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3. 10. 2013 - 18:10

Die beste Geschichte von Wortlaut 2013

"glück ist ein warmes gewehr oder wie ich paul mccartney erschoss" von Irene Diwiak wurde von der Jury als beste Kurzgeschichte ausgezeichnet.

Wortlaut 2013
Der FM4 Kurzgeschichten-wettbewerb

Die GewinnerInnen 2013

Als Thérèse die Fotos von mir schoss – auf der Tower Bridge, vor dem Parlamentsgebäude, im London Eye – wusste sie noch nicht, dass diese Fotos in die Geschichte eingehen würden, und hätte sie es gewusst, hätte sie die Bilder vermutlich nicht gemacht. Oder vielleicht doch, ihre Einfältigkeit ist größer als ihre Feigheit. Außerdem fand sie zu großen Gefallen am Fotografieren, es war ihre erste Reise und vermutlich auch ihr erster Fotoapparat. Sie drückte ab und es blitzte, sie drückte wieder ab und es blitzte wieder, ihr wurde nicht langweilig. Sie fotografierte sogar die Passanten, wenn sie ihr irgendwie besonders erschienen, zum Beispiel weil sie Japaner waren oder große Hüte trugen oder ein besonders buntes T-Shirt. Sie fotografierte Autos und die ewig gleiche ziegelrote Häuserfront in den Wohngebieten. Sie wusste nicht, dass sie dokumentierte.
Klick, Blitz, Thérèse lachte, ein neues Bild unter Tausenden auf ihrem Apparat.

Thérèse habe ich in den Räumen einer Jugendpsychiatrie kennengelernt, als ich etwa sechzehn war. Ich hatte nie zuvor und habe auch nie wieder Zimmer so voll mit Topfpflanzen und Farbklecksbildern gesehen, und alles war immer weich und rund, damit wir uns nicht verletzen konnten. Vorgespielte Gemütlichkeit ist eine ganz besondere Form der Ungemütlichkeit, ich hätte mir die Psychiatrie lieber weiß und kahl gewünscht, wie ich sie mir vorgestellt hatte, ein bisschen so wie die Gefängniszellen, in denen in Filmen politische Häftlinge sitzen.
Thérèse war in der Psychiatrie, weil sie drei Mal versucht hatte, sich umzubringen. Drei Mal mit dem Aufschneiden ihrer Pulsadern, drei Mal auf der Toilette ihrer Schule. Einmal kann ein Selbstmordversuch durchaus misslingen, aber dann lernt man für gewöhnlich aus seinen Fehlern und macht es beim zweiten Mal richtig. Ich war in der Psychiatrie, weil ich nicht mehr aß. Sie nannten es Anorexie, ich nannte es Hungerstreik. Wofür ich kämpfte, wollte ich später überlegen.
Thérèse hatte ein kugelrundes Gesicht und einen Silberblick. Ihre Augen saßen schräg in tiefen kleinen Höhlen und waren meerblau, aber nicht wie der Ozean, sondern wie die obere Adria im Tourismusgebiet, wo der Kot der Möwen eigene Inseln am Horizont bildet, mehr grün als blau. Sie konnte ihren eigenen Namen nicht schreiben, ohne Fehler bei der Accentsetzung zu machen. Wir wechselten höchstens einige Sätze am Tag.

Du wolltest dich umbringen?
Mhm.
Drei Mal?
Mhm.
Nie geklappt?
Näh ...
Soll ich dir zeigen, wie man es richtig macht?
Hm ... näh, lieber nicht.

Einmal die Woche durften wir für eine Stunde den sogenannten Informatikraum benutzen, wo die Computer so langsam waren, dass man auf eine erhaltene E-Mail nie eine mehr als einsätzige Antwort tippen und auch abschicken konnte. Trotzdem schaffte ich es irgendwie, Kontakt mit einem Engländer namens Josh aufzunehmen, der fünfzehn war, mit Schusswaffen handelte und darüber einen Blog führte. Wir tauschten jeden Freitag kurze E-Mails über die besten Mordwaffen aus und benutzten Deckwörter. Er nannte seine Gewehre Honeypies. Darüber hinaus war er aber Pazifist und liebte Erschießungen nur in der Theorie.
Ich spielte auch weder mit dem Gedanken, Thérèse zu erschießen, noch, mich selbst umzubringen, aber wenn, dann wollte ich es sauberer machen als Thérèse, und es war ja durchaus auch noch möglich, dass sie es sich anders überlegte, und dann wäre Josh eine gute Hilfe, und überhaupt sollte jeder jemanden kennen, der sich mit Waffen auskennt.
Als ich nach einigen Wochen Psychiatrie irgendwo aufschnappte, dass bereits jede Dritte in ihrer Jugend und fast ausnahmslos jede in dieser Psychiatrie eine Essstörung aufwies, begann ich wieder zu essen und wurde entlassen. Mit Thérèse blieb ich immer in losem Kontakt. Irgendetwas sagte mir, dass sie mir einmal nützlich sein würde, und aus dem gleichen Grund schrieb ich weiterhin regelmäßig E-mails an Josh.

