Erstellt am: 30. 10. 2013 - 10:31 Uhr
Vlog: Bang! Bang!
Apropos: "Murder she wrote": Da ist ein Reboot in Planung
Nach zehn Tagen, in denen ich den tiefen Schlaf der Gerechten und Erkälteten nur für zwei Nachmittagsfolgen "Mord ist ihr Hobby" und den neuen Roman von Ferdinand von Schirach unterbrochen hab, tausche ich Kranken- gegen den Einstand, den, ja genau, Viennale-Einstand. Was hab ich bisher verpasst, was geschah previously on Viennale? Offenbar, dem Rumoren aus den Freundes- und Bekanntenkreisen zu urteilen, nicht viel. "The Act of Killing" ist der einzige Film, der Leute aus der Bahn wirft und nachhallt, ansonsten dringt nur schulterzuckendes "Meh" über den Eröffnungsfilm "Inside Llewyn Davis" zu mir durch. Beide haben einen Österreich-Start, beide werde ich dann nachholen.
Ich bin Nell
Nach zehn Tagen also zwischen Sofa, Bett, Badewanne und Wartezimmer kann der erste Ausflug in die echte Welt ein wenig seltsam anmuten, ich fühl mich, als ich nachmittags im rappelvollen Gartenbaukinofoyer ankomme, ein bisschen wie das Truffaut'sche Wolfskind, ein bisschen wie Jodie Fosters Nell. Chicka, chicka, chickabee murmle ich, aber eh so leise, dass nur ich es hören kann und tauche ein, in die Viennale. Und die beginnt nicht mit der Pressekonferenz, nicht mit dem Eröffnungsfilm und auch nicht mit der Veröffentlichung des Trailers. Die Viennale beginnt, wenn sich zu der schön verhatschten Melodie, dieser Melange aus Walzer und Pratergedudel der Schriftzug der Viennale auf der Leinwand ausbreitet. Ein Stück Musik, zu dem Harry Lime und Helmut Qualtinger angeduselt zu tanzen scheinen und das S. mal so schön als das "Stille Nacht" der Viennale bezeichnet hat. Dank dieser Melodie komme ich also an und stecke nun mittendrin im Filmfestival.
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The Dirties
Matt Johnsons Debütfilm "The Dirties" ist mehr als nur gut besucht, geradezu ausverkauft wirkt der Saal des Gartenbaukinos, im Programmtext der Viennale zu "The Dirties" griff man zu einem Wort, das man nur selten hier findet: "Lustig". Und tatsächlich entwickelt die Fake-Dokumentation von der ersten Minute an eine ganz eigene Form der Komik, eine Komik über der allerdings eine Art Damoklesschwert hängt, steht dem Film voran doch die Warnung, dass der Film "Graphic violence" beinhalten würde und dass man - aus Rücksicht und Respekt vor den Opfern - das Originalmaterial nicht verändert hätte. Alles nur ein Trick, so erzählt Regisseur, Hauptdarsteller und Drehbuchautor Johnson später, um die Aufmerksamkeit der Filmfestivals zu erhaschen und um die Inszenierung von "The Dirties" als Dokumentarfilm so gut wie möglich aufrecht zu erhalten.
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Thomas Edlinger hat Matt Johnson zum Interview getroffen, das ganze gibt es am Sonntag, 3. November Im Sumpf (21-23 Uhr) zu hören
Matt und Owen sind Freunde, die einen Film über die Bullies an ihrer Schule drehen, dieser Film heißt wie die Gruppe der Bullies: The Dirties. Doch Johnson hebt mit seinem Film zu keiner Bestandsaufnahme der Missstände an amerikanischen High Schools an oder zu psychologischen Erklärungsversuchen verwirrter (männlicher) Teenager-Seelen. Vielmehr als um die Bully-Ungustl, die es an allen Schulen gibt und deren destruktive Macht, geht es in "The Dirties" um eine Freundschaft - und ums Filmemachen, wir schauen dem Film ja tatsächlich beim Entstehen zu. Wie wäre es hier mit einer Montage zu einem Song von "Best Coast" fragt sich Matt und dann sehen wir eben genau das.
