Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Tagebuch zum Jahr der Pflicht (16)"

Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

21. 4. 2013 - 12:51

Tagebuch zum Jahr der Pflicht (16)

April: Den Gipfel eines der 100 höchsten Berge Österreichs erklimmen (verschoben ist nicht aufgehoben).

marc carnal

Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.

Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.

Voting Jänner - Kategorie Handwerk

Voting Februar - Kategorie Wissen

Voting März - Kategorie Musik

Voting April - Kategorie Sport

Sonntag, 14. April

● "Hast du Lust auf eine zunächst auf mündlicher Überlieferung basierende, kurze Erzählung von fantastischen, die Wirklichkeit übersteigenden Ereignissen? Da diese mit realen Begebenheiten, Personen- und Ortsangaben verbunden sind, wird für dich der Eindruck eines Wahrheitsberichts entstehen."

"Das klingt ja sagenhaft!"

● Geschüttelter Dirigent:

Es dirigiert der Harnoncour
nur Brahms und Liszt - welch Kanon-Hur!

● Fünf rätselhafte russische Sprichwörter:

  • An der Stirn ist auf der Stirn.
  • Bei sieben Tagesmüttern bleibt das Kind ohne Auge.
  • Der Meerrettich ist nicht süßer als der Rettich.
  • Die Eier sollten das Huhn nicht belehren wollen.
  • Morgens getrunken - ganzen Tag frei.

Montag, 15. April

● Ausprobiert, funktioniert vortrefflich: "Ich habe Hautkrebs ... Sorry, war gelogen."

Wirkungsvolles Tool, um in größeren Runden die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Hey, das find ich echt nicht ok, mit sowas macht man keine Scherze, da hört sich für mich der Spaß auf!
(Funktioniert auch vortrefflich: Mögliche Kritik immer vorwegnehmen.)

orf

● In meiner Straße wohnt eine Omi, die schätzungsweise 1,30 Meter groß ist und an Brigitte Mira aus "Drei Damen vom Grill" erinnert. Sie geht in jeder freien Minute mit ihrem verfilzten Schoßhündchen spazieren, und ihr Tag scheint fast ausschließlich aus freien Minuten zu bestehen. Ohne Unterlass schlurft sie die immer selbe Route um den Block und zieht das gelangweilte Tier nach. Ihre Stimme ist nicht etwa zittrig und leise. Die Hundeomi gebietet über ein erschreckend lautes und tiefes Organ. Wenn ich ihr begegne, hält sie mich oft auf und stellt immer dieselbe Frage:

"WOHNEN SIE AUCH IN DER GASSE!!??"

"Ja."

"WAS!!!???"

"JA!!!"

Dann trippelt sie kommentarlos weiter. Ich dachte immer, ihr komplettes Kommunikationsrepertoire würde sich auf die Gassenfrage beschränken. Doch heute folgte die Sensation: Zwei Kinder kamen ihr entgegen. "WOLLTS STREICHELN?", brüllte sie förmlich. Die Kinder erschraken und liefen weg. Da tat mir die Omi ein bisschen leid. Ob sie das Hündchen oder sich streicheln lassen wollte, bleibt offen.

Dienstag, 16. April

● Aus "Versuch eines Wetterberichts in Schüttelreimform":

Im Innkreis freitags wieder Regen -
das tut uns leid, der Rieder wegen.

● Aus dem Schweizerdeutsch-Vokabelheft:

  • Gfröörli (kälteempfindlicher Mensch)
  • Tüpflischiisser (Pedant)
  • Abgwöhnerli (letzter Schluck)
  • Lüürlibrüe (fades Getränk)
  • Füdlibürger (Spießer)

● Pollenallergie - what the hell is it good for?

Mittwoch, 17. April

● So, damit das mal erledigt ist - Alle 100 Übersetzungsvorschläge für "An apple a day keeps the doctor away":

marc carnal

Donnerstag, 18. April

● "Glück ist ein flüchtiges Gut, das man im Augenblick erfährt, kein Zustand für die Ewigkeit." - Armin Mueller-Stahl.

"Glück ist, wenn man in ein Car2go steigt, sich ärgert, dass die Leute ihre Tschickpackln drinnen liegen lassen und dann merkt, dass es ein volles Tschickpackl ist." - Marc Carnal

● Beschämt, aber von Restvernunft geleitet gesteht die Neigungsgruppe Pflicht an dieser Stelle, dass die April-Aufgabe verschoben wird. Mit dem Vorhaben, einen der 100 höchsten Gipfel Österreichs zu besteigen, haben wir den Mund - zumindest zu dieser Jahreszeit - etwas zu voll genommen.

