Erstellt am: 30. 10. 2012 - 10:53 Uhr
Vlog#5 Seoul and Body
Man kann mir nicht vorwerfen, dass ich es nicht probieren würde, die Annäherung ans amerikanische Independent Kino. Also ich spreche jetzt vom echten Independent Kino, nicht von den Filmen, die eine gewisse lieblichen Seltsamkeit in Sachen Sprache und Styling und Kritzelschrift-Titel an den Tag legen und von Fox Searchlight in die Kinos gebracht werden. Nein, ich mein jetzt die no bis low budget Produktionen, sei es nun Mumblecore oder nicht. Wackelkamera, unhörbarer Dialog, Laienschauspieler und - wie Elisabeth T. Spira - eine Vorliebe, hässliche oder seltsame Gegenstände in Wohnungen mit der Kamera einzufangen.
viennale
Exit Elena
"Exit Elena" von Nathan Silver erzählt die Geschichte der frisch ausgebildeten Altenpflegerin Elena (Kia Davis), die einen neuen Job im Haus der Akermans beginnt. Das Ehepaar Anfang 60 braucht Unterstützung bei der Pflege von Florence, Jim Akermans Mutter. Davies spielt sympathisch diese Elena, die genauso aussieht, wie diese Mädchen im amerikanischen independent Film so aussehen. Im Fall von Elena liegt das irgendwo zwischen Lena Dunham und Jennifer Grey als Frances Houseman, verwuschelte Haare, Blümchenkleider und ein leichtes Unwohlsein den eigenen Körper betreffend.
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Leicht unwohl ist generell der ganze Aufenthalt bei den Akermans. Cindy will Elena aus ihrem Schneckenhaus locken, löchert sie mit Fragen, schleppt sie in die Zumba-Klasse mit und sieht in der jungen Frau einen neuen Teil für ihre - nicht gerade harmonische - Familie. Richtig unangenehm wird es aber erst, als Sohn Nathan auftaucht, man weiß nicht, sind es nur Verhaltensauffälligkeiten oder schon eine psychische Erkrankung des über 30-jährigen. Die Szenen mit ihm sind kaum auszuhalten, man krümmt sich im Kinosessel. Für Elena aber, so scheint es, wir erfahren nicht viel über sie, ist diese verkorkste Familie vielleicht ihre einzige Familie.
viennale
Nach dem Film gibt es eine Steigerung von der Erfahrung nach "Somebody up there likes me" den Regisseur zu sehen, der direkt aus seinem Film zu kommen schien. "Exit Elena" Regisseur Nathan Silver entpuppt sich als Nathan aus dem Film, der grad an den Nervensträngen gesägt hat. Er freut sich über Wortmeldungen, die bekunden, dass man seinen Film als unangenehm empfunden hat und ja, das solle so aussehen wie ein Home Movie, deswegen das 2:3-Format und alle Dialoge sind improvisiert.
Seine Mutter im Film, wie haben es schon geahnt, ist seine tatsächliche Mutter und Kia Davies, die Elena spielt, war mal seine Freundin. Dann habe sie ihn so verlassen, wie man es im Film sieht. Er würde öfters Dinge zunächst in einem Film verwenden und dann würden sie tatsächlich passieren. Schwere Stürze, Selbstmordversuche und Trennungen. Gini Brenner, die das Gespräch mit ihm führt, bittet ihn ohne die Miene zu verziehen, um Himmels Willen nichts über Wien zu schreiben. Brenner:1, Silver: 0. (Den Film über einen Autor, der Dinge herbeizuschreiben scheint, den möcht ich sofort sehen. Wahrscheinlich aber nicht von Silver).
Appetit auf Manierismus
Meine Augen und meinen Kopf dürstet es nach solchen Filmen immer geradezu nach Manierismus und Überstilisierung. Ich sehne mir einen Satz von Aaron Sorkin herbei oder einen Kader, den Wes Anderson gestaltet hat. So sehr ich den Ansatz dieser Filme verstehen kann, auch aus einer Gegenposition zum Mainstream heraus, so berühren sie mich so gut wie nie und der Nachhall bleibt aus. (Und müsste man nicht spätestens, seit man mit "Mumblecore" diese Filme kategorisieren und anhand von stilistischen Merkmalen ausmachen kann, nicht schon wieder eine neue Gegenposition formulieren?).
Wo sind die Filme, die einen durchbeuteln?
