Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vlog#6 Die Mörder sind unter uns"

Pia Reiser

Filmflimmern

31. 10. 2012 - 11:06

Vlog#6 Die Mörder sind unter uns

Schwarzhumorige Landpartie mit zahlreichen eingeschlagenen Schädeln ("Sightseers") und eine Doku über Serienmörder Jeffrey Dahmer.

Wenn man nach Mustern und Verbindungen sucht, wird man sie finden. Tatsächlich eröffnet "Jeff" mit einem Aquarium, in dem sich die gleichen Goldfische befinden wie im Aquarium in Min Soo-ahs Wohnung in "Blind". Ich bitte um jemanden, der oft auf Filmfestival unterwegs ist (Markus!) um eine Expertise, aber ich habe die Österreicher im Verdacht große Fans des Anstellens zu sein. Während ich diese Zeilen schreibe ist noch über eine halbe Stunde Zeit bis "Sightseers" beginnt" und schon bildet sich eine lange Schlange. Dabei kann man hier im Künstlerhaus so herrlich rumsitzen und Kaffee trinken oder seinen Kopf durch einen "Some like it hot" Aufsteller stecken.

Heute geht mein sich zufällig ergebender Mörder-Schwerpunkt weiter, mit "Jeff", einer Doku über Jeffrey Dahmer, der zwischen 1987 und 1991 17 Menschen umgebracht, zerstückelt und teilweise gegessen hat. Als im Viennale-Katalog von nachgespielten Szenen lese, gruselt es mich, ich denke an die greislichen Dokus im Geschichtsunterricht, wo Laiendarsteller mit Perücken und aufgemalten Muttermalen über Schlachtkarten gebeugt waren und sich am Kinn kratzten.

ANdrew Swant in "Jeff"

MichaelKubaszak

Cop, Gerichtsmediziner, Nachbarin

Die Gruselei war unbegründet. In den Spiel-Sequenzen sehen wir Andrew Swant als Jeffrey Dahmer in Alltagsmomenten. Beim Goldfischkauf, beim Dosenbiertrinken, beim Fast Food Essen im Bus. Der Zeitgeist gibt Dahmer in der 501-Jean, den aufgekrempelten Ärmeln, dem Schnauzer und dem Krankenkassagestell ein Upgrade. Damals Weirdo, heute Nerd mit Tendenz zum Hipster. Drei Interviewte fährt "Jeff" auf, lässt erklärende Einblendungen aber sein und lässt uns selbst rausfinden, wer die Frau und die zwei Männer sind.

Ein Gerichtsmediziner, ein Polizist und Jeffrey Dahmers ehemalige Nachbarin. Und dokumentiert drei verschiedene Sichtweisen und Reaktionen auf die Verbrechen. Jeffrey Jentzen, der Gerichtsmediziner spricht nüchtern über Fakten, Ermittlungsweisen und Beweise. Pat Kennedy, der Polizist, der damals als Dahmer Cop kurzfristige Lokalberühmtheit erntet, erzählt mit Faszination und weit aufgerissenen Augen über seine Begegnung mit Dahmer.

Die Geschichte des katholischen Cops, dessen Ehe während dieser Zeit auch in die Brüche ging, würde sich als Stoff für einen Film Noir eignen. Courage is fear that said its prayers, zitiert er seinen Vater, erzählt von Kleidung seines Sohnes, die er Dahmer gibt, von langen Gesprächen mit ihm über Religion, vom Ende seiner Ehe und einem Zusammenbruch an seinem Geburtstag. Pat Kenndy verkörpert eine gewisse Faszination für das Böse im scheinbar Normalen

Andrew Swant in "Jeff"

vollman

Illustrationen der Verbrechen

Die Nachbarin schließlich, Pamela Bass, steht für den kollektiven Schock, den Berichte über derartige Verbrechen auslösen. Auch hier fällt der Satz, den Nachbarn von Mördern immer sagen. "Er war unauffällig und nett". Regisseur Chris James Thompson kombiniert diese Interviews mit Archivmaterial und den Spielfilmsequenzen, die zwar nicht die oben beschriebene Peinlichkeit von nachgespielter Zeitgeschichte haben, aber auch nicht wirklich Essentielles ergänzen oder erzählen. Sie dienen nur zur Illustration der Fassade, zum Sichtbarmachen von dem, was Jeffrey Dahmer vor allem für seine Nachbarin war: Ein normaler Typ. Die Verbrechen selbst werden nicht gezeigt, Illustrationen zeigen, welche Leichenteile in Dahmers Wohnung gefunden wurden. Ein Foto zeigt einen Knochen.

