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Pia Reiser

Filmflimmern

31. 10. 2013 - 10:54

Vlog: Miau!

Ein Film so exakt und handwerklich formidabel wie ein Schweizer Uhrwerk: "Das merkwürdige Kätzchen" ist eine Alltags-Choreografie mit Bühnensprache und kleinen Irritationen.

Kein Dracula heute

Viennale

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Grad so, als wolle uns das Leben beweisen, dass es die Kunst imitiert (oder eben umgekehrt), erlebt Hans Hurch am Nachmittag im Gartenbaukino, als er einen Film ankündigt, in dem es auch um Irritationen im Alltag geht, eine Irritation in seinem Alltag. Diese Irritation sitzt in Form eines cirka siebenjährigen Mädchens in der ersten Reihe und schlenkert unaufhörlich mit den Beinen hin und her. Ob sie hier sei, um sich den Film anzusehen, fragt Hurch, das Mädchen nickt und als würde sie wissen, dass sie hier eine Art Irritation ist, deutet sie in die dritte Reihe, da sitzt nämlich ihre Mutter. Da machte der Festivaldirektor also genau das, als was er den nächsten Film, Ramon Zürchers "Das merkwürdige Kätzchen", dann ankündigt: "eine besondere Entdeckung".

Junge Frau, Szenenbild aus "Das merkwürdige Kätzchen"

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Papa, Mama, Katze

Als hätte ich den Plan, eine Gegengewichtinale zu veranstalten, entpuppt sich "Das merkwürdige Kätzchen" genau auf der anderen Seite des Filmemachens angesiedelt als Matt Johnsons "The Dirties" vom Vortag. Wo bei dem jungen, kanadischen Filmstudenten Improvisation und Wackelkamera vorherrschten, regieren beim jungen Schweizer Regisseur Komposition und strenge Planung. Natürlich gab es in kleinem Rahmen auch Platz für Improvisation, wird er später erzählen, dass die Katze in einer Szene niest, zum Beispiel, sowas könne man ja nicht planen.

Abgesehen vom Katzenniesen ist "Das merkwürdige Kätzchen" ein durchchoreorafierter Beobachtungsreigen, der fast ausschließlich in der Wohnung einer Familie stattfindet. Mutter, Vater, drei Kinder, ein Hund, eine Katze. Aber auch: Großmutter, Schwager, Schwägerin, Cousine, Cousin und Nachbarskind. Es gibt ja die olle Erzählregel, dass man entweder gewöhnliche Menschen in ungewöhnliche Situationen bringen soll oder ungewöhnliche Menschen in gewöhnliche Situationen. Auf den ersten Blick handelt es sich hier um gewöhnliche Menschen in gewöhnlichen Situationen. In der Altbauwohnung wird ein Essen vorbereitet, die Oma muss man noch abholen, Papa fährt mit der kleinen Clara noch einkaufen und Leergut zurückbringen.

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Alles hin, hin, hin

Doch bald fällt einem auf, dass es in diesem Alltag die ganze Zeit bloß um Mängel und Fehler geht, beinahe jeder Satz ist die Bestandsaufnahme eines Nicht-Idealzustands. Der Knopf ist locker, die Waschmaschine kaputt, ein Glas zerbricht, ein Kind schneidet sich an den Scherben und jemand hat vor die Haustür gekotzt. Zwischen den Dialogen fängt Zürcher immer wieder seine Figuren ein, wie sie einfach nur starren. Auf andere Familienmitglieder oder in's Leere. Spinnt der Hund jetzt auch noch, fragt der Cousin, der zu Besuch ist und drückt aus, dass er wohl findet, dass der Hund nicht der einzige ist, der hier einen Klescher hat.

