Erstellt am: 4. 11. 2013 - 10:28 Uhr
Vlog: Blut und Liebe
Viennale
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Die schlaue ambre hat es hier im Forum ja schon richtig orakelt, was der diesjährige Überraschungsfilm der Viennale sein würde. Für mich war das insofern gut, weil ich ein bisschen Zeit hatte, mich drauf einzustellen, mir einen Film von dem Regisseur anzuschauen, dessen Gesamtwerk bei mir bloß Schulterzucken auslöst. Und dann geht es in seinem neuen Film auch noch um Wesen, die ich im Gegensatz zu vielen Anderen auch nicht so faszinierend finde: Jim Jarmusch schickt Tilda Swinton und Tom Hiddelston als Vampire auf die Leinwand, der Film trägt den schönen Titel "Only lovers left alive" und ich glaube es ist ein Film für all jene, die früher keine "Stranger than Paradise" Plakate im Jugendzimmer hatten und die keinen "Dead Man"-Altar in der WG errichtet haben.
Als Überraschungsfilm auf jeden Fall eine gute Wahl, weil Jarmusch natürlich viele Verehrer hat, er ist bekannt, aber auch was für Leute, die gern noch in "Arthaus"-Kategorien denken. Die Besetzung ist hochkarätig, aber Tilda Swinton ist ja nicht bloß irgendeine berühmte Schauspielerin, sondern mehr ein nicht kategorisierbares Zauberwesen, als Filmfestivaldirektor kann man, sobald ihr Name fällt, glaub ich, zugreifen und man wird nicht danebenhauen.
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Laute Jubelschreie also, als im ausverkauften Gartenbaukino der Name Jim Jarmusch sich in roter Frakturschrift auf der Leinwand ausbreitet. Eine Schrift, in der früher sicher die Hammer-Studios ihre Dracula-Filme angepriesen haben. Weitere Schreie, als man "Tilda Swinton" lesen kann, erstaunliche Stille bei "Tom Hiddelston". Der Mann, dem auf tumblr täglich zigtausende animated-gif-Denkmäler erbaut und Liebesbriefe geschrieben werden, kriegt hier keinen Jubel ab. Die tumblr-Mädchen und Buben gehen also eher nicht zur Viennale, die Viennale-Besucher verbringen eher wenig Zeit auf tumblr. (So wie Hiddelston).
Funnel of Love
Die erste Sequenz treibt mir fast die Tränen in die Augen, weil ich nach fünf Tagen Viennale so viel überbordenden Gestaltungswillen, üppige Ausstattung, eine sich im Kreis drehende Kamera (und Himmel ist das etwa Rockmusik, die ich da höre?) gar nicht mehr gewohnt bin. Zu Wanda Jacksons "Funnel of Love" umkreist die Kamera einerseits Tom Hiddelston, der in einem Raum voller Vintage-Musik-Equipment auf einem Samtsofa sitzt und anderseits Tilda Swinton, die in einem blumig-goldenen Kaftan vor einem Himmelbett liegt, immer wieder zwischendrin sehen wir die Vinylsingle, die ihre Runden auf dem Plattenteller dreht. Dieser Sequenz könnte ich ewig zusehen, ich bin hypnotisiert.
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Adam und Eve
Adam und Eve heißen diese beiden der Welt entrückten Figuren, sie sind Vampire, jahrhundertealt und seit Jahrhunderten ein Liebespaar. Auch Vampire gehen mit der Zeit, die Zeit der Halsbeißerei ist vorbei, man besorgt sich Blutkonserven bei Ärzten und trinkt zuhause aus kleinen Stamperln. Wie Jarmusch das Trinken des Blutes inszeniert, ist fabelhaft. Im Gegensatz zu der Sauerei, die Vampire in anderen Filmen dabei aufführen, kippen Adam und Eve die kleinen Kristallgläser und sodann kippen ihre Köpfe nach hinten, Musik und Kamera deuten einen rauschartigen Zustand an und wir sehen zum ersten Mal die spitzen Eckzähne der blutleeren Gestalten. Blutleer nur im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinne: Adam und Eve strotzen vor Begeisterung und Liebe für Dinge, das hier sind nicht die Cullens, die den ganzen Tag im Kaschmirpulli Löcher ins Designerhaus starren.
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Musik und Literatur
Adam und Eve sind old souls im wahrsten Sinne des Wortes. Adam ist Musiker und seine Instrumente und Gerätschaften werden nicht nur Rock'n'Roll-Historikern Tränen in die Augen treiben. Nicht nur stapeln sich hier Delta-Blues-Platten auf dem dicken Teppich, da steht eine Revox-Bandmaschine, da gibt es eine Gibson aus dem Jahr 1905, eine Gretsch und eine Telecaster. Adam liebt die Musik, fürchtet aber den Ruhm, schon früher hat er Schubert Musikstücke zugesteckt, damit sie aufgeführt werden. Dass Andere für seine Arbeit gefeiert werden, stört ihn nicht.
