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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

17. 3. 2013 - 19:10

Tagebuch zum Jahr der Pflicht (11)

März: Eine Kombination aus Blas-, Saiten- und Perkussioninstrument mit mindestens einer Oktave Tonumfang bauen und darauf ein Lied spielen.

marc carnal

Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.

Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.

Voting Jänner - Kategorie Handwerk

Voting Februar - Kategorie Wissen

Voting März - Kategorie Musik

Sonntag, 10. März

● Zyklopen können ambivalente Sichtweisen präziser ausdrücken: "Ich sehe das mit einem lachenden und zwei weinenden Augen."

● Fantastische Seite, fantastische URL und große Empfehlung für Kunststudenten und Kuratoren: worte.at
Ein Generator spuckt textuelle Beschreibungen von Kunst aus. Die generierten Texte sind derartig virtuos nichtssagend, dass sich rasch eine Sucht nach den herrlichen Worthülsen-Verschachtelungen einstellt.

"So installiert der Bezug in den irritierten Anstrengungen zur Provokation eine Problematik in einem ahistorischen Ideenpool. Im Datenraum wird einem zeitlosen Blickwinkel nachgegangen, dabei erzeugt ein Exkurs manche kompatible Fokusse. Autonomien expandieren den Ort der Produktion vor allem in den erfahrbaren Verdichtungen von Sprache eines Ausschließungsmechanismus."

Montag, 11. März

● Redewendung für jene, die christliche Feiertage nicht schätzen: "Der Wohnungsbrand, das war für mich wie Weihnachten und Ostern zusammen."

● Soziologisch vielleicht etwas unpräzise umrissene Gruppe: "Frauen, die ganz viel in der Hand halten." Sie schaffen es, um sieben Uhr morgens gleichzeitig einen Kinderwagen zu schieben, zu telefonieren, zu rauchen, Chips zu essen und Red Bull zu trinken. Die Anzahl der Beschriebenen mag überschaubar sein, ich habe aber das Gefühl, diese Frauen in letzter Zeit immer öfter zu sehen und hege größtmögliche Vorurteile gegen sie.

Dienstag, 12 März

Endlich schreite ich zur Morseprüfung beim wunderbaren Herrn Lorenz vom Österreichischen Versuchssenderverband, um den Beweis für die Erfüllung der Februar-Pflicht zu erbringen. Wie bereits früher an dieser Stelle erwähnt, bremste der Profi die Neigungsgruppe Pflicht im Keim ihrer Bemühungen, das Morsen tatsächlich zu erlernen. Monatelanger intensivster Übung bedürfe es, um tatsächlich in der gebotenen Geschwindigkeit Nachrichten per Tonsignal versenden und verstehen zu können. Unter seiner liebevollen Ägide haben wir es aber immerhin gelernt, eine Selektion der häufigeren Buchstaben in lächerlicher Geschwindigkeit zu übermitteln und zu verstehen.

Die "Prüfung" bestand aus zwei Teilen. Im ersten schaffte ich es immerhin, einen vom Computer gemorsten Satz beinahe fehlerfrei niederzuschreiben:

Dann musste ich geben:

Ich kann zwar nun nicht behaupten, das Morsen tatsächlich zu beherrschen, Herr Lorenz attestierte mir aber zumindest achtbare Ambition und meinte, viel mehr könne man in der kurzen Zeit auch nicht erlernen, wenn man nicht über durchgehende Tagesfreizeit verfüge oder ein Genie sei. Somit bin ich, auch wenn die Pflicht nur teilweise erfüllt wurde, zufrieden und danke Herr Lorenz noch einmal aus ganzem Herzen, dass er mich kontaktiert und uns geholfen hat!

Mittwoch, 13. März

● Die Seite press-guide.com listet sämtliche deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften im Ausland auf. Was es da alles zu finden gibt! Beim Stöbern denkt man bald, jede mexikanische Kleinstadt hätte ihr eigenes deutsches Magazin. Wenn die Versandkosten nicht so beträchtlich wären, könnte ich dem einen oder anderen Abonnement wohl schwer widerstehen.

Bei der Detailrecherche hänge ich noch immer in Ungarn.

Die Balaton Zeitung, die man sich auch per Mail zukommen lassen kann, berichtet davon, dass in der Nähe von Nagybajom ein Bus einen Hirsch erfasste, "wobei dieser durch die Frontscheibe in den Bus stürzte, sich dort aufrappeln konnte und in seinem Schrecken im Bus
auf und ab rannte."

Dann folgt eine Anzeige:

"Original ungarisches Schlachtfest! Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen! Begrüßung mit Schnaps und Wein, dann wird die Sau geschlachtet und verwurstelt, anschließend rustikales Picknick."

Auch schön:

"In der Bezirkspolizeidirektion Veszprém hielt man den Anruf in der Silvesternacht, dass von der Umgehungsstraße bei Pápa ein großer Vogel unterwegs in die Innenstadt sei, zunächst für einen Scherz angeheiterter Mitbürger."

Die Auslandsdeutschen Zeitungen werden womöglich noch viele Tagebuch-Wochen bereichern...

Donnerstag, 14. März

● Bei der Überlegung, ob ich das Wort "Fachexperte" oder "proaktiv" entsetzlicher finde, zum Schluss gekommen, dass ein "proaktiver Fachexperte" noch schlimmer ist.

● So, wer schreibt mir jetzt eigentlich das Papst-SMS? Im vierten Jahr habe ich nun diesen Fastenzeit-Service abonniert. Nach Ratzingers Rücktritt spekulierte ich noch, er würde die schönen Sentenzen heimlich weiterschicken, doch selbst mit neuem Pontifex bekomme ich noch täglich Benedikt-Zitate.
Betrug am Kunden? Schrieb und schreibt der Papst hier etwa gar nicht selbst? Ich wäre endgültig enttäuscht von der Kirche!

Freitag, 15. März

● Dreh für den "Willkommen Österreich Kundendienst". Besuch in einer PR-Agentur und bei einer Image-Beraterin. Ein Heidenspaß für alle Beteiligten.

Temmel, Seywald & Partner

● Sieht nach wie vor seltsam aus: Touristen, die mit dem iPad fotografieren.

Samstag, 16. März

● Der liebe Herr Albdorf bringt mir ein sehr gutes Wissen bei: Ein Pringle hat die Form eines unvollständigen hyperbolischen Paraboloids. Ich bin gerade dabei, den hübschen Terminus auswendig zu lernen, um fortan unwillkommene Gesprächspausen würdig füllen zu können.

● Bin ich denn der einzige, der Loriot nicht lustig findet? Jeder geschmacklich halbwegs sattelfeste Mensch preist das Œuvre des Komikers in den höchsten Tönen, aber bei mir zündet der Bülow-Schmäh nach wie vor so gar nicht. Ich kann zwar auch Stehsätze wie "Ich komm mir grad vor wie bei Loriot" in absurden Situationen anwenden, aber eben nur, weil sich dann, ähnlich wie bei "kafkaesk", jeder auskennt. Um Anspieltipps abseits der bekannten Filme wäre ich tatsächlich dankbar.