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Alex Wagner

Zwischen Pflicht und Kür

8. 5. 2012 - 17:41

Auf Segelkurs

Die deutsche Piratenpartei und ihr steiler Aufstieg.

Piraten auf fm4.ORF.at

Anders als der österreichische Ableger ist die deutsche Piratenpartei mittlerweile ernstzunehmender politischer Player. Reihenweise ziehen die Piraten in deutsche Landtage ein. Vergangenes Wochenende haben sie 8,3 Prozent in Schleswig-Holstein eingefahren, 8,9 Prozent waren es im Herbst 2011 im Berliner Abgeordnetenhaus, 7,4 Prozent bei den Wahlen 2012 im Saarland. Und auch bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen am kommenden Sonntag - mit knapp 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands - werden die Piraten höchstwahrscheinlich die Fünf-Prozent-Hürde knacken.

Die Piratenpartei bei den Wahlen in Schleswig-Holstein

DPA / Daniel Bockwoldt

Wahlplakat von Christopher Lauer

Piratenpartei Deutschland

Das Wahlplakat des bekennenden ADHS-Kranken und Piraten Christopher Lauer

Der Stil der Piraten als Internetrebellen mit Hackerbrause in der Hand kommt vor allem bei jungen Wählerschichten gut an. Die Piraten werden zur neuen Heimat der digital natives. Wahlplakate mit lässigen Sprüchen, ein bei den übrigen Parteien eher vernachlässigtes Kernthema rund um die Freiheit des Internets und einer Reform des Urheberrechts im Sinne des Fair-Use-Prinzips und authentische Menschen statt Berufspolitiker - die Piraten sind voll auf Kurs. Ohne jedoch genau zu wissen, wohin sie steuern. Im Parteiprogramm findet man nur wenig Statements zur aktuellen Außenpolitik und auch auf die Frage, was denn mit den ehemaligen Schlecker-MitarbeiterInnen nach dem Konkurs passieren soll, antworten die Piraten, damit hätten sie sich im Detail noch nicht auseinandergesetzt. Die Chuzpe, die Ratlosigkeit der Piratenpartei-Mitglieder, der ahnungslosen Generation "Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt", als politischen Stil zu etablieren und sich damit von den Gedankenblasen-produzierenden NLP-geschulten Bundesparteipolitikern abzuheben, mag zwar in der Bevölkerung als cool und authentisch ankommen, birgt aber die Gefahr des Nicht-Weiterkommens.

Warum sollte ich die Ein-Punkt-Partei wählen, wenn sie selbst nicht wissen, wofür sie stehen? Und wie lange zieht ihr Neulingsbonus noch, die mittlerweile seit sechs Jahren mit an Bord sind? Ab wann wirken die fehlenden Antworten, das ewige Abstimmen und das nicht rasche Reagieren-Können unorganisiert, unprofessionell und peinlich?
Noch gelten Piraten als politische Bewegung, die einiges anders macht, als die Anderen. Vergleiche mit den Grünen in den 80er Jahren werden gezogen und deren Plädoyer für mehr Umweltpolitik. Und auch damals haben die Parteien reagiert und mittlerweile Kernthemen der Grünen in ihr Parteiprogramm übernommen.

Der Erfolg der Piratenpartei gibt den etablierten Parteien zu denken. Intern werden schon längst Social Media Konzepte ausgearbeitet und versucht, die Form der politischen Partizipation der BürgerInnen zu stärken. Und doch wirkt es, als ob die alten Parteien vom Konzept der Piraten überrumpelt wurden, die ja eigentlich wenig Konzept haben.
Die neoliberale FDP hat schon früh das Potenzial der Piratenpartei erkannt. Bei der letzten Bundestagswahl hat sie versucht, sich als Bürgerrechts-Partei in Szene zu setzen, drohte unter anderem mit einem Veto gegen Internetsperren - um sich als ernsthafte Alternative für Piraten-WählerInnen anzubiedern. Allerdings wirkte die Inszenierung künstlich, das Thema Freiheit im Internet war und ist als Kernthema sicherlich bei der Piratenpartei authentischer aufgehoben und 2012 sind die bundesweiten Umfrageergebnisse der FDP in Regierungsverantwortung mehr als niederschmetternd.

Mauer, auf die das Logo der deutschen Piratenpartei gesprayt wurde

CC Piratenpartei Deutschland

Kaum ein Tag vergeht, ohne eine weitere Diskussionsrunde zu den Piraten (gestern zum Beispiel: Hart Aber Fair in der ARD, im Panel kein einziger Pirat, außer der Autorin Juli Zeh, die mit den Piraten sympathisiert, bei den Deutschen gerne als altes Sprachrohr der Jugend fungiert und deren Freund dann doch immerhin Mitglied in der Piratenpartei ist.), nun sind sie eben auch medial angekommen, im Herzen der Berichterstattung. Und damit einher geht auch ein Dilemma, das die Partei als eines der wenigen zentralen Punkte in sich trägt.

