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Pia Reiser

Filmflimmern

3. 11. 2013 - 12:45

Vlog: Wald und Sterben

Kühle Beobachtungen in "Night Moves" und ein schauspielerischer Triumph von Nicolas Cage in "Joe". Ein Kinotag in den Wäldern von Oregon und Texas.

Viennale

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Ein kleines Geschenk in Form einer Frage für Pop-Quiz-Veranstalter: Was haben "Titantic" und "Night Moves" gemeinsam? (Antwort: Ihre Titel sind auch die Namen von Wasserfahrzeugen, die in den jeweiligen Filmen vorkommen). Statt eines Eisbergs hat aber "Night Moves" etwas viel Besseres, einen Eisenberg, nämlich, Jesse Eisenberg, um genau zu sein. Der lässt sein Markenzeichen, seine schnelle Art zu sprechen, hier hinter sich und gibt den wortkargen Josh.

Jesse Eisenberg

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Er lebt und arbeitet auf einer Art Biobauernhof-Kommune, hier schaut man sich auch gemeinsam Dokus an, die den verschwenderischen und gedankenlosen Umgang mit Ressourcen anprangern. Das sind natürlich Predigten für die ohnehin Bekehrten und an den Gesichtern von Josh und Deana (Dakota Fanning) kann man ablesen, dass sie von diesen Dokus auch schön langsam genug haben. Gemeinsam mit einem Ex-Marine (Peter Sarsgaard), der das nötige Wissen in Sachen Sprengstoff mitbringt, wollen sie einen Damm sprengen. Das soll eine Botschaft für all jene sein, die glauben, es sei in Ordnung, "to kill salmon just so you can run your fucking iPod every second of your life." So explizit wird der Idealismus und die Wut der Aktivisten nie mehr ausformuliert.

Dakota Fanning und Jesse Eisenberg

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Kühle Beobachtungen

Kelly Reichhardts Film bietet keine Plattform für Botschaften von Umweltaktivisten, "Night Moves" ist keine politische Agenda in Spielfilmform gepresst. Wie man es von ihr gewohnt ist, setzt Reichhardt auf Distanz und Zurückhaltung, auf eine Beobachtungs-Perspektive. So wortkarg wie Josh ist auch der Film, der uns über die Figuren nur so viel wie notwendig erzählt. In gemächlichem Tempo und beinah meditativ erzählt der Film zunächst von den Vorbereitungen; was in einem anderen Film vielleicht eine Montage gewesen wäre, wird hier detailreich ausgebreitet. Statt dem theoretischen Hintergrund Platz einzuräumen, inszeniert Reichhardt die mühsamen Vorbereitungen für die Sprengung.

Die Nacht, in der die drei das mit Sprengstoff vollbeladene Boot schließlich am Damm festmachen, choreografiert Reichhardt als fantastischen Thriller-Moment, ohne jemals ihre Art des Erzählens hinter sich zu lassen. Die Explosion findet dann – typisch Reichhardt, untypisch für jeden anderen Film – offscreen und beinah lautlos statt. Und die Explosion kawummt auch die zweite Hälfte des Films ein, der Ex-Marine und Deana verschwinden beinahe von der Bildfläche und wir sind mit Josh und seiner Angst allein.

Dakota Fanning, Jesse Eisenberg und Peter Sarsgaard in "Night Moves"

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Angst und Paranoia

Jedes Auto, das sich dem Bauernhof nähert, könnte die Polizei sein, jede Person mit Handy am Ohr scheint plötzlich verdächtig. Mehr über den Film zu verraten, würde ihm ein bisschen die Tour vermasseln, nur so viel: Thematisch und auch auf das Tempo bezogen, erinnert "Night Moves" hier an Paranoia-Thriller der 1970er Jahre, Josh wird zu einer von Schuld gebeutelten Figur mit Patricia-Highsmith-Dimensionen. Und trotz der Tragik und des Dramas der zweiten Hälfte lässt einen "Night Moves" beinahe teilnahmslos zurück. Was hängen bleibt, sind weniger die Figuren als die Konzepte von "Natur", die Reichhardt einfängt. Die wilde, unberührte Natur durch die Josh streift und in der er Vogelnester, die vom Baum gefallen sind, wieder behutsam auf Äste bettet. Dann sind da die nachhaltig bebauten Felder des Biobauernhofs und dann ist da noch die halb gezähmte Welt der Camper. Die mit ihren Wohnzimmern auf Rädern auf den Campingplatz fahren, um dann im Wohnmobil fernzusehen.

