Erstellt am: 26. 7. 2013 - 12:43 Uhr
Zerreißprobe Popfest
Popfest Wien
Popfest
Vom 25. bis 28. Juli am Karlsplatz
- Zerreißprobe Popfest: Alle Bands zu sehen ist unmöglich. Der erste Tag am Wiener Popfest.
- Rambazamba auf allen Bühnen: Der zweite Tag am Wiener Popfest sprengt Konventionen und Lautstärke-Grenzen.
- Icecubes in our pants: Fast unerträgliche Hitze, schweißtreibende Outfits, großartige Acts: der dritte Tag am Popfest.
- In The End: Der vierte und letzte Tag im Rückblick.
- Popfest for everyone!: Jede Menge Konzerte zum Nachhören.
Alle Informationen unter fm4.orf.at/popfest und fm4.orf.at/festivalradio
Also das habe ich mir tatsächlich einfacher vorgestellt. Frohen Mutes komme ich nachmittags auf den Wiener Karlsplatz mit dem Vorhaben hier an dieser Stelle einen gerechten Nachbericht abzuliefern. Doch das stellt sich als schwieriger heraus als gedacht.
Festival-Logistik
Der Karlsplatz an sich ist für Nicht-Wiener_innen oft ein sehr undurchschaubarer Ort, bestehend aus Grünflächen, Straßenbahnstationen, Spielplätzen, riesigen Prunkbauten und alles umrundet von Fußgängerzonen bzw. Straßen. Dennoch handelt es sich um einen einheitlichen Platz und die vier Locations, in denen das Popfest stattfindet, sind alle nicht mehr als hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt.
Am Popfest-Wochenende werden aus so einer kurzen Distanz aber gefühlte Kilometer, weil man sich erst einmal den Weg durch die enorme Menge an Menschen bahnen muss. Das ist eigentlich nicht so schlimm und ganz normal für ein gut besuchtes Festival, ich hatte aber vergessen die Leute beim Location-Wechsel einzuplanen.
Steaming Satellites
Am Anfang ist alles noch easy, die ersten drei Bands bespielen alle die Seebühne. Die Schauspielerin Gabriela Hegedüs begrüßt die Menge zum bereits vierten Popfest und kündigt die erste Band an. Und die Musik der Steaming Satellites aus Salzburg scheint für den Opening-Act wie gemacht zu sein.
Selten habe ich es erlebt, dass bei der ersten Band auf einem Festival das Publikum von der ersten Sekunde an so mit dabei ist. Sänger Max stampft auf den Boden oder klatscht in die Hände und alle machen unaufgefordert mit und das bei dieser schwülen Hitze. Später erfahre ich, dass Mitklatschen ja auch eine Art ist, die Achseln zu entlüften, aber nein: Hier wird mitgeklatscht aus Freude an der Musik. "Popfest, alles okay?", fragen die Steaming Satellites und ein gröhlender Jubel setzt ein. Ja, alles mehr als okay!
Her Voice Over Boys
Nach einer kurzen Umbaupause folgt der von vielen ersehnte Auftritt von Bauchklang, während dessen ich leider meinen Kopf in die Backstage-Kühltruhe stecken muss und mir eine Überdosis kaltes Mineralwasser einflöße. Kurz vor dem Auftritt habe ich aber noch mitbekommen, dass ein bestimmtes Genussmittel bei Beatboxern offensichtlich sehr beliebt ist: Tic Tac. Man will ja keinen schlechten Atem haben, wenn man vor sein Publikum tritt. Sehr löblich!
Als ich halbwegs gekühlt wieder auf den immer noch glühenden Karlsplatz komme, ist die Sonne schon fast untergegangen und die Stimmung für HVOB scheint perfekt. Ich bin ein großer Fan des Trios, die es schaffen, mit ihren unstressigen Elektrobeats den gesamten Karlsplatz zum Tanzen zu bewegen. Die Stimme von Sängerin Anna, die ja schon so prominent im Bandnamen genannt wird, wirkt teilweise fast apathisch, aber genau dadurch baut sich eine Art Melancholie auf, die ich bei vielen Elektronikacts vermisse. Dazu perfekt abgestimmte Visuals auf der Wiener Karlskirche und der Mond im Hintergrund, was will man mehr?
Und nun beginnt mein Dilemma, wo jetzt hingehen, wen jetzt anschauen? Ich schaue kurz beim Wien Museum vorbei, wo auf dem Balkon hoch über den Menschen das Projekt "In jedem Mädchen ein Hafen" aufspielt. Leider sind sie hinter einem Plakat versteckt und werden oft von plaudernden Menschengruppen übertönt. Das eigens für das Popfest ins Leben gerufene Konzept der beiden Musikerinnen Meaghan Burke und Mimu Merz kommt hier unten nur teilweise an. Schade, aber vielleicht liegt es auch an mir, weil ich mir schon tausend Gedanken mache, wie ich die Terminkollisionen des Abends überstehen soll.