Die Art, wie Jarmusch hier einen Rockmusiker-Typus inszeniert, ist fast schon nostalgisch. Adam schaut so aus, wie man sich in den 1980er Jahren Rockmusiker vorgestellt hat. Das schwarze Haar hängt ihm ins bleiche Gesicht, um den Hals trägt er einen kleinen Totenkopf an einem Lederband, seine Mäntel sind lang und schwarz. Vielleicht hat man als Vampir auch irgendwann einfach keine Lust mehr, sich nach der letzten Façon zu kleiden, die Morgenmäntel hat er auf jeden Fall schon 200 Jahre. Ein wenig schaut Hiddelstons Adam so aus wie Jared Leto, falls der sich jemals dazu entschließen würde, zu altern.
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Eve kennt sich auch in der Musik aus und ist unter anderem Fan von Jack White. In einem von vielen mit Deadpan-Humor gespickten Momenten bleiben bei einer ihrer nächtlichen Ausfahrten vor dem Haus stehen, in dem Jack White aufgewachsen ist. Eves Augen leuchten, sofern das bei Vampiren möglich ist. Doch ihre große Liebe gilt der Literatur. Als sie Adam in Detroit besucht, packt sie mit Sorgfalt und Liebe zahllose Bücher in ihre Koffer. Von Kafka über Cervantes bis David Foster Wallace. Die gefälschten Ausweise der beiden Liebenden lauten auf die Namen Stephen Dedalus und Daisy Buchanan und damit sind wir auch schon bei einem Element, das einen großen Teil von "Only Lovers left alive" ausmacht und das die einen lustig finden werden und die anderen nerven wird: Dem bildungsbürgerlichen Dauer-Namedropping. Wenn man seit Jahrhunderten auf der Welt ist, kennt man die eine oder andere Persönlichkeit. Eve zieht Adam mit seinem alten Freund Byron auf, John Hurt murmelt als Chrisopher Marlowe, dass er sich wünscht, er hätte Adam kennengelernt, bevor er "Hamlet" geschrieben hat. Referenzanzahltechnisch kommt "Only Lovers left alive" auf eine "Community"-Dichte. Die einen finden das jedes Mal witzig, wenn ein bekannter Name fällt, mir wird beim ca. zwanzigsten Namedropping ein bisschen fad.
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Dankenswerterweise taucht da Ava auf, Eves Schwester, mit koboldhafter Lust am Unsinn gespielt von der fantastischen Mia Wasikowska. Sie bringt Wirbel in den Film, der sich bis dahin schon auch sehr damit begnügt, die Alabasterkörper von Tom Hiddelston und Tilda Swinton zwischen Seidenlaken zu drapieren und sie in stylischen Posen mit Sonnenbrillen zu arrangieren. So wie es Eve und Adam nach Blut dürstet, dürstet es mich am sechsten Viennaletag aber nach einer Geschichte, aber "Only Lovers left alive" kann diesen Durst nicht stillen, generell ist Jarmusch nicht der Regisseur, an den man sich mit einem Durst für Geschichten wendet. Der Film lebt von der Atmosphäre, der Inszenierung der Nacht, dem unwirklichen Licht, seinen beiden fantastischen Darstellern und der Idee einer jahrhundertealten, großen Liebe.
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Alte Seelen
Im Grunde sind Adam und Eve Hipster Bohemians, die sich an Musik und Literatur erfreuen, großes Fachwissen aufweisen und mit einem gewissen Weltschmerz anmerken, was die Menschen - die sie "Zombies" nennen - mit der Welt angestellt haben. Die Menschen sind die wahren Monster, auch das ist ja eine alte Genre-Erkenntnis. Was für mich, die ich old soul und sentimental fool in Personalunion bin, an "Only Lovers left alive" zum Herzstück wird, ist die unbändige Liebe für Vergangenes. Adam und Eve haben zwar den Vorteil, all die Musiker und Literaten gekannt zu haben, dennoch ist das nicht das Entscheidende. Viel wichtiger ist, dass man sich immer noch mit deren Werken beschäftigt, dass man nie nur im Jetzt zuhause ist, sondern in vielen, vielen Jahrhunderten gleichzeitig.
Und nun?
Durch einen glücklichen Zufall hab' ich eine Karte für die "Anchorman"-Gala am 6. November und kann nun wieder ruhig schlafen. Obwohl ich so spät eingestiegen bin, merke ich eine gewisse Viennale-Müdigkeit und merke, wie ich begierig auf jedes "Thor: The Dark World"-Plakat schiele. Bis jetzt ist es eine Viennale der Mitten, ich sehe nichts, was mich verärgert, aber auch nichts, was mich begeistert.