Erstellt am: 3. 6. 2013 - 14:30 Uhr
Tagebuch zum Jahr der Pflicht (22)
marc carnal
Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.
Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.
Voting Jänner - Kategorie Handwerk
Voting Februar - Kategorie Wissen
Sonntag, 26. Mai
Kleine Freak-Fibel für Währing:
- Mr. Bean: Sieht aus wie Mr. Bean. Eins zu eins. Nur der Anzug fehlt, stattdessen trägt er Trenchcoats. Seine einzige Aufgabe scheint zu sein, auf den Gehsteigen der Währingerstraße zu spazieren. Mr. Bean ist sich seines Lookalike-Daseins offensichtlich bewusst und scheint es zu genießen, sonst würde er sich zumindest mal einen neuen Haarschnitt zulegen.
- Der Indianer: Älterer Herr, den man nur mit Federschmuck, Lederhemden und Mokassins antrifft. Nervt gerne den Trafikanten auf der Kreuzgasse. Seine Frau kleidet sich unauffällig und steht zu den Vorlieben ihres Gatten.
- Die Fahrrad-Irre: Fährt den ganzen Tag mit dem Mountainbike umher, trägt bei jedem Wetter Minirock ohne Strumpfhose. Häufig umkreist sie stundenlang die Hundezone im Schubertpark. Großer Fehler: Sich ansprechen und in ein Gespräch verwickeln lassen - sie hört nicht mehr auf. Will man gehen, wird sie aggressiv. Immer mit dabei: Pfefferspray. Brüllt auch gerne unvermittelt Leute an und bedroht sie.
- Der Dicke: Um die zwanzig, beträchtliche Körpermasse bei viel zu kleinem, sehr eckigem Kopf. Kauft jeden Tag im Hofer eine Großpackung Semmeln und dazu einen ordentlichen Ziegel Gouda. Schaut mich immer unglaublich böse an, irgendwann wird er mich mit seinem Goudabrocken erschlagen.
- Der Schreihals: Geht alle paar Tage die Schulgasse Richtung Gürtel und brüllt sich die Seele aus dem Leib. Geschmäht wird stets eine Frau, und zwar mit Vokabeln, die auf diesen öffentlich-rechtlichen Seiten nichts zu suchen haben. Jeder, der in der Nähe der Schulgasse wohnt, hat seine Schimpfsalven schon einmal gehört, gesehen wurde der Schreihals allerdings noch nie. Spooky.
- Der Glaskünstler: Lebt nicht von seiner Glaskunst, sondern vom Hundesitten. Ist immer mit mindestens drei Kläffern unterwegs, sieht aus wie der eine Woche lang nicht duschende Kabarettist Mike Supancic. Ausgesprochen kommunikativ, sehr lästig, immer schmutzige Hände.
Montag, 27. Mai
● Euer ganzer Neid ist leider
nur verständlich, liebe Neider.
● Ein Satz mit "Highlight":
Im Haifischbecken statt in Freiheit -
Wie sehr tut mir der arme Highlight.
● Von einer Lokal-Bewertung auf yelp.at:
"Ambiente: nicht verfügbar."
Dienstag, 28. Mai
● Warum essen wir eigentlich keine Schwäne? Eine kurze Recherche ergibt, dass Schwanenfleisch den Gaumen beleidigt. Im Mittelalter galt der Schwan trotzdem als Delikatesse. Über den fertigen Schwanenbraten wurde bei Tisch wieder das Federkleid gestülpt, um die Gäste zu beeindrucken.
● Beliebte Frage früher: "Welche war die erste CD, die du dir gekauft hast?"
Heute muss man fragen: "Welche war die letzte CD, die du dir gekauft hast?"
● Ich hasse Schlümpfe!
(Nicht, dass Sie jetzt denken, ich wäre in Wirklichkeit Gargamel... Nein, ich kenne ihn gar nicht persönlich. Wir sind nur derselben Meinung.)
Mittwoch, 29. Mai
● Es wird Zeit, die Mai-Pflicht zu erfüllen. Zusammen mit den Pflicht-Kollegen Josef und Rachlinger werden heute drei Sacher-Torten gebacken. Wollen Sie das Rezept wissen? Wahrscheinlich nicht. Nicht verschweigen möchte ich allerdings, dass wir insgesamt vierundzwanzig (in Worten: vierundzwanzig) Eier verarbeiten, das entspricht ungefähr sehr viel.
Unsere Lebenserfahrung souffliert uns, dass es beim Hochzeithalten um die Liebe geht, weswegen wir die oberste Torte in Herzform anfertigen. Das mag brachiale Haudrauf-Symbolik sein, chinesische Schriftzeichen in Kuchenform sind aber zu herausfordernd.
