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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

5. 5. 2013 - 13:10

Tagebuch zum Jahr der Pflicht (18)

Mai: Eine dreistöckige Torte backen und unangekündigt einem fremden Brautpaar überreichen.

marc carnal

Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.

Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.

Voting Jänner - Kategorie Handwerk

Voting Februar - Kategorie Wissen

Voting März - Kategorie Musik

Voting April - Kategorie Sport

Voting Mai: Kategorie Essen

Montag, 29. April

● Manchmal wünsch ich mir, einem körperlich anstrengenden 40-Stunden-Job nachzugehen, am späten Nachmittag in meine Gemeindebauwohnung in Floridsdorf heimzukehren, dort pünktlich um 18 Uhr mit meiner dicken Frau und meinen dicken Kindern schweigend viel Fleisch ohne Beilagen zu fressen, mich dann entweder auf das Champions League-Spiel, den Stammtisch oder den Kegelabend zu freuen, am nächsten Tag wieder verkatert hackeln zu gehen und damit absolut glücklich und zufrieden zu sein und kein bisschen mehr zu wollen!

● Seltsamer Schlagertext:

Aus dem kleinen Haus
mit dem kleinen Baum
Kleine Maid schaut 'raus
Hat 'nen kleinen Traum

Kleiner Traum wird wahr
Ach, ist der Kleinen wohl -
In Gilli Gilli Oxenpfeffer Katzenellenbogen in Tirol.

Dienstag, 30. April

● Ich saß in meinem Gemach und vertiefe mich in das bunte Treiben auf meinem Computerbildschirm, als es vor meinem Fenster gehörig krachte. Eine bunte Vielfalt an schönen Vokabeln böte die Möglichkeit, den Tuscher hinlänglich zu beschreiben, da mir aber der Schrecken noch im Nacken sitzt, beschränke ich mich auf ein stellvertretendes "KAWUMM". Ich dachte sofort an einen Autounfall. Ein Blick nach draußen präsentierte mir jedoch Geröll. Offensichtlich war ein Teil meines Hauses abgebrochen und hatte auch zwei Autos beschädigt. Pflichtbewusst eilte ich zur Vermieterin, um sie über ihren zerbröckelnden Besitz zu informieren. Sie war not amused. Warum sollte auch immer nur die Queen not amused sein? Dürfen Hausbesitzerinnen, besonders jene, die Rose von den Golden Girls zum Verwechseln ähnlich sehen, nicht auch mal das Stimmungs-Privileg der englischen Königin für sich beanspruchen?

marc carnal

Ich begleitete die konsternierte Dame nach unten und begutachtete mit ihr den Schaden. Feuerwehr und Polizei wurden gerufen. In der folgenden Stunde durften wir die Haustüre nicht mehr passieren, da die Feuerwehrleute einen Kran bestiegen und die losen Teile des bröckligen Mauervorsprungs abklopften. Da mehrere Nachbarn ebenfalls nach draußen gekommen waren, mussten mehrere Gespräche der Marke "Ah, ihr habt zehn Quadratmeter weniger? Wieviel zahlt ihr da?" geführt werden. Einigen Schaulustigen war es nicht zu nehmen, ihrer Schaulust nachzugehen. Eine junge Frau stand in einem Papageien-Trainingsanzug über eine Stunde auf der gegenüberliegenden Straßenseite und aß beim Fassaden-Starren eine ganze Tüte Chips auf. Irgendwann durften wir wieder rein. Eine Schlusspointe lässt mein Mauerwerk-Thriller leider vermissen.

Mittwoch, 1. Mai

● Besuche mit Herrn und Frau Josef nach dem Motto "Hätten wir das auch mal erlebt" den Maiaufmarsch am Ring. Erstaunlich wenig los. Erstaunlich auch, welches Formenspektrum der menschliche Körper annehmen kann. Bei Hunden wundert man sich ja gerne, dass ein Zwergpudel und ein Dobermann derselben Gattung angehören. Trifft auf Menschen aber ebenso zu. Nach einer halben Stunde an vorüberschlurfenden, -hinkenden und -humpelnden Altsozis möchte man Orthopäde sein und wild mit Visitenkarten um sich werfen - man hätte ausgesorgt.

● Erstmals gelesen: "jemensch" statt "jemand". Ich will jetzt nicht ausführen, warum "mensch" statt "man" etymologischer Irrsinn ist, sondern weitere Vorschläge für derartige Wortkreationen machen:

  • Menschfred
  • Menschnerschnitten
  • Menschdeln
  • Menschdoline
  • Menschniküre
  • Wintermenschtel
  • Menschuskript

Donnerstag, 2. Mai

● Andy Borg hat in seinem Wohnzimmer zwei Fernseher - Seine Frau sieht auf dem einen und er auf dem anderen mit Kopfhörern parallel fern. Was für eine kranke Partie.