Kollege Josef schrieb letzte Woche den Alpenverein mit der Bitte um Unterstützung an. Der gütige Herr Rothwangl antwortete uns folgendes:

"Ihre Anfrage wurde an mich weitergeleitet - finde ich ja höchst interessant, wie Leute auf die Berge kommen. [...] Bergtechnisch ist der April ein herausforderndes Monat, da meistens bereits zu wenig Schnee für Skitouren und noch zuviel für Wanderungen liegt. Auch mit den Hütten schaut es nicht so einfach aus, da die meisten geschlossen sind. [...] Aufgrund der Jahreszeit gibt es leider keine 'einfache' Lösung, die Gipfelziele benötigen alle alpine Erfahrung (vor allem Gletscherbegehung, Lawinen, Gehen im ausgesetzten Gelände) [...] Die Ziele sind alle keine einfachen Gipfel und teilweise ist auch der Umgang mit Steigeisen und Pickel erforderlich. [...] Je länger ich an der Email schreibe, umso stärker bildet sich bei mir der Wunsch, dass sie als 'greenhorns' einen Bergführer nehmen sollten und so eine tolle Bergtour erleben. Sollten die Vorkenntnisse im Team eher bescheiden sein, wäre dies eine wirklich sinnvolle Vorgehensweise."

Selbstverständlich wird die bewusste Pflicht erfüllt, allerdings erlauben wir uns, die Besteigung auf einen wärmeren Monat zu verlegen. Diesbezügliche Shitstorms und Drohbriefe werden verständnisvoll zur Kenntnis genommen - immer noch besser, als in den Alpen zu verenden und die Schlagzeile "Wiener Vollpfosten in Ötztaler Alpen erfroren" zu generieren.

Freitag, 19. April

● Schirmherrin ist korrekt, Schirmfrau wäre reizend.

● Nach einer Lesung wollte mich mal ein Zuschauer beglückwünschen und sagte tatsächlich: "Ich find das total gut, wie du schreibst, hast du Publizistik studiert oder so was?" Meine wenig schlagfertige, verdutzte Antwort lautete: "Nein, ich habe nicht Publizistik studiert."

● Eine Kuh macht Muh, viele Kühe auch.

Samstag, 20. April

● Morgen geht es nach Istanbul. Ich bin ja ein sehr lässiger Hund. Erfrischend unbekümmert, mild im Urteil, hart im Nehmen, kalifornisch im Gemüt. Wenn ich jedoch Flugreisen antrete, treten Charakter-Features zutage, denen ich mich machtlos fügen muss. Das Fliegen an sich macht mich nicht kirre, aber das ganze Drumherum. Vier Stunden früher als nötig finde ich mich beim Check-in-Schalter ein. Das Prozedere vor Flugantritt ist zwar mittlerweile deppensicher genug gestaltet, dass jeder besoffene Ibizahorst im Halbschlaf ins richtige Flugzeug kommt, trotzdem werde ich die Angst nicht los, auf der Suche nach dem richtigen Schalter in einem Kafka-Wachtraum verzweifelt durch endlose Hallen irren zu müssen.

Traumatisierende Erlebnisse fallen mir auch keine ein, die meine Flughafen-Psychose bedingen könnten. Einmal sah ich am Flughafen Salzburg Karl Moik und in Mumbai musste ich musizieren. Ich hatte mir zuvor ein indisches Harmonium gekauft. Die Sicherheitskräfte vermuteten wahrscheinlich, ich wolle damit Drogen schmuggeln, als sie mich in eine Art Verhörzimmer zerrten und mich zwangen, ihnen auf dem Instrument eine schöne Weise zu spielen. Sie wussten wohl aus Erfahrung, dass der durchschnittliche Drogenschmuggler nicht durch musisches Talent glänzt. Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, dass sie mein Harmonium durchleuchten oder öffnen, doch ich fügte mich und spielte. Nach einigen Minuten fragte ich schüchtern: "Ok?" Die grimmigen Inder sagten: "Play!" Konkrete Songwünsche gab es nicht, ich durfte nach eigenem Ermessen jammen. Irgendwann waren sie zufrieden und scheuchten mich davon.

Schlimmeres ist mir bisher nicht passiert. Trotzdem werde ich morgen wieder viel zu früh in Schwechat eintreffen und ein halbes Monatseinkommen in Zerstreuung investieren, um nur ja genug Zeit für das eigentlich recht unkomplizierte Eincheck-Prozedere zu haben.