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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

8. 5. 2012 - 19:19

Die Anti-Parteien-Partei

Sie sind chaotisch, sie sind Polit-Amateure, sie haben zu vielen Punkten nichts zu sagen: was der etablierte Politikbetrieb gegen die Piraten verwenden möchte, ist das Geheimnis ihres Erfolgs.

Piraten auf fm4.ORF.at

Wie lange haben die Grünen eigentlich gebraucht, bis sie in Schleswig-Holstein mehr als 8 % der Stimmen bekommen haben? 1996 war das, bei der sechsten Landtagswahl zu der sie im nördlichsten deutschen Bundesland angetreten sind. Die Piratenpartei hat das im zweiten Anlauf geschafft, nachdem sie vor vier Jahren noch 1,8% der Stimmen hatten. Natürlich, der Vergleich ist nicht fair, die Welt hat sich verändert seit 1979, als die Grünen dort erstmals dabei waren – und es ist natürlich auch wie bei Geschwistern: die ältesten müssen sich alles erkämpfen, die danach haben's leichter, sich in den ausgetretenen Pfaden zu bewegen.

Trotzdem bleibt der Aufstieg der Piratenpartei ein extrem steiler, die Partei wirkt mehr als alle anderen heutig und dem Zeitgeist entsprechend. Wie die Grünen Anfang der Achtziger Jahre, so fangen auch die Piraten heute die Stimmen ein, die sich von den Parteien in der Volksvertretung nicht mehr vertreten fühlen. Wo in anderen Ländern Rechtpopulisten das Protestpotenzial abschöpfen, ist es in Deutschland eine Partei aus dem Internet. Wie das?

"Ihr wollt ja nur alles gratis!"

Der ehemalige deutsche Bundesminister Erhard Eppler (SPD) hat es jüngst in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung wieder zum Ausdruck gebracht, wie der etablierte Politikbetrieb über die Piratenpartei denkt: nach ihrem kometenhaften Aufstieg werden sie ebenso schnell wieder verglühen – weil sie an den Regeln des Politikbetriebs scheitern und weil sie keine Themen haben.

Luftballon mit Logo der Piratenpartei

APA

Ob die Erhard Epplers recht behalten, werden wir spätestens in zehn Jahren wissen. Doch das, was er der Piratenpartei zur Last legt, ist in Wahrheit ihre große Stärke: anders als die rechtspopulistischen Parteien begegnen die Piraten dem Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen nicht destruktiv, sondern konstruktiv. Während die etablierten politischen Kräfte politische Positionen als alternativlos darstellen (und damit die Demokratie ad absurdum führen), setzen die Piraten auf Mitbestimmung und Teilhabe.

Populismus und Protest

Nicht umsonst versuchen in Österreich ausgerechnet die rechten Parteien solche Strömungen aufzufangen. Ob ihnen das mit altbackenen Konzepten von direkter Demokratie gelingen wird, bleibt abzuwarten.

Das Gefühl, das jede europäische Protestbewegung, sei sie links- oder rechtspopulistisch, Piratin oder Wutbürger, umtreibt, ist letztlich der Kontrollverlust, das Gefühl, an demokratischen Prozessen und damit an einem fundamentalen Teil des eigenen Lebens nicht mehr adäquat teilhaben zu können. Die Machtstrukturen vor allem der etablierten Demokratien West- und Westmitteleuropas sind inzwischen derart zementiert, die Arbeit ihrer Akteure derart professionalisiert, dass außer gedrechselten Worthülsen und marktoptimierten Politslogans fast nichts mehr für den einzelnen Bürger abfällt. Gierig saugt das Volk jede Abweichung von der Politnorm, jeden Fehler, jede Provokation auf, und Populisten haben es leicht, mit direkter Sprache und trotz Fauxpas und falschen Zahlen Sympathien zu ergattern. Fehler machen sexy, zeigen sie doch, dass hier echte Menschen stehen, nicht die genormten Politroboter auf der anderen Seite.

