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Pia Reiser

Filmflimmern

2. 11. 2013 - 10:07

Vlog: It ain't over till it's over

Eine Frau, ihr Bald-Ehemann, zwei Töchter, ein Quasi-Stiefsohn und zwischendrin ihr Noch-Ehemann mit Mary Poppins-Qualitäten. "Le Passé" seziert etwas überkonstruiert eine familiäre Konfliktsituation.

Viennale

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Während ich überlege, warum die Viennale es nicht nutzt, dass sich ihr Zeitraum mit Halloween überkreuzt und sowas wie eine kleine Hallowiennale veranstaltet, kratze ich Tixoreste von Fenstern und Wänden und hänge Glitzervorhänge ab. Das Fest ist vorbei, die Viennale geht weiter. Und während die Stadt feiertagsmäßig wie üblich wie ausgestorben scheint, brodelt und wurlt es im Gartenbaukino. "Le Passé" vom iranischen Regisseur Asghar Farhadi, ein Mann, der einiges dazu beiträgt, das mediale Bild des Iran zu erweitern, ist mit ordentlichen Cannes-Vorschusslorbeeren auch auf der Viennale angekommen. Mit einer Ankunft beginnt auch sein Film, einer Ankunft auf einem Flughafen, also an dem Ort, wo romantische Komödien gerne einen dramatischen Wende- oder Endpunkt nehmen. Den dramatischen Endpunkt haben Marie und Ahmed allerdings schon hinter sich. Marie holt ihren Noch-Ehemann vom Flughafen ab, die Scheidung soll nun endlich vollzogen werden, getrennt sind sie schon seit vier Jahren.

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Mit nur wenigen Gesten und Worten spielen Berenice Bejo und Ali Mosaffa dieses ehemalige Liebespaar, die gleichzeitig vertraut und doch entfremdet, einander zugetan und doch immer noch auch verärgert übereinander sind. Beim Ausparken geschieht beinah ein Unfall und erschrocken blicken Ahmed und Marie zurück. Etwas, das sie in diesem Film - im übertragenen Sinne - noch sehr oft tun werden, der Film heißt nicht umsonst "The Past". Und so leicht, wie der auf der Leinwand eingeblendete Titel von den Scheibenwischern weggeputzt wird, so leicht lässt sich die Vergangenheit weder zurücklassen noch vergessen.

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Die Stärke des Dramas ist zunächst Farhadis Schauspielführung und wie er nach und nach uns Informationen zukommen lässt, wie sich langsam das Konfliktnetz vor unseren Augen spannt. Marie lebt mit ihren beiden Töchtern - aus einer Beziehung vor Ahmed -, ihrem neuen Freund Samir und dessen Sohn Faoud zusammen. Samirs Frau liegt im Koma und die Nerven der meisten Figuren blank. Das Haus, das Zuhause ist kein Rückzugsort, wo man sich wohlfühlt, sondern ein Ballungszentrum der Konflikte. Wie sich im Haus, in den verräumten, alten Sachen Ahmeds, den dürftigen Versuchen, etwas neu zu gestalten die Bedürfnisse und Probleme der Figuren spiegeln, gehört zu den Stärken des Films.

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Bedächtig und behutsam zieht Farhadi die Fäden, lässt seine Figuren wie Marionetten zappeln, geleitet und getrieben von der Vergangenheit. Die Ankunft Ahmeds verkompliziert die Wohnsituation, für Samir ist es eh schon nicht leicht, den Noch-Ehemann von Marie im Haus zu haben und dann entpuppt sich der auch noch als etwas, was Kollege Albert Farkas als "die iranische Mary Poppins" bezeichnet. Er kocht hervorragend, kann mit der Wut und dem Trotz des kleinen Faoud umgehen, repariert den Abfluss und wischt den Boden auf. Die Gelassenheit und eine gewisse Überlegenheit von Ahmed sind das Zentrum des Films. Dieser Mann ist im Auge eines Patchworkfamiliensturms gelandet.

Eine gewisse, fast zu penible Konstruiertheit stellt dem Film ein wenig ein Bein. Da ist Celine, die Fau im Koma, die man mit Parfums aus ihrer Vergangenheit versucht, zu einer Reaktion zu bewegen, da sind fast pädagogisch anmutende Szenen über Entschuldigungen und Sühne. Darüber könnte man hinwegsehen, würde sich "The Past" nicht im letzten Drittel in einer fast "Tatort"-artigen Anstrengung bemühen, uns in aller Genauigkeit über zwei ganz bestimmte Tage in der Vergangenheit in Kenntnis zu setzen. Schier endlose Dialoge mit einem reichlich überkonstruierten "Twist" über Flecken in einem Kleid, weitergeleitete E-Mails und Telefonate zermürben mich. Auch, dass Ali Mosaffa hier streckenweise völlig von der Bildfläche verschwindet, nimmt dem Film an Wucht. Das Schlussbild hingegen wendet einen schönen Kniff an, den Blick des Publikums zu erzwingen, das genaue Schauen, eine Aufmerksamkeitspflicht, auch wenn bereits der Abspann läuft. So konzentriert schaut man sonst nur, wenn man erwartet, dass Nick Fury auftaucht.

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Während ich den Ring entlanglaufe und mich wiedermal frage, welcher Menschenfeind für das Lichtkonzept im Cafe am Schwarzenbergplatz verantwortlich ist, wünsch ich mir von der Viennale einen Film, der mich mitreißt, überrascht, irritiert. Und während ich das denke, zieht sich bei der Bimstation ein Mann nackt aus und brüllt, dass er diese eine Frau lieben würde, in die kalte Nacht hinein.

Und jetzt?

Ein Leinwandtreffen mit Jesse Eisenberg, Dakota Fanning ("Night Moves") und Nicholas Cage ("Joe") steht heute an und am Sonntag geht's dann ab in den Überraschungsfilm. Irgendwelche Ideen, was das sein könnte?