Erstellt am: 29. 7. 2014 - 12:52 Uhr
Beobachtungen zur Räumung der Pizzeria Anarchia
"Pizzeria Anarchia" wird mit Großaufgebot geräumt
Hundertschaften an Polizisten rückten aus, um in Wien eine Pizzeria zu räumen. Ein beispielloser Polizeieinsatz in Wiens jüngerer Geschichte. Die Live-Twitter-Berichterstattung.
Nach der Räumung der Pizzeria Anarchia
Beobachtungen einer völlig überzogenen Polizeiaktion
The daily Blumenau
Dass die Diskussion um die Hausbesetzer-Räumung ums Thema "unverhältnismäßig oder nicht?" geführt wird, weicht den zentralen Fragen dahinter feig und weiträumig aus.
Pizzeria-Anarchia-Nachwehen
Josef Iraschko ist KPÖ-Bezirksrat in der Wiener Leopoldstadt und arbeitet für das Mieterselbsthilfezentrum. Er hat schon vor der Besetzung und den Protesten die AltmieterInnen rechtlich beraten.
Natürlich war die Dimension der Räumungsaktion am Montag völlig überzogen. Alles begann schon in der Nacht zuvor einigermaßen skurril - zum Beispiel mit von der Polizei in der Nacht angelieferten Absperrgittern, die ums Eck des besetzten Hauses unbewacht gelagert wurden, sodass sie - wenig überraschend - von den Unterstützern "abtransportiert" und als Barrikaden vor dem Gebäude verwendet wurden. In der Früh wurden dann Journalisten schon zwei Häuserblocks vor der "Pizzeria Anarchia" von Beamten gestoppt. Das "allgemeine Betretungsverbot" gelte auch für Medienvertreter, hieß es. In den umliegenden Straßen und im Wiener Prater parkten mehrere Kolonnen Polizeiautos, dreißig oder mehr, und über uns kreiste ein Hubschrauber. Das alles mutete unwirklich an.
©Christoph Weiss
Ein Journalist nach dem anderen erkundigte sich beim Pressesprecher der Polizei, Roman Hahslinger, nach den Gründen für die Behinderung der Berichterstattung und machte sie öffentlich - bis schließlich ein eigener Pressebereich schräg gegenüber des besetzten Hauses geschaffen wurde. Die Kritik half also, zumindest hier hat die Polizei richtig reagiert.
Zu den kolportierten 1700 Polizisten: Diese Zahl hat die Polizei bisher nicht bestätigt, sie spricht von "mehr als 1000" Beamten, von denen aber die Hälfte - auf ganz Wien verteilt – aus Beamten im Bereitschaftsdienst bestand. Vor Ort waren zu Spitzenzeiten etwa 500 Beamte, von denen meiner Wahrnehmung nach 400 damit beschäftigt waren, die Straßen, die zur "Pizzeria Anarchia" führen, abzuriegeln.
Christoph Weiss
Vor und in dem besetzten Gebäude arbeiteten also etwa 100 Beamte, nämlich die Angehörigen diverser Sondereinheiten. Sie haben die Räumung im Wohnhaus durchgeführt. Dabei wurden etwa acht Stunden lang über drei Stockwerke verteilte Sofas, Metallstangen, Holzbretter, Kühlschränke, und zugeschweißte Türen beseitigt.
Weil sich meine Beobachtungen auf das Geschehen im gesperrten Gebiet rund um die Räumung beschränken, kann ich nicht sagen, was im Haus selbst genau vorgefallen ist. Die Polizei spricht von einem zwei Meter tiefen Loch, das die Besetzer im Erdgeschoß gegraben hätten, von Stolperfallen und einer Falle mit Kühlschränken, die auf die Polizisten fallen sollten. Damit haben sich die Besetzer wohl um Sympathiepunkte in der öffentlichen Wahrnehmung gebracht. Ob die Polizei im Gebäude mit Gewalt vorgegangen ist, habe ich nicht gesehen. Auf der Straße ist mir - von einigen Rempeleien mit Demonstrierenden abgesehen - keine Polizeigewalt aufgefallen.
Einige junge Polizisten, die hinter den Absperrungen standen, haben den Demonstrierenden und Schaulustigen gesagt, dass sie selbst wenig Freude mit diesem Einsatz hätten. Kritik muss vor allem an jenem Polizeibeamten geübt werden, der auch schon anlässlich der Demonstrationen gegen den Akademikerball mit Platzverbot und Behinderung von Journalisten völlig überzogen reagiert hat: dem Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl.
Der von Pürstl befohlene Einsatz war auch diesmal unangemessen. Aber auch die Story, die sich heute in den Sozialen Netzwerken nach dem Stille-Post-Prinzip verbreitet - "OMG, 1700 Polizisten brauchen 10 Stunden, um eine Tür aufzubrechen und 19 Punks aus einem Haus zu holen" - lenkt von den wirklich wichtigen Themen ab - zum Beispiel: Wiens Umgang mit ganz oder teilweise leerstehenden Immobilien.
©Christoph Weiss
Auf Pürstl, dessen Posten vom Innenministerium bestellt wird, hat die Regierung Wiens keinen Einfluss. Doch in Wien gibt es geschätzt 80 000 leerstehende Wohnungen, und das wird nicht ansatzweise ausreichend diskutiert. Das offizielle Wien etwa hat diese drei erbärmlichen Absätze zum Thema Mehrfach- und Zwischennutzung parat.
Dass sich diverse Politiker aus den Reihen der in Wien regierenden Parteien SPÖ und Grüne jetzt betroffen zu Wort melden, ändert nichts an der Tatsache, dass der jüngere Umgang mit Hausbesetzungen in Wien von Versagen geprägt ist. Ohne Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer gäbe es in Wien keine Arena, keine Rosa Lila Villa, kein Amerlingbeisl, kein WUK und kein EKH.
©Christoph Weiss
In den siebziger und achtziger Jahren fand man einen halbwegs konstruktiven Umgang mit Besetzungen – heute nicht. Damals wurden Gespräche geführt und Lösungen erarbeitet. Und auch wenn die Grünen seit gestern darauf hinweisen, dass die Kompetenz für die Polizei beim Innenministerium liegt, nicht im Rathaus: Für die gestrige Schande von Wien ist die Wiener Landesregierung mitverantwortlich.
Alle 19 Hausbesetzer der "Pizzeria Anarchia" sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Sie wurden wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt angezeigt. Rund die Hälfte der Festgenommenen sind laut Polizeisprecher Roman Hahslinger deutsche Staatsbürger. Auch jene zwölf Personen, die am Dienstag wegen Verwaltungsübertretungen vor dem besetzten Haus festgenommen worden waren, sind wieder in Freiheit.
Dass sich bei der Räumungsaktion kein einziger Politiker der SPÖ (wohl aber einer der Grünen, nämlich deren Gemeinderat Klaus Werner-Lobo) gezeigt hat, spricht Bände. Dafür waren aber Vertreter der freiheitlichen Gewerkschafts-Fraktion AUF da und verteilten Essen an die Beamten. Für sie gilt ein "allgemeines Betretungsverbot" offenbar nicht.
Was bedeutet das "Eiserne Kreuz" im Ohr dieses AUF-Mannes? Essens-Lieferant bei der #pizzableibt Räumung. pic.twitter.com/ZlPdyYJjRr
— Andreas Edler (@a_e_dler) July 28, 2014