Erstellt am: 2. 10. 2013 - 20:10 Uhr
"Ich muss schreiben, sonst gehts mir nicht gut"
Eine politische Kurzgeschichte benötigt einen Ort mit besonderem Flair. Oder einer gewissen Historie. Und wenn wir nicht in den Irak kommen, kommt der Irak eben zu uns. Nach Wien. Wir klingeln an der Tür beim Ö1-Newsroom und warten auf Einlass. Hier laufen alle Drähte zusammen, hier stapeln sich die Berichte der Nachrichtenagenturen und Auslandskorrespondenten, hier wird die politische Lage im Irak genau inspiziert. Der Sturz Saddam Husseins, die Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten und die sich in letzter Zeit wieder häufenden Anschläge und Selbstmordattentate. Und hier findet das Interview statt.
Katharina Tiwald wollte selbst nie Journalistin werden. "Das geht sich nicht aus", meint sie. "Heiraterin", ihr Berufswunsch als Kind, ist sie aber auch nicht geworden. "Da heiratet man und muss nie mehr arbeiten!"
Katharina hat Linguistik und Russisch studiert und arbeitet als Lehrerin. Am Unterrichten schätzt sie, dass sie anderen Menschen etwas beibringen kann und wenn es dann Klick bei ihnen macht, denn das sei ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Sie hat nach dem Studium Flüchtlingen Deutsch beigebracht, die wiederum haben ihr Interesse für andere Kulturen und Außenpolitik beeinflusst. Jetzt unterrichtet sie an einer Hauptschule.
"Ich mach das sicher nicht Vollzeit, das ist so anstrengend! An alle, die glauben, ein Lehrer hackelt nix: ihr täuscht euch. Das geht wirklich an die Substanz und im Juni bist du paletti. Auch mit einer halben Lehrverpflichtung. Du bist wirklich fertig!"
FM4 / Alex Wagner
Das Unterrichten und das Schreiben unter einen Hut zu bringen, fällt Katharina oft nicht leicht. Häufig kommt sie nur am Abend zum Schreiben. Aber das Autorinnen-Dasein kann sie nie abstellen. Ihr Kopf ist auf Schriftstellerin programmiert, sie geht durch die Welt mit den Augen einer Autorin. Oft grübelt sie tagelang an einer bestimmten Formulierung, wenn sie aber erst mal einen Satz genau durchdacht hat, kommt sie nicht mit dem Schreiben hinterher. Viel zu schnell sprudeln die Texte aus ihrem Gehirn.
"Ich kann recht schnell tippen, das habe ich mir angewöhnt. Auch blind. Das ist auch gut so, weil mit der Hand komme ich manchmal gar nicht mit, mit der Geschwindigkeit, in der das dann raus muss. Weil wenn der Satz dann da ist, dann muss der auch sofort fixiert werden. Weil es mir nicht nur um den Inhalt geht, sondern genau um die Formulierung und um den Sound und den Rhythmus."
Eigentlich hat Katharina keine Lust auf Kurzgeschichten. Sie bevorzugt Gedichte, Theaterstücke oder Romane. Zuletzt hat sie "Die Wahrheit ist ein Heer" veröffentlicht. Die Idee zu ihrer Kurzgeschichte "True Basra Bulletin" lag schon länger in ihrer Schublade und hat auf die richtige Zeit gewartet, auf FM4 Wortlaut. "Klick" ist heuer das Thema und Katharinas Text hat den zweiten Platz belegt. Nicht der einzige Literaturwettbewerb, bei dem sie gewonnen hat. Ihr erster Text wurde nach einem Wettbewerb im "Kurier" veröffentlicht, da war sie gerade einmal sieben Jahre alt.
Schreiben kann Katharina Tiwald nur unter ganz bestimmten Vorraussetzungen: "Ich bin wirklich in einer leisen Wohnung. Da rennt kein Fernseher und keine Musik. Ich geh auch kaum weg. Ich hab schon meine Freunde, die ich hin und wieder sehe, aber ich bin schon eine Eremitin irgendwie. Und das stört mich nicht."
Zuletzt hat es bei Katharina Tiwald klick gemacht, als ihr eine Freundin von den subtilen sexuellen Anspielungen in der Kompositionstechnik von Mozarts Don Giovanni erzählt hat.
Platz 2 für Katharina Tiwald
Luftschacht-Verlag
"Wortlaut 13. Klick." ist im Luftschachtverlag erschienen und ab 04.10.2013 im FM4-Shop und im Handel erhältlich.
Katharinas Kurzgeschichte "True Basra Bulletin" handelt vom jungen britischen Journalisten Mark Bacchetta. 2004, mitten im Irak-Krieg, reist er nach Basra, um von dort zu berichten. Doch dazu kommt es nicht. Er wird von Mahdi-Milizen gewaltsam aus seinem Hotelzimmer entführt. Marks Augen werden verbunden, er ist verwundet und blutet. Gefesselt wird er in einem Wagen durch die Stadt gefahren. Nach einem vereitelten Fluchtversuch verschlechtert sich seine Lage rapide. Er muss sich hinknien und als man ihm die Augenbinde abnimmt, bemerkt er, dass er gefilmt wird. Die Mahdi-Milizen filmen seine eigene Hinrichtung. Er spürt den kalten Lauf der Pistole an seiner Schläfe. Ein Finger am Abzug. Die Zeit verdichtet sich, die Sekunden des Wartens fühlen sich an wie Stunden. Und plötzlich hört er ein "Klick". Die Pistole wird abgedrückt, doch Mark lebt. Das Magazin war leer. Eine Scheinhinrichtung, eine ernst gemeinte Drohung, auf Video dokumentiert, als Druckmittel für die Guerilla-Krieger und ihre politischen Interessen.