Happiness is a warm honeypie.
Says who?
Dunno. It’s a song or a film or something.

irene diwiak

felix hafner

Irene Diwiak - geb. 1991 in Graz, aufgewachsen und zur Schule gegangen in Deutschlandsberg. Nach der Matura und einer gescheiterten Au-Pair-Mädchen-Karriere in England Studium der Slawistik und Judaistik in Wien. Nebenher viel Theater, auf und hinter der Bühne. Erste Regiearbeit im Theaterzentrum Deutschlandsberg wurde sogar zu den Schultheater-tagen ins Burgtheater eingeladen. Seit der Kindheit schon einige Literaturpreise eingeheimst, u.a. der Jugendliteraturwerkstatt Graz. Erster Romanentwurf wurde heuer mit dem START-Stipendium des bm:ukk bedacht.

Letzten Sommer fuhr mir am Parkplatz eines Supermarkts ein Auto über den Fuß, zwei Zehen waren gebrochen. Ich kam für zwei Nächte in ein Krankenhaus, welches mir besser gefiel als die Psychiatrie, da es hier wirklich kahle Gänge, unfreundliche Ärzte und den giftigen Geruch nach Medizin gab. Auch hier hatte ich eine Zimmerkollegin, eine ältere Dame mit derart langweiligen Gesichtszügen, dass ich sie vergaß, während ich blinzelte.
Da sie das Zimmer schon länger bewohnte als ich, hatte sie die Fernbedienung für sich beansprucht. Wie ein Muttertier hätschelte und bewachte sie sie, rollte sich im Schlaf um sie und behandelte sie möglichst schonend: Morgens drückte sie auf den Einschaltknopf und stellte den History Channel ein, abends drückte sie wieder den Ausschaltknopf, in der Zwischenzeit lag die Fernbedienung unbewegt auf ihrer Brust wie ein Säugling. In den zwei Tagen Krankenhaus sah ich vermutlich mehr deutsche Wehrmachtssoldaten als Hitler in seinem ganzen Leben.
Aber der Vorfall mit dem Auto hatte mein Leben durchaus bereichert: Erstens bekam ich eine sehr hohe Summe an Schmerzensgeld zugesprochen, die sich noch erhöhte, als sich herausstellte, dass der Lenker betrunken gewesen war. Es war genug, um eine Londonreise für zwei Personen zu bezahlen. Zweitens kam ich durch den History Channel das erste Mal in Berührung mit dem Lennonmörder Chapman.

Sag mal, Thérèse, sagt dir der Name Mark David Chapman was?
Hm ... Näh.
Denk mal nach!
Hm ... Monty Python?
Fast, Thérèse, das ist Graham Chapman. Aber Mark David Chapman?
Mal wo gehört, ja.

Wir gingen natürlich auch ins Madame Tussaud’s, und die Schlange davor war länger und der Ticketpreis teurer, als ich erwartet hatte. Thérèse kannte die meisten Prominenten nicht, aber fotografierte sie trotzdem. Sie fotografierte auch die anderen Gäste, wenn sie neben einer Wachspuppe posierten, fotografierte Touristen, die sie für Wachsfiguren hielt und zuckte zusammen, wenn sie sich dann doch bewegten. Sie berührte das eine oder andere Gesicht, um dessen Echtheit zu testen, und schien erleichtert, wenn es dann doch nur Wachs war. Ich bot ihr an, einmal ein Foto von ihr zu machen, aber sie lehnte heftig ab: Den Fotoapparat gab sie nicht mehr her.
Wir kamen in das Eck, wo die Wachsbeatles auf einem roten Sofa saßen. Ich versuchte zwar, McCartney ausfindig zu machen, konnte die Beatles aber in ihrem pilzförmigen Urzustand nie auseinanderhalten. Ich mochte auch ihre Musik nicht wirklich.
Hey, Thérèse, mach mal ein Foto von mir, ja?
Ich kniete mich vor die lässig positionierten und dadurch irgendwie besonders steif wirkenden Puppen und machte mit den Fingern ein Victoryzeichen. Klick. Das wäre das Foto, welches durch die Presse gehen würde, noch berühmter werden würde als die anderen. Ich machte mir nicht vor, ein letztes Bild mit dem echten McCartney machen zu können, wie es Chapman bei Lennon gelungen war, das war heute anders, heute war man sicher vorsichtiger, Securitymänner überall, außerdem wollte ich auf einem Dach stehen oder auf einem Balkon, mit fliegendem Haar. Aber so war es auch gut: Ich mit Bauchtasche und Union-Jack-T-Shirt, wie ein japanisches Schulmädchen mit den zwei erhobenen Fingern, wo und wie schon Tausende vor mir posiert hatten, und doch war das ein Bild von ganz anderem historischen Kaliber. Die Bedeutung des Victoryzeichens würde sich nämlich erst durch den Bericht zum Titelbild offenbaren, und da wäre fettgedruckt mein Name unter der Überschrift: Die Ermordung des vorletzten Beatles.

