Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die Summer der einzelnen Körperteile"

Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

1. 10. 2013 - 20:10

Die Summer der einzelnen Körperteile

In "An den vielen Ecken" zerfällt eine Frau immer wieder in ihre Einzelteile. Der dritte Platz von Wortlaut 2013.

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Wortlaut 2013 - Der FM4 Kurzgeschichten-wettbewerb

mit freundlicher Unterstützung von
DER STANDARD

Der Standard

Elisabeth Klar, Wortlaut-Siegerin

Cornelia Schatzl

Ein kleiner Rempler, schon allein ein Blick genügen als Auslöser, damit die Hauptfigur in "An den vielen Ecken" einfach zerfällt. Dann kullern ihre einzelnen Körperteile durch die Gegend und sie muss alle wieder einsammeln und sich wieder zusammenbauen. Manchmal geht dabei aber auch etwas verloren und mit etwas Glück taucht das verlorene Körperteil beim Fundamt wieder auf.

In der Welt, die Elisabeth Klar in ihrer Geschichte beschreibt, ist das nichts Ungewöhnliches. Es gibt dort einfach Menschen, die zerbrechlicher sind als andere. Der kleinste Anlass genügt, um sie in ihre Einzelteile zerfallen zu lassen. Ein kleiner Auslöser mit großer Wirkung: das ist das *klick* in "An den vielen Ecken". Und "Klick" war das Thema, zu dem wir euch dieses Jahr um eure Kurzgeschichten für Wortlaut 2013 gebeten haben.

Die Autorin

Wortlaut '13: Klick

Luftschacht-Verlag

"Wortlaut 13. Klick." ist im Luftschachtverlag erschienen und ab 04.10.2013 im FM4-Shop und im Handel erhältlich.

Elisabeth Klar, die beruflich als Softwaretesterin arbeitet, ist dieser Bitte nachgekommen. Sie schreibt viel in ihrer Freizeit. Soeben hat sie ihren ersten Roman "Wie im Wald" fertiggestellt. Sie schreibt schon seit sie ganz jung ist. Also jung ist die 1986 Geborene immer noch, aber schon mit 15 ist sie mit ihren Texten zur Jugend-Literaturwerkstatt Graz gegangen und das Feedback, das sie dort bekommen hat, motivierte sie weiterzuschreiben. Spätestens mit 18 stellte sich dann heraus, dass das die richtige Entscheidung war, denn da gewann sie den ersten Preis des europäischen Literaturwettbewerbs der Jugend-Literaturwerkstatt Graz. Später folgten darauf auch der dritte Preis beim erophil Wettbewerb und das Stipendium Werkstatt für junge Literatur. Das erophil ist ein Festival für erotische - also sehr körperliche - Literatur. Und körperlich ist eben auch der Text "An den vielen Ecken", den Elisabeth Klar beim Wortlaut 2013 eingereicht hat.

Der zerfallende Körper

Körperlich zwar, aber nicht erotisch. Ihr Blick auf den zerfallenden Körper der Protagonistin ist ambivalent. Distanziert einerseits, denn die Körperteile sind wie Kleidungsstücke, die man in der U-Bahn vergessen hat.

Seien Sie sich sicher, ich vermisse den Zeh, und rufe auch regelmäßig an, beim Fundamt, bei den Wiener Linien, sie kennen mich dort schon beim Namen. Manchmal sagen sie, Frau Wirth, wir haben da einen Ringfinger, Ringgröße vier, könnte das Ihrer sein? Ach nein, sage ich dann, ich habe doch Ringgröße drei, doch manchmal sage ich nichts, und hole ihn ab und sehe dann ohnehin, ob er trotzdem passt, oder ob er ein Herrenfinger und deshalb zu haarig ist.

Elisabeth Klars Minigästezimmer:

  • Velvet Underground - I'm Sticking With You
  • Placebo - The Never Ending Why
  • Black Ghosts feat. Damon Albarn - The Repetition Kills You
mannequin

Horia Varlan

Die FM4 Wortlaut-Jury 2013:

  • Françoise Cactus (Musikerin und Autorin)
  • Stefan Gmünder (Literaturredakteur beim Standard)
  • Ulli Lust (Comiczeichnerin und Autorin),
  • Dirk Stermann (Moderator und Autor)
  • Tim R. Zazzara (Gewinner von Wortlaut 2012)

Gleichzeitig ist der Text auch sehr nah am Körper, wenn es zum Beispiel darum geht, dass die Protagonistin sich vor dem Dreck ekelt, in dem alle ihre Körperteile herumgerollt sind. Sie lässt sich unter der Dusche zerfallen, um möglichst sauber zu werden, muss allerdings permanent fürchten, dass eines ihrer Körperteile durch den Abfluss rutscht.

In dem Text wird das metaphorische Zerfallen und neu Zusammenbauen der Persönlichkeit in die Praxis umgesetzt. Blicke verletzen wortwörtlich und Teile des Ichs gehen verloren oder fühlen sich fremd an.

Manchmal denke ich mir, es müsste doch gar nichts mehr geben von mir, bei all den vielen Malen auseinanderfallen und zusammenfinden, denn wie gesagt, nicht immer finde ich alles von mir wieder. Und ich vermisse, was ich verliere, zumindest zuerst, manche meiner Teile, wie beispielsweise mein rechtes Ohrläppchen, das doch hübsch klein und wohlgeformt gewesen war, vermisse ich noch nach Jahren. Doch anderes vergesse ich, ich könnte Ihnen zumindest keine Liste machen von all dem, was ich nicht mehr bin.

"An den vielen Ecken" wurde von der Wortlaut-Jury,
mit dem dritten Platz ausgezeichnet. Stefan Gmünder sagt zum Text:

Ähnlich wie bei einem zerbrochenen Thermometer sind es hier so kleine Quecksilberkügelchen eines Ichs das jeden Tag auseinanderbricht und sich immer wieder neu zusammensetzt.

Elisabeth Klar wird am 4.10. im Wiener phil aus ihrem Text "An den vielen Ecken" lesen. Da findet die Wortlaut 2013 Buchpräsentation statt, moderiert von Claudia Czesch und musikalisch versüßt von John Megill. Und das alles bei freiem Eintritt.