Katharina Tiwalds Text liest sich nüchtern, beinahe emotionslos. Fakten reihen sich an Fakten, Abläufe werden detailliert beschrieben, egal wie blutig und grausam sie auch sind. Katharina schreibt normalerweise ganz anders, an der Kurzgeschichte hat sie aber auch diese besondere Stilistik gereizt, eine Parodie des klassischen News-Journalismus und des Nachrichtenschreibstils, wo die starken Headlines Ringellauf spielen. "True Basra Bulletin" ist keine reine Fiktion, der Journalist, der das alles durchleben musste, existiert, wenn auch unter anderem Namen. Er war mit dem Tod konfrontiert, diplomatische Gespräche haben ihn schlussendlich gerettet. Heute lebt er in London und arbeitet immer noch als Kriegsreporter.
FM4 / Alex Wagner
Auszug aus der Kurzgeschichte "True Basra Bulletin"
Der Soundtrack zur Kurzgeschichte
- Neil Young - "Living With War"
- Björk - "Hunter"
- M.I.A. - "Bring The Noize"
Tonus der Wüste bei über 40 Grad. Asphalt lebt eigen. Winde stehen, perplex. Es gibt hier Erdöl. Der Himmel ist ein operiertes Pferd mit blauen Innereien. Nichts stimmt. Basra ist Maschine. Über die grauen Mauern stechen zerfledderte Palmen. Euphrat und Tigris fließen hier zusammen, one body, und wenig weiter in den Golf von Persien. Und wenig weiter hier Iran und Kuwait. Steinwurfweiten fast, aneinandergehängt. Basra bedeutet "Das Überblickende". Manche vermuten, mit dem Garten Eden sei diese Gegend gemeint gewesen. Mark hat einen Abschluss der University of York. Mark spricht Arabisch ("working knowledge"). Wellblech schwingt. An den Stadträndern stehen Ziegelfabriken mit Rauch spuckenden Schloten. Aus dem Süden kommt der fremde Gegner. Schlaglöcher sammeln Wasser. Abfall sammelt sich in den Löchern. Schlaglöcher sind Schmutz- und Wasserbehälter, Schmutzwasserschalen. Auf dem Fluss fahren lange Boote. Die Boote unterstreichen die Bewegung des Wassers durch die eigene Fortfahrt. Manche Autos sind rostig. Manche Kinder sind Verkäufer. An manchen Mauerkronen laufen Mustersteinreihen wie Klöppelei aus Beton. Erstarrtes Gras. Minarette sind Fingerzeige und Konzentrationspunkte über der wie hingeworfenen Stadt, wie jede Stadt Schachtelsammlung. Es bewegen sich Männer. Mark Bacchetta ist Journalist. Blechtore sind Leinwände für keinen Film. Auf den Straßen sind Krater eingefügt, hingeklickte Elemente. Mark Bacchetta ist mutig. Das Al-Difayah Hotel in Basra ist sicher. Sagt man.
Die Bewertung der Jury
Stefan Gmünder, Literaturredakteur beim Standard:
"Der Text nimmt einen von der ersten Sekunde an mit. Da ist Tempo drin, Adrenalin und vor allem Leben. Er blendet in eine Region, die wir von unzähligen Kriegen her kennen. Gerade aber Basra kennen wir auch von der Menschheitsgeschichte, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen. Es ist ein Text, der persönliches Leben und Weltgeschichte ineinander blendet, einem atemlos mitnimmt vom ersten Wort bis zum letzten Satz. Ein Text, der mich sehr überzeugt hat, ein mutiger Text."
Dirk Stermann, Moderator und Autor:
"Ich finde, dass der Text aus Basra der souveränste von allen war. Ich hatte das Gefühl, das ist der oder die erwachsenste AutorIn. Ich fand den Text extrem gut recherchiert und rasant, sehr bilderreich, aufregend und sehr cool."
Tim R. Zazzara, Gewinner von Wortlaut 2012:
"Der Text war für mich der sprachlich innovativste Text."
Katharina Tiwald live
Wortlaut 2013
Der FM4 Kurzgeschichten-wettbewerb
Die GewinnerInnen 2013
- Platz 2: Katharina Tiwald mit "True Basra Bulletin"
- Platz 3: Elisabeth Klar mit "An den vielen Ecken"
- Platz 4-10: Die großen 10 von Wortlaut 2013
Die Zweitplatzierte Katharina Tiwald liest ihre Kurzgeschichte "True Basra Bulletin" im Rahmen der Buchpräsentation im phil (Gumpendorferstraße 10-12, 1060 Wien) am Freitag, den 4. Oktober ab 20 Uhr. Dort werden auch die restlichen GewinnerInnen ihre Geschichten lesen. John Megill legt feine Tunes auf, Claudia Czesch moderiert. Der Eintritt ist wie immer frei.
Bei der Lesung wird auch das offizielle Wortlaut-Buch 2013 vorgestellt mit den besten zehn Texten.
Radio FM4
The Winner is ...
Wer den ersten Platz von FM4 Wortlaut gewonnen hat, erfahrt ihr am Donnerstag, den 3. Oktober in der FM4 Homebase ab 19 Uhr.