Ähnlich, wenn auch mit deutlich höheren Ansprüchen, funktionieren auch die Piraten. Auch ihr Lockmittel ist die Teilhabe, doch während die bei Rechtspopulisten nur eine scheinbare ist, die nach dem Führerprinzip funktioniert (einer gibt vor, für alle Entrechteten zu sprechen) ist bei den Piraten basisdemokratische Teilhabe Realität - mithilfe von Tools, die Basisdemokratie vom Ruch des Studentenplenums befreien.

Und auch die Piraten bieten ihren WählerInnen ein zentrales Thema an: ist es bei den Rechtspopulisten Xenophobie, so ist es bei den Piraten fast das genaue Gegenteil: der Kampf um Bürgerrechte. Die - wie es derzeit aussieht erfolgreichen - Proteste gegen ACTA waren der Katalysator für die Partei, der ihr zentrales Anliegen erstmals in den medialen Mainstream transportiert hat.

Und sie haben, wie die meisten Wählerinnen und Wähler, nicht zu jedem Thema etwas zu sagen - im Gegensatz zu denen, die glauben Regierungsfähigkeit lasse sich ausschließlich über Stabilität vermitteln. Hat man nicht zu allem auf der Welt einen Punkt im Parteiprogramm, birgt das die Chance für Interessierte, sich an der Entwicklung politischer Positionen zu beteiligen. Und politische Meinungsbildung wird vom Multiple-Choice-Verfahren zum offenen Prozess.

Piraten = Grüne + FDP + Facebook?

Während viele sich ehemals als jung gerierende Politiker und Parteien neben den Piraten ganz alt aussehen, taucht inmitten der bayerischen Piratenpartei plötzlich der über siebzigjährige Rainer Langhans auf. Langhans sieht nicht nur so aus wie ein übrig gebliebener Alt-68er, er ist es auch. Und trotzdem – der alte Libertäre Langhans passt ins Bild.

Manche in den etablierten Parteien meinen, mit verstärkter Präsenz auf Facebook ließe sich das Potenzial der Piraten abschöpfen. Aber so einfach ist das nicht: die WählerInnen der Piraten sind nicht nur Leute, die gern im Internet surfen. Und die Piraten sind weder ideologiefrei noch Politamateure. Sie entstammen einer Gemeinschaft, die es in den letzten Jahren gewohnt war, die anarchische Welt des Internet selbst, ohne staatliche Zwänge, basisdemokratisch und unter Beibehaltung größt möglicher Freiheit des Einzelnen zu organisieren. Die Netiquette, Wikipedia und Creative Commons entstammen der Schwarmintelligenz, die Netzneutralität ist einer ihrer Grundpfeiler.

Bis vor kurzem schien diese Welt weitgehend immun gegen politische Einflüsse und ökonomische Begehrlichkeiten. Doch seit im Sturm wirtschaftlicher und politischer Interessen vor allem totalitärer Regime und großer Konzerne immer mehr Grundpfeiler des Netzes in Frage gestellt werden, sehen die PiratInnen ihre Errungenschaften in Gefahr, zerrieben zu werden.

Und diese Errungenschaften entstammen keineswegs dem ideologiefreien Raum, sie sind vielmehr, wie Niklas Hofmann kurz nach den Berliner Wahlen in der SZ schrieb, purer Libertarismus - und damit der extremst mögliche Gegensatz zu einer Welt, deren erste Antwort auf jedes aufkeimende Problem eine weitere Einschränkung der persönlichen Freiheiten ist.

Auch die Annahme, die Piraten seien politische Amateure, ist falsch, denn was anderes als Politik ist die gemeinsame Gestaltung eines sozialen Gemeinwesens? Nur weil dieses Gemeinwesen im Internet liegt, sind die Mechanismen der Auseinandersetzung trotzdem nicht vollkommen andere. Ob die im Netz erworbenen Skills auch für die nicht-virtuelle Welt taugen, das wird sich bald zeigen.