Ich bekomme Mails von Freunden, die irritiert sind, dass ich bei "Beasts of the Southern Wild" nicht geweint hab. Bin ich bereits gefühlsvergletschert, nein, nicht doch, ausgerechnet bei "Amour" vom Gefühlsvergletscherungs-Chronisten hab ich mir ja vor einem Monat die Augen ausgeweint. Aber ich merke, dass im Gegensatz zu letztem Jahr, wo mich bereits am ersten Tag Filme so durchgebeutelt hatten, dieses Jahr bis jetzt die Wucht, das lange Echo ausbleibt. Am ehesten hat mich noch "The Deep Blue Sea" erwischt mit seinem Gegensatz aus kontrolliertem Spiel und unkontrollierbaren Gefühlen. Mir fehlen die Spitzen und Tiefen dieses Jahr, ich rausche durch die Mitte, das ist auf Dauer uninteressant.
Blind
Ich weine also nicht und erschrecke auch nicht. Neben mir hebt es bei "Blind", einem Thriller aus Südkorea die Leute aus den Sitzen, das ältere Ehepaar neben mir, nimmt sich gar an der Hand. "Blind" erzählt in Bildern, die sich mehr am US als am asiatischen Kino orientieren von einer Frau, die bei einem Unfall erblindet und somit auch nicht weiter als Polizistin in Seoul arbeiten kann. (Fürs US Remake müsste man nur den Anfang (und die Snacks) ändern. Zu Beginn holt Min Soo-ah ihren Bruder von einer B-Boy-Tanzveranstaltung ab, weil das kein Umgang für ihn ist).
hancinema
La Paloma ohe
Als eine Taxifahrt mit Fahrerflucht endet, erwacht ihr Spürsinn und Misstrauen und bald schon schwebt sie in Gefahr, weil der flüchtige Fahrer ein Serienkiller ist. Regisseur Ahn Sang-hoon beherrscht sein Handwerk, alles, was in "Blind" auch nur irgendwie vorkommt, darauf wird später zurückgegriffen, sei es der Schlag einer Standuhr oder eine Bemerkung über Videotelefonie. Einfallsreich werden Flucht und Verteidigungsszenarien entworfen, in Sachen Killerporträt greift man hingegen auf Altbewährtes zurück. Ein dunkler Keller, populäre Musik ("La Paloma") erklingt bei der Verrichtung von Gräueltaten und - everything is connected! - das Klicken des gleichen Feuerzeuges wie Matthew McConaughey in "Killer Joe".
Eine Szene in der U-Bahn macht schlaue und spannende Verwendung von neuen Medien und treibt das Spiel mit dem, was wir sehen und Min Soo-ah nicht sieht, auf die Spitze. Weniger subtil und eher reaktionär ist hingegen, wie man beim Killer Beruf und Verbrechen in einen Zusammenhang bringt. Ich weiß nicht, ob das nach internationalem Spoilergesetz jetzt schon ein Verstoß wäre, also ich hab euch gewarnt. Ich füg hier mal ein Bild ein, für alle, die nicht weiterlesen wollen.
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Der Killer und sein Beruf
Also, der Killer ist Gynäkologe und führt Abtreibungen durch, die in Südkorea illegal sind. Erst im August 2012 entscheidet sich das Verfassungsgericht bei einer Abstimmung gegen eine Änderung der gesetzlichen Lage zu Schwangerschaftsabbrüchen. "Blind" doppelt - in erzählerischer und visueller Weise - die Arbeit des Killers in seinen Verbrechen. Anästhetikum und Blut, (partielle) Nacktheit. Sogar das Lied, das man zuvor bei ihm zuhause im Keller gehört hat, wo er seine Opfer hinbringt, ertönt auch im OP. Ich frag mich kurz (mit dem Nachhall von "Rool 237", ob die Interpretationspferde mit mir durchgehen, aber nein, denn am anderen Ende von "Blind" ist ja auch noch das Waisenhaus, in dem Min Soo-ah aufgewachsen ist und aus dem bei jeden Besuch glückliche kleine Kinder stürmen.)
Ebenfalls kein Händchen für Understatement, aber weit weniger ärgerlich ist die Figur des Kommissars. Der (und manchmal der treuherzige Blick von Hund Wisey) soll für den Humor sorgen, den ich im Thriller ja so gar nicht brauche. Cho Hee-bong spielt den Ermittler wie frisch von der Louis de Funes Schule für Haareraufen und Augenrollen.
viennale
Im Fernsehen sagt Hans Hurch grade im Interview, dass "Jagten" wahrscheinlich nicht der beste Film der Viennale ist, ich borg mir den Satz mal für "Exit Elena" und "Blind" aus.
Und sonst so
War jemand bei "Augustine", für den hab ich schrecklicherweise keine Karte mehr bekommen! Ich bemerke außerdem, dass ich mir eine kleine Killerniale zusammengestellt hab, von "Killer Joe" über "Blind" zu "Jeff" und "Sightseers".