Mit Wackelkamera, die sich in der zweiten Reihe als Belastungsprobe für meinen angeschlagenen Kreislauf erweist, folgen wir den Freunden in den schlabbrigen Jeans mit den Löchern in der Kniegegend in den Keller von Matts Familienhaus, ein Raum vollgepflastert mit Filmplakaten, von "Schindlers Liste" bis "Requiem for a dream". An einer Wand nur Comics, "The Office"-DVD Boxen im Regal und über dem riesigen Monitor, wo der Film geschnitten wird, hängen Poster von Ben und Seth aus "The OC", deren Namen haben die Freunde aber mit ihren eigenen überklebt, ich sag ja, der Film hat eine ganz eigene Komik.
Peeping Tom
Dann hat Matt eine Idee. Was, wenn man die Bullies tatsächlich über den Haufen schießen und das Ganze filmen würde? Wie "The Dirties" ohne Anstrengung von den Szenen aus dem Leben zweier Filmgeeks, zwischen Plänen, wie man Mädchen für sich gewinnt und dem Ballern auf Melonen und leere Flaschen in der Ödnis in düstere Gefilde driftet, ist eines der inszenatorischen Wunder des Films. Ein weiterer, sehr raffinierter Kniff betrifft die Kamera. Hinter der steht ein nur ein paar Mal direkt angesprochener Freund von Matt und Owen, der alles mitfilmt, aber nie eingreift. Daraus entwickelt Johnson aber keinen moralischen Zeigefinger, der den passiven Blick mit uns gleichsetzt und uns das Nicht-Eingreifen vorwirft, sondern einen so interessanten wie verstörenden Blickwinkel.
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Mit popkulturell angefütterter Leichtigkeit (bereits in den ersten Minuten fallen Anspielungen auf "Irreversible" und "The Ususal Suspects") erzählt Johnson, sein Film lebt von der Chemie zwischen ihm und Owen (der im echten Leben übrigens Lehrer an einer High School ist). Wie der junge Regisseur und Filmstudent später beim Publikumsgespräch erklärt, ist das meiste an "The Dirties" improvisiert, die Dialoge zwischen ihm und Owen, vor allem Owens Frustration über Matts Besessenheit, alles als Filmszene zu sehen und stets "zu spielen" entsprechen tatsächlichen Vorwürfen.
Viennale
Alle Artikel zum Vienna International Film Festival
- fm4.orf.at/viennale: Das Viennale Tagebuch startet am 25. Oktober 2013
- Will Ferrell Tribute: Eine Verbeugung vor dem Komödianten
- Viennale Spezial: 3 Stunden Radioprogramm zum Nachhören
- orf.at/viennale
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Wie für seine Filmfigur, wird auch für Owen Williams der Film zur Belastungsprobe. "He hated shooting that movie", so Johnson. Trotzdem gibt's zumindest als runnig gag zwischen den Beiden Pläne für "The Dirties 2" - in 10 Jahren oder so soll das stattfinden. Für die Viennale in zwei Jahren aber würde er einen Film machen, der zehnmal besser als "The Dirties" sei, es würde um CIA Agenten und die Inszenierung der Mondlandung in einem Studio in den 1960er Jahren gehen. Nicht, dass er daran glauben würde, aber nach seinem Film, wird jeder glauben, dass die Amerikaner noch nie den Mond betreten haben. Das ist der beste Teaser, den ich seit langem für einen Film gehört habe, ich würd mir gern jetzt schon ein Ticket reservieren.
Einer der größten Fans von "The Dirties" ist übrigens Kevin Smith, der hat ihn nicht nur im Rahmen seines "Kevin Smith Movie Clubs" präsentiert, sondern nennt ihn auch "einen der wichtigsten Filme des Jahres". Hier Kevin Smith und Matt Johnson im Gespräch beim Smodcast.
Und sonst so?
Heute dann "Das merkwürdige Kätzchen" und "Historia de la meva mort". Was hab ich versäumt, was sind eure Highlights und wieso hat "Prince Avalanche" noch keinen Starttermin in Österreich?