Sightseers

Da wird's bei "Sightseers" schon blutiger. Ben Wheatleys schwarzhumorige Killerkomödie erzählt von Tina und Chris. Sometimes I feel I've got to get away singen Soft Cell, gerade so als würden wir nicht sehen, dass das Wegkommen essentiell ist für Tina. Weg von der übermächtigen und bösartigen (You're not a friend, you're a relative) Mutter, auf in den Urlaub, mit Chris und Wohnwagen. Schon bald pflastern Leichen ihren Weg, denn irgendwie sind die anderen Touristen nicht zum Aushalten, genaugenommen sind das alles auch keine Menschen, sondern Daily Mail-Leser, wie Chris argumentiert.

Paar vor blauem Himmel, Szenenbild aus "Sightseers"

studio canal

Komik und Gewalt

Das seltsame working class Paar ist weit entfernt vom Vintage Glamour von Bonnie und Clyde oder von der schrillen Extravaganz von Mickey und Mallory. "Sightseers" ist ein Manifest der Hässlichkeit von Outddor- und Freizeitbekleidung und der für mich so gar nicht anziehenden Welt des Campingurlaubs. Der Film kombiniert brachial Komik und Gewalt. Biederes Landidyll und Wohnwagen-Atmosphäre werden mit Brutalität und Tod gebrochen. Und in der Mitte sitzt ein kleiner Hund als Kindchenschema-Kontrapunkt zu all dem Blutgespritze und eingeschlagenen Köpfen.

Das Drehbuch ist unberechenbarer als man zunächst denkt, wie schauen Beziehungskonflikte bei einem Paar aus, das unterschiedliche mörderische Motive und Arbeitsweisen hat. Wer will kann von "Sightseers" eine winzige Referenzbrücke zu Fritz Lang schlagen, in dessen "M" fliegt auch ein Luftballon in den Himmel, als ein Verbrechen geschieht.

Alice Lowe in "Sightseers"

studiocanal

Das Üble in den Dingen suchen

Ich muss ans Ende von "Jeff" denken, da sieht man wie das Wohnhaus, in dem Dahmer gelebt hat, abgerissen wird. In "Sightseers" verkünden die Umgebung, ein Tierskelett, knorrige Bäume, schroffe Felsen, dunkle Wolken und Nebel das Unheil von weitem. Meine liebste Szene aus "Sightseers" beinhaltet einen Bleistift, der so groß wie ein Mensch ist, mit dem Tina zu schreiben versucht.

Der schöne große Bleistiftt

Ein absurder und schöner Moment inmitten eines Films, den ich wahrscheinlich super gefunden hätte, wenn ich ihn Ende der 90er Jahre gesehen hätte, vielleicht ist aber nur mein Haushalt an schwarzhumorigem Blut- & Beuschelhumor grad gesättigt. Mein Glamour- und mein Herzklopf- und mein Gänsehauthaushalt hingegen sind filmtechnisch im Keller. Zu Hülf, Viennale!

Jörg Buttgereit ist heute zu Gast in - wo sonst! - House of Pain (22.0)

P.S. Heute vermiss ich sehr das Viennale-Tagebuch von Markus Keuschnigg, der immer so herrliche Hallooween-Sehnsuchts-Einträge am 31.10 verfasst hat. Nun, dieses Jahr hat die Viennale zum ersten Mal (oder erinnere ich mich da falsch) ein ausgewiesenes Halloween-Special. "The Thing from another World" und "The Thing" aus der von Jörg Buttgereit kuratierten Reihe "They wanted to see something different". Ich werde heut Abend als Melanie Daniels mit angenähten Raben und Kopfverband zu "The Zombies" tanzen. Happy Viennale und happy Halloween, ihr ghosts and ghouls!