberl mehr - diese Bewegungsarmut aber auch im regionalen und lokalen Bereich fatalistisch auszuleben und die letzten Felder (wie die der Handschlag-Lösung von Grätzl-Problemen) aufzugeben heißt aber sich als Berufsstand abzuschaffen; und die politische Macht an den aktionistischen Arm der FPÖ, die AUF auszulagern.