Joe und Gary

Und wir bleiben im Wald, ich nehme an, es ist alles andere als Zufall, dass nach "Night Moves" David Gordon Greens "Joe" am Programm steht. Wir gehen also mit Nicolas Cage in die Wälder und werden Zeugen davon, dass für Cage auch das gilt, was für Matthew McConaughey gilt: wenn sie in Filmen spielen, die im Süden der USA angesiedelt sind, laufen sie zu Höchstform auf. "Joe" wird – wie Werner Herzogs "Bad Lieutenant" – zu einem schlagkräftigen Argument, falls jemand wieder mal die schauspielerischen Fähigkeiten von Cage anzweifeln will.

Nicolas Cage in "Joe"

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Joe trägt Vollbart und Pantera-Leiberl, wahrscheinlich trinkt er ein bisschen zu viel. Wenn das Wetter passt, packt er eine Gruppe Arbeiter in seinen Truck und fährt sie in den Wald, dort sind sie dafür zuständig, Bäume zu "vergiften", damit sie abgeholzt und das Waldstück mit neuen Bäumen bepflanzt werden kann. Mit Bäumen, die mehr Geld einbringen. Eines Tages wird der 15jährige Gary im Wald auftauchen und Joe um einen Job bitten, aber "Joe" wird nicht der Film von der "ungewöhnlichen Freundschaft", den man vielleicht an dieser Stelle erwartet. Stattdessen zieht David Gordon Green ein texanisches Kuriositätenkabinett auf und zeigt, dass in diesem Staat Suff und Karies an der Tagesordnung stehen. Marod und ramponiert ist hier alles, Coca Cola gibt es hier zwar auch, aber das ist auch schon das einzige, was dieser Ort mit dem Mythos der USA zu tun hat, der vom Tellerwäscher erzählt, der Millionär werden kann.

Tye Sheridan in "joe"

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Narbengesichtige Gestalten mit verfaulten Zähnen humpeln die Straßen entlang, jeder hier ist, wenn nicht sowieso gebrochen, dann doch zumindest angeknackst. In diesem Szenario aus verfaulten Träumen und verdreckten Häusern wird Joe zu einem Vorbild von Gary, der unter seinem gewalttätigen und von jeder Moral befreiten Vater leidet. Jeder, der "Joe" sieht, wird recherchieren wollen, wer dieser Gary Poulter ist, der diesen Vater spielt und wird auf eine Geschichte stoßen, die so unglaublich wie traurig ist.

Gary Poulter

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Cage, die Naturgewalt

"Joe" ist aber vor allem der Triumph Nicolas Cages, der Joe spielt, den Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, sich nirgends einzumischen, der meint, die Unterdrückung von gewalttätigen Impulsen, die Zurückhaltung sind das einzige, was ihn am Leben hält, ist atemberaubend, Zurückhaltung ist es auch, die Cages Spiel hier so herausragend macht – keine Spur von dem (eh auch superen) Overacting, für das er berühmt ist. Cage ist kein Schauspieler, sondern eine Naturgewalt.

Die dunkle Wolke aus Gewalt und Unglück, die über "Joe" hängt, verschwindet nur kurz. Wenn Gary und Joe sich mit dem Auto auf die Suche nach Joes Hund machen, dann möchte man, dass sie einfach losfahren und diesen Ort in Texas weit hinter sich lassen. Ein Ort, an dem sich mitten im Wald eine Art illegaler Schrottplatz für Boote auftut. Für einen kleinen Moment könnte hier Hushpuppy um die Ecke biegen.

Nicolas Cage in "joe"

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Irgendwann wird jemand ein Buch über David Gordon Green und die Wälder in seinen Filmen schreiben, er ist eine ganz eigene Art und Weise wie er Natur und Menschen zueinander in Beziehung setzt. Das war schon in frühen Filmen wie "All the real girls" so, aber selbst in der fantastischen Stoner-Komödie "Pineapple Express" gibt es einen unglaublich lyrischen, magischen Moment im Wald. Das Schlussbild von "Joe" zeigt Gary bei einem neuen Job und wer die neue Aufgabe mit der vergleicht, die er für Joe erledigt hat, der kann nicht anders, als am Horizont hinter dem Wald einen Silberstreif zu sehen. "Joe" ist der erste Film der diesjährige Viennale, der eine körperliche Reaktion hervorruft, ganz im Gegensatz zu "Night Moves" bleibt man hier nicht teilnahmslos.

Und dann?

Auf zum Überraschungsfilm!