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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

7. 12. 2013 - 14:05

Trockene Teufel

Was wurde eigentlich aus dem kleinen Jungen aus "The Shining"? Stephen King versucht sich 36 Jahre später in "Doctor Sleep" an einer Antwort.

"Ich denke gern, dass ich immer noch ganz gut schreiben kann, aber nichts kann der Erinnerung an etwas gerecht werden, bei dem wir uns ordentlich gegruselt haben, wirklich nichts, besonders wenn diese Erinnerung aus einer Zeit stammt, in der man jung und leicht zu beeindrucken war." (Stephen King: "Doctor Sleep", Nachbemerkungen)

Randbemerkung:

"Doctor Sleep" ist die Fortsetzung des Romans "The Shining". Die legendäre Filmadaption von Stanley Kubrick nimmt wesentliche Abweichungen am Originalstoff vor, die King - in ewiger Abneigung zum Film - auch in "Doctor Sleep" ignoriert.

Der versiffte, am Boden kauernde Widerling hat seine roten Bäckchen, in die man am liebsten immer und wieder hätte reinkneifen wollen, längst verloren. Das wird Dan Torrance spätestens dann bewusst, als er neben einer Prostituierten am Boden aufwacht. Um ihn herum liegen leere Bierflaschen, Erbrochenes klebt an seiner Zunge, das Kokain liegt angehäuft auf einem Spiegel. Der kleine Sohn der Prostituierten macht sich gerade dran zu schaffen: "Zucka" sagt er. Wie recht er hat.

Dan Torrance ist Single, einsam und schwerer Alkoholiker. Als sein Vater vor knapp vierzig Jahren vor seinen Augen bei einer Explosion um Leben kam, hat er den Verlust nie wirklich verkraftet. Wie konnte er auch? It was a fucked up thing. Erinnern wir uns zurück: Eine dreiköpfige Familie, der Vater ein Autor, der mit seiner Frau und kleinem Sohn (mit ungewöhnlichen telepathischen Fähigkeiten) den Hausmeister in einem Hotel spielen soll. Die Isolation im tiefsten Winter, die verwunschenen Geister aus dem Zimmer 217 und der Alkohol führen von einem zum anderen und Jack Torrance wird wahnsinnig, verfolgt seine Familie mit einer Axt und will sie im Overlook Hotel abschlachten. Man überlebt das Massaker lediglich, weil Jack Torrance in einer klaren Minute den Freitod wählt und sich mithilfe eines überhitzten Kessels mitsamt dem Hotel in die Luft sprengt. Wer kann bei so einem Kindheitstrauma nicht verstehen, dass Danny auf die schiefe Bahn geraten musste?

Jack und Danny Torrance in "the Shining"

Warner

Papa was a rollin' stone

A.A.

"Doctor Sleep" Cover

Heyne

Stephen King: "Doctor Sleep" ist 2013 in deutscher Übersetzung von Bernhard Kleinschmidt bei Heyne erschienen

Dass Dan Torrance zu den Anonymen Alkoholikern findet, ist sein größtes Glück. Tagsüber verrichtet er seine Arbeit in einem Hospiz und begleitet die Sterbenden, so entsteht sein Spitzname "Doctor Sleep" (schon als Kind wurde er von seinen Eltern mit dem Spitznamen "Doc" gerufen). Abends trifft er sich mit Gleichgesinnten, die alle ihr eigenes Päckchen zu tragen haben und ihren Horror mit dem guten Freund, der Flasche, vergessen wollten. Und dann ist da noch Abra, ein kleines Mädchen, das Dan zwölf Jahre nicht kennenlernen, aber dank des Shinings immer begleiten wird. Denn auch Abra hat das Shining, kann Unfälle vorhersehen und Löffel an der Decke schweben lassen.

Und sie erkennt die Existenz einer mörderischen Sekte, die sich "Der wahre Knoten" nennt - eine vampirähnliche Gruppierung, die in Wohnwagen durch die Staaten fährt und insbesondere Kindern mit besonderen Fähigkeiten die Seele aussaugt. Das nennen sie dann "Steam". Früher oder später kommt man natürlich der neugierigen Abra auf die Spur und will sie beseitigen - so kommt Dan in Verbindung mit Abra und auf diese Weise auch ein bisschen Hoffnung in das eigene trostlose Leben.