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Der Standard

Der Gewinnertext wird im Standard abgedruckt.

Es hätte etwas wie die Mona Lisa sein müssen oder ein Mord. Aber ein Mord war einfacher. Ich hatte schon öfter Paintball gespielt, auch mit Thérèse. Sie war immer so leicht zu treffen, viel zu langsam, und sie wusste nie, wer zu ihrem Team gehörte und wer ihr Feind war, und überhaupt schoss sie nicht gern. Mir lag das Gewehr immer gut in der Hand, besser als die kleinen Pistolen am Jahrmarkt.
Zuerst hatte ich selbstverständlich in Betracht gezogen, Thérèse zu töten, einfach weil ich es mir nicht schwer vorstellte. Aber erstens war eine Irre, die eine andere Irre niederschoss, nicht einmal für die Regionalnachrichten interessant und zweitens: Ich mochte Thérèse irgendwie.
Amok war die andere Idee, daran hing ich lange. Ich hatte mir sogar einen Plan meiner alten Schule gezeichnet, aber dann dachte ich an die Mütter. All die heulenden Mütter im Fernsehen. Das war etwas, das ich nicht aushielt, heulende Mütter, wenn ich eine heulende Mutter in den Nachrichten sah, schaltete ich sofort um. Ich hatte meine eigene Mutter zu oft heulen gesehen.
Es musste jemand ohne Mutter sein, und jemand, von dem man es nicht erwartete, erschossen zu werden. Aber berühmt genug, dass er von der Legende nur noch einen tragischen Tod entfernt stand.
Da sah ich Paul McCartney vor mir, oder viel mehr seinen Namen, an sein Gesicht konnte ich mich nicht mehr erinnern. Er war in der Dokumentation immer wieder aufgetaucht, auf einem Sofa vor schwarzem Hintergrund, oder verwechselte ich ihn gerade mit jemandem anders, aber auf jeden Fall war da sein Name in meinem Kopf.
Chapman war ein Idiot gewesen, ein religiöser Fanatiker und fett. Es stand ihm nicht zu, die Geschichte einer bedeutenden Gruppe wie den Beatles zu Ende zu erzählen, dachte ich, und überhaupt, was machte Lennon so viel besser, dass ihm nun ewig der Hauch des Mystischen nachhängen sollte, während McCartney mit über achtzig, neunzig vielleicht auch noch bettlägerig und verwirrt dahinsiechen sollte, dann, wenn vielleicht auch schon der Letzte ins Gras gebissen hatte, der seine besten Zeiten hätte bezeugen können. Aus historischer Sicht wäre der Mord eine Win-Win-Situation.
Vielleicht war Paul McCartney aber auch schon tot. Ich hatte da etwas im Internet gelesen. Am Ende von Strawberry Fields Forever sagt John Lennon: I buried Paul. Es könnte aber auch Cranberry Sauce sein, so genau versteht man es nicht. So oder so, meine Idee war genial. Nichts wäre überraschender als ein Mord an jemandem, der schon tot war.