Warum sollte ich nicht auch an jener Herausforderung scheitern, die Heerscharen an Kochbuchautoren vergeblich annehmen? Die Zubereitung eines Kuchens prickelnd zu beschreiben ist kein Teigschlecken. Die folgenden Bilder sollen zumindest beweisen, dass unser Ansinnen erfolgreich in die Tat umgesetzt wurde:
marc carnal
marc carnal
marc carnal
marc carnal
Donnerstag, 30. Mai
● Heute war ich in der Therme. Es war erwartungsgemäß fad, denn in der Therme ist es immer fad. Die Highlights: Zweimal bin ich gerutscht. Einmal hab ich mit Kollegen Josef getestet, wer es bei neun Grad länger schafft, in Badehose im Regen zu liegen. Wir einigten uns zitternd auf ein Remis. Im Restaurant aß ich eine Punschtorte. Sie war so mittel.
Fast alle Menschen sind tätowiert. Will man aus der Masse hervorstechen, gelingt das mittlerweile nur noch mit blanker Haut.
Es gibt wenige Orte mit einem derartig dichten Regelwerk. Sogar von Außenbecken eins in Außenbecken zwei zu wechseln, indem man raus- und ins andere wieder reinklettert, ist verboten. Eigentlich darf man nur im Wasser stehen oder sich auf einer Liege langweilen.
Am Rückweg folgt eine Erledigung der Kategorie "Was ich noch nie in meinem Leben gemacht habe": Erstmals rufe ich bei Ö3 an und wünsche mir auf Geheiß von Frau Josef ein Chanson von Pink. Nach einer Stunde rufe ich erneut an und beschwere mich, dass der Song noch immer nicht lief. Anstatt mich völlig zurecht aus der Leitung zu werfen, ist der Ö3-Telefonist unglaublich freundlich und verspricht mir, ein SMS zu senden, wenn die ersehnte Nummer endlich gespielt wird. Ich möchte mich bei ihm auf diesem Weg für meine Unverschämtheit entschuldigen!
Mehr gibt es über den Thermenausflug beim besten Willen nicht zu berichten.
Freitag, 31. Mai
marc carnal
● Nach dem ertragreichen Backtreffen am Mittwoch wird die Torte heute kunstvoll verziert. Nach einer Marillenmarmeladeschicht folgt die Schokoladenglasur. Nachdem diese leicht angetrocknet ist, veredeln wir das Werk mit naheliegenden Hochzeitsmotiven in Marzipan- und Zuckerform.
Als besonderes Schmankerl ziert der gelbe "Jahr der Pflicht"-Finger unsere Hochzeitstorte. Morgen folgt die Übergabe...
marc carnal
Samstag, 1. Juni
● ..., die Frage ist nur: Wem soll die Torte denn nun überreicht werden? Nachdem wir keine Hochzeits-Geheimtipps bekamen, uns es auch niemand in der Neigungsgruppe Pflicht in den Sinn kam, wenigstens im Vorfeld herauszufinden, dass die Standesämter an Samstagen geschlossen haben, hocken die Kollegen Rachlinger, Herr Josef und ich zur Mittagsstund etwas ratlos da. Nach Simultan-Telefonterror, unter anderem beim Bürgerdienst der Stadt Wien, dem Schloss Schönbrunn, unzähligen Bekannten und einem Hochzeitsfotografen, wissen wir noch immer nicht, wann heute wo geheiratet wird.
Dann rufen wir in einem Wirtshaus an, in dem Brautpaare regelmäßig zu dinieren pflegen. Spitzen-Spontan-Vorwand: "Ich bin Fotograf und weiß nicht mehr, wo ich hin muss." Man bestätigt uns, dass gerade eine Hochzeitsgesellschaft speise. Prompt reisen wir an. Tatsächlich sind viele Leute hier und mit fadenscheinigen Scherzen will man uns an den Kuchen, eine Ehe-Party findet jedoch nicht statt. Wir sind also einem Telefonscherz des Lehrlings aufgesessen.
Schließlich brausen wir auf aufs Geratewohl mit Vespa und Miet-Smart in Richtung Cobenzl. Am Weg biegen wir zum Restaurant "Am Himmel" ein und haben tatsächlich Glück. Im Gastgarten vergnügt sich eine ausnehmend junge Braut in spe mit ihrer Poltergruppe. Den ausgelassenen Girls ist es eine Ehre, sich mit Kollegen Rachlinger ablichten zu lassen, allerdings verschmähen sie die Torte, weil sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.
marc carnal
Indoor folgt die nächste glückliche Fügung. Eine Hochzeitsgesellschaft! Hurra! Unvermittelt stehen wir vor dem Brautpaar. Sogleich schreiten wir zur Pflichterfüllung für den Monat Mai und fertigen natürlich Beweisbilder an:
marc carnal
marc carnal
Die heimliche Hoffnung, die Brautleute würden uns in ihre fröhliche Gesellschaft integrieren und uns Speisen kredenzen, erfüllt sich leider nicht. Ist aber vielleicht auch besser so, am Ende lernt man noch neue Leute kennen, dabei hat man eh schon alle Hände voll damit zu tun, die ganzen bereits bekannte Leute wieder loszuwerden. Mit einem womöglich unerwarteten Wort soll dieser Bericht enden: Spargel-Weitwurf-WM-Vorausscheidungs-Eröffnungsrede.