Famlie in einer Küche stehend, Szenenbild aus Das merkwürdige Kätzchen

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Konjunktiv II

Während die Handlungen der Familienmitglieder tatsächlich alltäglich sind, vom Rauchen am Küchenfenster zum Geschirrspüler ausräumen, so ist ihre Sprache eine, die eher auf der Bühne als in der Altbauwohnung zu Hause ist – einmal wendet Frau Mutter gar den Konjunktiv II an. Aber nicht nur grammatikalisch ist die Sprache der namenlosen Familie außergewöhnlich, auch inhaltlich tun sich kleine, absurde Kleinode auf, die im Gegensatz zur unspektakulären Umgebung stehen. Katzen sind meine Zwiebeln, erklärt der handwerklich begabte Schwager seine tränigen Allergieaugen und später erklärt man, dass die Flasche die Schwester der Wurst sei (das zu erklären, würde jetzt zu weit gehen, man hätte dabei sein müssen!).

Frau in einer Küche sitzend, Szenenbild aus Das merkwürdige Kätzchen

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Irritationen

Das irritierende Moment dieses Films sind wahrscheinlich die Blicke, die vor allem die weiblichen Mitglieder austauschen. Mutter blickt stumm nicht nur auf dem Tisch herum und teilt ab und zu passiv-aggressive Wortspitzen aus. Und einmal auch eine Ohrfeige. Irgendetwas scheint ihn ihr, wenn schon nicht zu brodeln, dann doch zu köcheln. Doch Zürcher setzt nicht zur Küchen(sic!)psychologie an, um von Ehefrust oder dergleichen zu erzählen. Stattdessen lässt er Unzufriedenheit und Ärger auf- und abschwellen. Sich in unvermuteten Dialogfetzen manifestieren.

So durchkomponiert wie Sprache und Bilder ist auch die Tonebene, das Brummen der Kaffeemaschine, das Schnurren des Kätzchens, das Brüllen der kleinen Clara, um die Kaffeemaschine zu übertönen. Alles hier folgt einem Rhythmus. Alles taucht wieder auf. Und der Bann, den der Film entwickelt, hat seine Wurzeln in dieser strengen Konstruktion und Komposition.

Mädchen wirft Flaschen in den Leergut-Automaten

viennale

Würde nicht allzu oft ein Milchglas von der Kamera eingefangen werden, wäre das vielleicht ein Film, der Adrian Monk gefallen würde, so aufgeräumt ist "Das merkwürdige Kätzchen". Minimalistisch und durchkonstruiert ist dieser Film, jedes Element wiederholt sich irgendwann wieder und wenn ein Knopf eben lose ist, dann wird er wieder angenäht.

Filmstill "Das merkwürdige Kätzchen"

Viennale, Ramon Zürcher

Beim Publikumsgespräch entpuppt sich Ramon Zürcher so aufgeräumt und unschwurbelig wie sein Film, also eigentlich genauso wie man sich einen Schweizer Regisseur vorstellt, wenn man jemals schon auf die Idee gekommen ist, sich einen Schweizer Regisseur vorzustellen. Publikumsgespräch-Meisterin Gini Brenner schupft aber auch gewohnt wunderbar den nüchternen und knapp erzählenden Zürcher (rückblickend muss ich ja sagen, mein Highlight der letztjährigen Viennale war das Publikumsgespräch mit Nathan Silver, das auch Gini Brenner geführt hat.)

Dass ich "Historia de la meva mort" sausen lassen muss, zerreißt mir zwar fast das Herz, leider zerreißt mir aber auch fast der Husten bzw. der Versuch, den Hustenreiz zu unterdrücken den gesamten Rumpf und weil nix nerviger ist als Dauerhuster im Kino, fahr ich heim und huste schreibend, nay, schreibe hustend diesen Text. Dabei wär's natürlich so schön gewesen, in "Historia de la meva mort" am Halloween-Vorabend auf Dracula zu treffen.

Naja und jetzt?

Die Viennale schafft das, was sonst nur die Kaffeeküche am Schottentor schafft: in Wien, diesem Hort des Grants ausschließlich freundliche und gut gelaunte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu haben. Morgen bereite ich dann das Viennale-Poster-Special vor, am Freitag geht's weiter mit "Le Passe": Berenice! Bejo!

P.S. Mon Dieu, der "X-Men: Days of Future Past"-Trailer, wie soll sich denn da ein Mensch auf die Viennale konzentrieren!