● Jetzt bin ich mal ganz wild und sage eine Renaissance des Sprechteils in der Popmusik voraus.

● Schönes Bild: Jemand sieht zufällig, wie das letzte Blatt seiner Zimmerpflanze zu Boden fällt.

Freitag, 3. Mai

orf

● Teilnahme beim sogenannten Cover-Slam im brut. Dort galt es, mit dem Text eines Konkurrenten zu brillieren und dafür Zeuge zu werden, wie der eigene Text von einem anderen Teilnehmer vorgetragen wird. Starke Sache. Mit einer postfeministischen Kampfrede waren meine Chancen aufs Finale zwar etwas eingeschränkt, Kollege Henrik wusste meinen Dialog dafür durchaus gekonnt zu deklamieren. Immer schon wollte ich ein Gespräch eines Paares schreiben, das die vielzitierte Ehrlichkeit in der Beziehung etwas gar konsequent befolgt und tatsächlich aufrichtig miteinander umgeht. Anlässlich des heutigen Wettlesens erfüllte ich mir den gehegten Wunsch. Ein Auszug:

"Willst du meine Amaranth-Knusperflocken probieren?"
"Danke, das ist lieb von dir, aber ich habe nicht die geringste Lust."
"Da bin ich aber erleichtert. Es hätte mich ehrlich gesagt auch gereut.
Völlig zu Recht, mein Schatz, ich weiß solche kleinen Gesten ja auch nicht zu würdigen."
"Allerdings! Übrigens hat mir vorher Lisa geschrieben, ob wir Lust haben, sie am Nachmittag auf ein radikalfeministisches Minigolfturnier zu begleiten. Das wird dich wohl kaum reizen!"
"Natürlich nicht, schließlich finde ich deinen Freundeskreis fast ausnahmslos unerträglich. Lisa geht ja noch, aber wenn ich an den Rest dieser bemitleidenswerten Vollgummis auch nur denke, wird mir ganz anders. Neben großem Unverständnis bleibt doch auch ein gewisses Maß an Bewunderung, dass du derartig widerwärtige Menschen aushalten kannst."
"Ja, das mit der Bewunderung verstehe ich, mir geht es da genau gleich bei deinen Sauffreunden. Ich frag mich aber schon öfter, ob es nicht auch ein bisschen gegen dich spricht, dass du dich gerne mit solchen primitiven Versagern umgibst. Isst du noch was? Sonst räum ich die Butter weg."
"Lass ruhig stehen, ich werde aus reiner Langweile noch weiteressen, weil mich unser Gespräch nur mäßig fesselt."
"Das kann ich nachvollziehen! Dann werde ich auch noch einen Gabelbissen runterwürgen, was angesichts meiner Gewichtsprobleme zwar unvernünftig, mangels deines Unterhaltungswerts aber wohl allzu verständlich ist. Merkst du eigentlich, dass ich Monat für Monat fetter werde?"
"Nein, meine Liebste, das ist mir leider entgangen. Das liegt wohl daran, dass ich dich schon länger nicht mehr genauer betrachtet habe. Bei näherem Hinsehen muss ich aber feststellen, dass ich deine Figur sehr interessant finde."

Samstag, 4. Mai

● Die niedere Kunst der offensichtlichen Reimvermeidung kennt man aus Bierzelt-Lyrics: Auf eine Textzeile mit den Endsilben "icken" wird ein vermeintliches "ficken" durch ein familientauglicheres Wort ersetzt. Ein Brüllen erfüllt dann zumeist den Saal. Sebastian Krämer demonstriert in einem Lied eine edlere Form der Reimvermeidung:

Uns lässt die Nacht heut keine Ruh',
das Fenster lass ich offen stehn.

● Heute war ich sehr unsouverän. Ich war mit meinem nicht gerade imagefördernden, aber überaus praktischen Trolley im Hofer, als ich in einer Außentasche eine Packung Pfeffer fand, die ich offensichtlich vor Monaten auszuräumen verabsäumt hatte.

Nun stand ich vor einem Dilemma: Hätte ich das Säckchen wieder zurückgesteckt und an der Kassa vorbeigeschmuggelt, hätten mich Beobachter womöglich des Diebstahls bezichtigt. Den Pfeffer ein zweites Mal zu bezahlen, verbot mir der Geiz. Ich machte also das denkbar Blödeste und stellte die ursprünglich bereits bezahlte Ware zurück ins Regal zu ihren Artgenossen. Dass Zeugen denken könnten, ich wäre ein Erpresser, der die Pfefferfirma mit vergifteter Ware unter Druck zu setzen plant, wurde mir erst am Heimweg bewusst.