Josh wohnte in Barking, einem Stadtteil Londons, zu dem man vom Zentrum aus etwa eine dreiviertel Stunde in einer derartig hässlichen U-Bahn fahren musste, dass nicht einmal Thérèse etwas zu bewundern fand und ans Fenster gelehnt eindöste. An jeder Station, die wir Barking näher rückten, stiegen Weiße aus und Pakistani, Araber und Schwarze zu.
Thérèse drückte ihre aufgedunsene Backe an dem Glasfenster flach und erinnerte an die kitschigen Engel in Barockkirchen, nur dass ihr Haar etwas fettig war und der zu kurz gewordene Pullover die nunmehr zartrosa Kratzer an ihrem Handgelenk freigab. Thérèse war einer dieser Menschen, deren Name nirgends, nicht einmal in der Selbstmordstatistik aufscheinen würde. Andererseits konnte sie auch nicht allzu sehr an ihm hängen, sonst könnte sie die Striche auf den „e“s richtig setzen.
Ab der Station Whitechapel, wo einst Jack the Ripper gewütet hatte, auch dieses Wissen verdankte ich der Nachbarin im Krankenhaus, dachte ich daran, dass ich Thérèse, indem ich sie meine Zeugin sein ließ, überhaupt erst zu einem Menschen machte, jedenfalls aus historischer Sicht. Vielleicht würde sie einmal ein Buch schreiben, oder wahrscheinlicher: einem Journalisten diktieren. In mein Handy notierte ich mir als Termin für heute Abend: Thérèse Details aus meinem Leben erzählen. Und ich dachte sogar daran, sie zu Josh mitzunehmen, keine Fotos, aber sie könnte später die Szene beschreiben und sagen, ich hätte sie zu allem gezwungen.
„Barking – mind the gap please“. Ich tippte mit dem Finger gegen Thérèses speckige Schulter. Bevor sie noch richtig wach war, griff sie nach dem Fotoapparat um ihren Hals, erleichtert grunzte sie, als sie ihn in ihren Fingern spürte, und lachte über ihre Unvorsichtigkeit, einfach einzuschlafen. Dabei hatte ich ihr die ganze Zeit gegenüber gesessen. Vielleicht vertraute ich ihr ja sogar mehr als sie mir.
Am Ausgang der U-Bahnstation stand eine Sitzbank die mit den zerfledderten Seiten einer Gratiszeitung ausgelegt war. Wart mal hier, Thérèse.

But ... you don’t use it, right?
Yeah.
‚Cuz I never sell honeypies to people who eat them.
Whatfore do people buy honeypies, if they’re not hungry?
Dunno.