Chronic City
Kollegin Daniela Derntl erzählt mir am Nachmittag aufgeregt von diesem Duo, das heute beim Popfest ihr zweites Konzert ever spielen wird. Benannt nach einem Roman über die Stadt New York gestaltet sich auch das Bandkonzept ähnlich: Flo und Emanuel - wie Chronic City mit bürgerlichen Namen heißen - wollen mit ihrer Musik subjektive Augenblicke von Städten einfangen. Verständlich also auch ihre Obsession mit Fieldrecordings. Die Geschichte über ein verlorengegangenes Soundfile mit Meeresrauschen in Lima, das dann doch irgendwie wiedergefunden wurde, erzählen die beiden wie einen Bestseller-Krimi.
Während des Konzerts mache ich mich aber auf den Weg ins brut, wo bereits Francis International Airport Aufstellung nehmen. Kurz bevor ich schon fast die Konzertluft riechen kann, passiert dann das, was natürlich unvermeidlich ist: man trifft tausend Freunde und Bekannte. Alle selbst am Weg zum Francis-Konzert und dennoch muss man kurz hallo sagen, sonst ist man ja unhöflich, etc. Durch die Menschenmasse verlangsamt sich die Fortbewegungsgeschwindigkeit enorm und plötzlich erfahre ich von entgegen strömenden Leuten, wie gut das Konzert von Francis war. Verpasst, I'm sorry.
Vor dem brut, so wird mir dann erzählt, hat es anscheinend einen Guerilla-Gig der Band Bilderbuch gegeben, die gar nicht am offiziellen Line-Up stehen. Die Anwesenden scheinen begeistert und ich ärgere mich noch mehr, dass ich mich derart aufhalten ließ. Aber man muss eben auch Abstriche machen, das dämmert mir langsam.
Bernhard Schnur & Band
Immerhin bin ich dann rechtzeitig im brut um dieses Konzert zu erleben, welches ich im Nachhinein als das Highlight von Tag 1 beschreiben werde. Auf Facebook von Nino Mandl alias Der Nino Aus Wien empfohlen, bin ich mir sicher, hier nichts falsch machen zu können. Tja und der Nino sollte Recht behalten.
Im brut hat es gefühlte vierhundert Grad, alle bestehen nur noch aus Schweiß und trotzdem tanzen sich die Leute bei Bernhard Schnur in Trance und ignorieren die brütende Hitze einfach. "Bonna Sierra", begrüßt uns der Musiker mit einem schwarzen Piratentuch am Kopf. Meine Begleitung M. und ich versuchen Vergleiche für die wunderschönen und stimmungsvollen Gitarrenklänge zu finden, die Beatles schießen uns in den Kopf, Grandaddy, Elliott Smith oder doch Jarvis Cocker? Es hilft alles nichts, das auf der Bühne ist keiner von ihnen, sondern Bernhard Schnur und der ist in diesem Moment eh besser als alle anderen.
"Dies ist ein Lied über die tschechoslowakische Bruder- und Schwesternschaft", wird uns erklärt. Bernhard Schnur imitiert mit den Lippen eine Trompete, seine Keyboarderin verlässt das Instrument und pogt ausgelassen in ein Mikro singend über die Bühne. Ein junges Mädchen mit Diadem am Kopf schnappt sich einen Herren aus der ersten Reihe und plötzlich bilden sich Tanzpaare, die eine Mischung aus Tango und Jive vollführen, das alles bricht sich überhaupt nicht mit der Singer/Songwriter-Musik von Herrn Schnur. Hier ist alles erlaubt, hier geht alles, in meinem Gesicht steht es geschrieben: diese Musik stimmt einen fröhlich und zufrieden.
Auf in den Prechtlsaal!
Dennoch muss ich nach der Hälfte das brut verlassen, immerhin will ich noch Fijuka auf der anderen Seite des Karlsplatzes, im TU Prechtlsaal, erleben. Der Weg gestaltet sich diesmal einfacher, die Menschenmasse lichtet sich bereits. Gerade noch zwei Songs von Fijuka schaffe ich, das großartige Cover von Kate Bushs "Running Up That Hill" ist auch mit dabei. Ich bin begeistert und freue mich außerdem über wenigstens ein bisschen geglücktes Zeitmanagement.
Inzwischen habe ich aber Schmieds Puls verpasst, auf die ich mich besonders gefreut hätte. Bitte bald wieder in meiner Nähe auftreten, dann schaffe ich es ganz bestimmt! Den Abschluss des Abends bildet für mich Zanshin, der eine regelrechte Songschreiber-Maschine sein soll, wie Kollegin Katharina Seidler im Interview mit ihm herausfindet. Auch heute hat er ausschließlich neue Songs im Gepäck. Meine Beine tragen mich kaum noch, aber dem Rest des Publikums scheint es gut zu gehen. Da wird getanzt, als gäbe es kein Morgen.
Dabei gibt es das sehr wohl! Mit Giantree, Gerard, The Scarabeus Dream, Sex Jams, Catastrophe & Cure und vielen mehr. Mal sehen was ich diesmal schaffe!