Stephen King in Deutschland bei der Buchpräsentation

APA/T.Hase

Die Sache mit der Fortsetzung

Dass sich Stephen King zum Release seines neuesten Romans vor kurzem zum ersten Mal öffentlich in Europa gezeigt hat, ist kein Zufall: Handelt es sich bei "Doctor Sleep" doch um die Fortsetzung von "The Shining", einem auch in unseren Breitengraden hochgeschätzten Säulenheiligen des modernen Horrors, nicht zuletzt durch die legendäre (aber von King verachtete) Filmadaption von Stanley Kubrick. Die Fortsetzung der Geschichte war nicht wirklich nötig, aber man nimmt King ab, dass er von seiner Leserschaft hauptsächlich nach zwei Charakteren gefragt wird: Roland, dem Revolvermann, und eben dem kleinen Danny Torrance aus "The Shining". Dass vom Original bis zum Sequel 36 Jahre vergangen sind, zeigt Kings Nachbemerkung, in der er schon fast entschuldigend darauf hinweist, dass "Doctor Sleep" niemals an "The Shining" heranreichen könne. Schuld allein seien natürlich lediglich der um einiges ältere Autor, aber auch die um einiges ältere Leserschaft.

Aber die Krux liegt woanders begraben. King schreibt in seiner 700 Seiten starken Fortsetzung ständig gegen Kubrick an. Zu sehr scheint bei ihm das Bild des roten Käfers verhaftet, den die Familie Torrance im Buch fährt. In Kubricks Verfilmung ist es ein gelber, dafür wird ein roter Käfer am Straßenrand vom einem LKW regelrecht zerquetscht. Ein Sinnbild für den Umgang Kubricks mit Kings Vorlage (man denke nur an Jack Torrances Alkoholsucht im Roman, die im Film wenig ausgeführt wird; den imaginären Freund "Tony" manifestiert im absurden Zeigefinger; das unterschiedliche Ende; nicht zuletzt die Zimmernummer 217, die Kubrick im Film nicht verwenden darf. Stattdessen wurde Room 237 legendär). Das nagt am Meister. King hat selbst das Drehbuch für eine (ziemlich schlechte) Neuverfilmung geliefert, aber auch in "Doctor Sleep" macht er immer wieder deutlich, dass nur er seine Geschichte weiterschreiben dürfe, selbst im Nachwort verkneift er sich nicht einen fiesen Seitenhieb auf Kubrick.

Roter VW in "Shining"

Warner

Kubrick: To hell mit King und seinem Buch

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Die besten Passagen in "Doctor Sleep" sind jene über Dan Torrance, in der King auch seine eigene Alkoholsucht verarbeitet. Die Anonymen Alkoholiker sind die Rettung, die Jack, der Vater, nie angeboten bekam und auch King damals nicht wahrnahm. Es ist die Hilfestellung, wie der Teufel auf dem Trockenen bleibt, insbesondere dann wenn Danny seinem Vater stellenweise immer ähnlicher zu werden scheint. Das macht King überdeutlich und er setzt erneut die Kinder als Kontrast ein (kein anderer Autor beschreibt Kinderfiguren präziser als er). All die anderen Erzählstränge - von vampirähnlichen Sekten und ausgesaugten Kinderseelen - kann man jedoch getrost vergessen. Unnötiger Ballast, wenig glaubhaft beschrieben, fast schon gekünstelt eingebaut. Vor allem deshalb, weil King sich in "The Shining" Mühe gab, das Overlook als verwunschenen und besonderen Ort darzustellen, in einer Welt, die das Dämonische verdrängt. In "Doctor Sleep" wartet an jeder Ecke einer, der einem die Seele aussaugen möchte.

Viel spannender ist die Rolle des Todes in diesem Roman. Dadurch, dass ausgerechnet der kleine Danny als Erwachsener in einem Hospiz die Kranken beim Sterben begleitet, sie zum Einschlafen bringt, rückt King die Kindheit näher an das Ende des Lebens. Beide Zeitpunkte haben etwas gemeinsam, sie sind auf ewig zwischen Unschuld und Bedrohung verhaftet. In solch versteckten Aussagen blitzt auch in "Doctor Sleep" die erzählerische Intelligenz Kings auf, die vor allem seine letzten Romane auszeichnet. Das hätte vermutlich auch Stanley Kubrick so gesehen.