Ich hatte für den Abend ein Zimmer in einem anderen Hotel gemietet, welches viel zu teuer war, aber es gab gratis Tee und man hatte einen Balkon, von dem man einen wunderbaren Ausblick auf die Rückseite der noch teureren Hotels hatte. Genau vor uns aber erhob sich das Konzerthaus und zeigte uns eingebildet seinen schneeweißen Rücken, nur von ein paar gut verhängten Fenstern und der winzigen, roten Tür unterbrochen, vor der große rechteckige Männer rauchend auf und ab gingen. Hätten sie ihren Blick ein wenig gehoben, hätten sie mich vielleicht sehen können, mich und meinen gut verpackten Honeypie.
Thérèse hatte nicht nach dem Golfschläger gefragt, obwohl ich bei Gott nicht wie jemand aussah, der Golf spielte. Aber auch sonst niemand hatte sich gewundert, auch in der U-Bahn niemand, nicht einmal ein fragender Blick hatte mich und meine Golftasche getroffen. So ist das in Großstädten, hatte ich dabei bitter gedacht, keiner schaut auf den anderen, aber wenigstens würde ich auf den Überwachungsbändern zu erkennen sein. Die würden sich schon noch die Mühe machen, mich zu sehen.
Dann würden auch die Securitymänner einmal die Köpfe heben, aber vielleicht war es auch wirklich einfach zu dunkel. Wir hatten alle Lichter ausgemacht und die Straßenbeleuchtung reichte nicht bis an unseren Balkon. Da reden die Leute auch noch von Lichtsmog. Sterne sah man trotzdem keine. Thérèse war ein wenig unglücklich, weil ich ihr das Fotografieren verboten hatte.
Später, wenn ich es dir sage, musst du ein Foto machen, es wird ein ganz besonderes Foto sein!
Ich hoffte nur, dass es nicht zu regnen beginnen würde. Wenn es regnete, würde er einen Schirm haben. Ich hatte hundert Videos gesehen, vielleicht sogar mehr. Ich hatte mir sein Gesicht eingeprägt, aber auch seinen Gang, seine Art, sich zu bewegen, sodass ich ihn auf jeden Fall auch von oben erkennen würde, aber wenn er einen Schirm dabei hätte, dann wüsste ich auch nicht weiter. Dann würde ich wohl auf den ersten älteren Mann ballern, der herauskäme, und auf den Zufall vertrauen.
Das Konzert im Prunksaal des Konzerthauses würde um zehn Uhr enden. Benefiz, angeblich war auch jemand der Königsfamilie da. Dann würden die Zuschauer vorne hinaus bei dem vergoldeten Tor, aber die wichtigen Leute, die Adeligen und Prominenten, die würden die unscheinbare rote Tür benutzen müssen. Ich hatte mir überlegt, Karten für das Konzert zu kaufen, aber sie waren mir zu teuer gewesen. So saßen Thérèse und ich in Decken gehüllt am Balkon und tranken von der Milch grau gewordenen Earl Grey. Es wäre auch nicht so schlimm, einen der Royals zu erwischen, dachte ich, aber nein, Paul McCartney war besser, der beste, ich hatte ja alles durchgedacht. Thérèse seufzte ein wenig. Ich hatte ihr verboten zu sprechen, auch wenn ich mir sicher war, dass man uns am Hintereingang unten nicht hören konnte.
Als Applaus aus dem Konzerthaus zu hören war, von der Zeit her musste es der Abschlussapplaus sein, packte ich das Gewehr aus. Es war dünner und filigraner als das Paintballgewehr, es erinnerte mich tatsächlich ein wenig an einen Golfschläger mit Abzug, aber laut Josh konnte man damit genau zielen und weit schießen. Thérèse erschrak nicht einmal. Das ärgerte mich ein bisschen. Sie schaute gelangweilt drein, als hätte sie genau so etwas erwartet, und betastete wieder den Fotoapparat. Vielleicht hatte sie es sogar wirklich vorhergesehen. Ich merkte, dass ich Thérèse gar nicht kannte. Ich beobachtete sie ein wenig, wie sie da stand, unbekümmert in den Himmel schaute, aber dann zwang ich mich wieder zur Konzentration: Die rote Tür. Jeder Moment könnte nun mein Moment sein.
Jetzt. Ein paar junge Leute mit einheitlichen T-Shirts kamen heraus, irgendwelche Mitarbeiter, das war die Vorhut. Sie gaben mir die Zeit, noch einmal ein- und auszuatmen, bevor mein ganzes Leben größer werden sollte.
Jetzt, Thérèse, jetzt!, flüsterte ich, den Fotoapparat, den Fotoapparat!
Das war er. Ohne Frage war er es. Umringt von Menschen, Paparazzi, Fans, Security, eine Frau ganz nah an seiner Seite, wo die alle hergekommen waren so schnell, aber ihn sah ich genau, als würde er herausleuchten aus der Masse, trotz Hut und Sonnenbrille erkannte ich ihn, leuchtete er. Ein paar Schritte müsste er noch machen, ein paar Schritte auf das Taxi zu, auf mich zu, er sah aus wie in den Videos, die ich gesehen hatte, ich hätte ihn auch mit Schirm gekannt, ein so kleiner unscheinbarer Mann und so wichtig, jetzt, jetzt, jetzt stand er genau in meiner Schusslinie – die Frau, vielleicht seine Frau, etwas weiter hinten, ich würde ihn nicht verfehlen können, und die Body-guards unachtsam, ob sie eigentlich wussten, wie sinnlos sie waren, solange sie nicht fliegen konnten, der Winkel war genau richtig, ob es eigentlich stimmt, dass ein Mensch eine Vorahnung hat, kurz bevor er stirbt – Jetzt, Thérèse, jetzt! – Jetzt!

Das Gewehr klickte und im selben Moment der Fotoapparat von Thérèse. Es blitzte nicht und auch kein Knall war zu hören. Paul McCartney ging, setzte sich in das Taxi und verschwand damit für immer in den Untiefen Londons.
Der Blitz! rief Thérèse den Tränen nahe, Ich habe den Blitz nicht eingeschaltet!
Ich hätte also den vorletzten Beatle ermorden können. Es wäre so leicht gewesen. So viel Vorbereitung und so ein kurzer Moment. Das hätte mein Moment sein können.
I never sell honeypies to people who eat them.
Meine Haut glühte, auch auf der Innenseite, meine Organe waren heiß. Das Gewehr lag warm in meinen Händen. Glück, dachte ich mir, das ist also Glück. Das war also mein Moment. Ich hatte Paul McCartney nicht erschossen – ich hatte ihn begnadigt. Ich hatte Paul McCartney begnadigt.

Das Bild ... schwarz ....
Nicht schlimm, Thérèse.
Aber ...
Nicht schlimm. Du bist meine Zeugin. Du weißt alles.
Aber das Bild ...
Sagt dir Ringo Starr etwas?
Hm ... Weiß nicht.
Macht nichts. Ich zeige ihn dir morgen.