Wenn die Transparenz zum Verhängnis wird

Einloggen, diskutieren, mitbestimmen und zwar über alles. Keine Geheimniskrämerei mehr in Ausschüssen, jeder kann bei der deutschen Piratenpartei mitbestimmen, welche Themen diskutiert werden sollten. Die vollständige Transparenz und basisdemokratische Abstimmungen gehören zum neu aufgelegten Konzept der Piratenpartei. Ich muss mich eben nicht damit begnügen, was klassische Medien vom CDU-Parteitag zusammenfassend berichten, sondern kann - wenn ich denn will und die Muße dazu habe - in das Parteigeschehen direkt eingreifen.

Nachteil daran: Alles, was ich äußere, wofür ich eintrete, ist jedem zugänglich und ähnlich wie die Occupy-Bewegung könnte auch die deutsche Piratenpartei unterwandert werden. Berufsdemonstranten finden bei den Piraten eine neue Heimat und die eigentlich ideologiefreie Bewegung, die mit allen Lagern diskutieren will und niemanden ausschließlich will, könnte zum Sammelpool radikaler Meinungsträger werden. Zuletzt holten sich die Piraten ein blaues Auge im Zusammenhang mit rechtslastigen Äußerungen. Im Spiegel konnte man zum Beispiel folgendes Statement des Parlamentarischen Geschäftsführers der Berliner Piraten-Fraktion, Martin Delius, lesen: "Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der NSDAP zwischen 1928 und 1933."

Und Bodo Thiesen, rheinland-pfälzisches Piraten-Mitglied, lässt auf seiner Partei-Mailingliste verkünden: "Nun, bis vor einigen Monaten glaubte ich auch, dass diejenigen, die "Auschwitz leugnen" einfach nur pubertäre Spinner sind. Damals hatte ich aber auch noch nicht Germar Rudolf gelesen. Sorry, aber das Buch prägt einfach - zumindest wenn man objektiv ran geht." (Rudolf ist ein verurteilter Holocaust-Leugner)

Anhänger mit Plane mit dem Logo der deutschen Piratenpartei

CC - Piratenpartei Deutschland

Einen weitereren Skandal gab es um den ehemaligen SPD-Politiker und spätere Piraten Jörg Tauss, der seit seinem Urteil wegen Besitzes von Kinderpornografie im Mai 2010 aus der Piratenpartei ausgetreten ist und nicht mehr wieder eintreten durfte.

Die Piraten sind sich dieser Probleme bewusst und versuchen dagegen anzugehen. Am Parteitag in Neumünster vor wenigen Tagen wurde der Redner Dietmar Moews boykottiert. Er ist in Vergangenheit immer wieder mit seinen antisemitischen Äußerungen in Verruf geraten. Ein Großteil der Piraten verließ den Saal. Der Auftritt Moews beim Parteitag wurde aber nicht im Vorhinein unterbunden. Die Basisdemokratie, zu der sich die Piraten bekennen, erlaubt das nicht. Die Piraten sind tief gespalten, wie sie mit solchen radikalen Tendenzen umgehen sollen. Ein komischer Beigeschmack bleibt, trotz des Protestes.

Augenklappe auf

Wenn man die deutschen Piraten wählt, kann man sich nicht sicher sein, was man bekommt. Von der ernstzunehmenden Partei mit neuen Ansätzen im geistigen Eigentum und politischer Offenheit und Transparenz hin zur Spaß- und Protestpartei, ohne ausführliches Programm und klaren Leitzielen, dafür mit lässiger Attitüde - das Spektrum der deutschen Piratenpartei ist breit und unübersichtlich. Und wahrscheinlich ist das auch beabsichtigt. Die Piratenpartei wird somit zur Projektionsfläche von uns allen und wir interpretieren unsere Wünsche und Vorstellungen und Ideen hinein.

Ob und in welcher Form die Piraten in fünf Jahren noch existieren, ob sie die Basisdemokratie mit ihrem Internetforum Liquid Feedback so durchhalten, oder ob den Piraten eine ähnliche Entwicklung wie den Grünen bevorsteht (Stichwort Realos, Fundis und Kriegseinsätze) wird sich zeigen. Der Bedarf, sich weiterzuentwickeln und zu formen, ist bei den Piraten auf jeden Fall gegeben.