Erstellt am: 4. 8. 2011 - 12:33 Uhr
Durch dreizehn Filter geschickt
Möglicherweise muss man sich manchmal daran erinnern lassen, dass es nur selten sinnvoll ist, im Namen einer Band oder eines Projekts nach Beweggründen, Ausrichtung oder Mission selbiger zu suchen - von Kraftwerk und A Tribe Called Quest, sagen wir einmal, vielleicht abgesehen.
Memory Tapes
Herr Memory Tapes aber bittet nun ein bisschen darum: Gemeinsam mit dem Kollegen Washed Out scheint er das klangliche Design der Chillwave perfekt in der eigenen Marke verschriftlicht zu haben. Oder, anders herum gedacht, durch die griffige Namensgebung findigen Dichtern durch die Hintertür die Möglichkeit gegeben zu haben, das Konstrukt von everybody's Lieblings-Mikro-Hype-Spezial-Genre der letzten 2,5 Jahre überhaupt erst mit dem nötigen Überbau zusammenzunageln.
Verblichenes, Verwaschenes, Nostalgie, vage Erinnerung, Audio-Kassetten aus dem Vorgestern. Es wurde davon berichtet.
Mit irgendwelchen chill vibes, Surf-Brett im Anschlag und vor allem einstmals grellen und heute stilecht verblassten 80er-Retro-Spielchen hat das natürlich aber alles gar nichts zu tun, was sich Dayve Hawke, der Mann hinter dem Heimwerker-Abenteuer Memory Tapes, da so an zartbitterer Eigenbrötler-Musik zuhause im seinen Schlafzimmer in New Jersey ausdenkt.
Insgesamt scheint die Chillwave Musik von Menschen zu sein, die ein affig cool gemeintes Protz-Wort wie "Chill" selbst nicht in den Mund nehmen würden. Hier regiert das Falsett der Gefühle und Seidenpapier. Selbst wenn klangliche Gemeinsamkeiten mit den üblichen Toro Y Moi, Neon Indian und Washed Out - das Weiche, das Wabernde und Sehnsüchtige - und ein ähnlicher Approach - einzelner Mann im Lo-Fi-Unternehmen - bei Memory Tapes nicht zu übersehen und -hören sind und so die Einsortierung im Plattenregal unter dem Schlagwort "Chillwave" locker zu verkraften ist: Dayve Hawke besetzt mit seiner Musik eine eigene Nische im Boot der melancholischen Solo-Bastler. Mit buchhalterischer Strenge fordern wir sofort die freigeistige Abschaffung jeglicher "Genres", es machen ja sowieso alle "ihr ganz eigenes Ding"!
Memory Tapes
Es war aber freilich auch alles ganz anders. Zunächst musizierte Dayve Hawke in einem nach der Kassetten-Serie "The Weird Tapes" der englischen Space-Rocker Hawkwind benannten Projekt namens - Achtung - Weird Tapes. Er arbeitete eher sample-basiert und elektronisch und fabrizierte so seine durch den Indie-Filter gezogene Vorstellung von Dance Music. Gleichzeitig fanden sich in der Garage alte Aufnahmen aus Hawkes Teenager- und Frühzwanziger-Jahren, die sich verhuschtem Dream-Pop und Shoegazing im Gitarrenband-Format widmeten und ebenfalls der Veröffentlichung harrten. Zur leichteren Unterscheidbarkeit der verschiedenen Ansätze dachte sich Hawke für zweiteres Sound-Format den Namen Memory Cassette aus.
memory Tapes
Schnell ging blog-mäßig beides durchs Dach, ein richtiges Album wollte veröffentlicht werden. Um den Menschen den Erwerb desselben und die Orientierung zu erleichtern, wurde aus der einstigen Diversizifizierung ein Merger: Memory Tapes. Nicht nur der Name, auch die Musik ist hier Zusammenführung des Vergangenen.
Während das ebenfalls sehr gute Debüt-Album von Memory Tapes, "Seek Magic", noch mit längeren, teils komplexeren und an Dance-Tracks geschulten Songstrukturen operierte, steht jetzt auf "Player Piano", Longplayer Nummer 2 die Freude am Pop-Song im Vordergrund:Allles von Hand eingespielt, mit echten Instrumenten, ohne Beat-Basteleien am Rechner, dafür aber mit massiv alten Orgeln und Synthies in der Garage.
Als wichtigste Referenz für die neue Platte nennt Dayve Hawke Sixties-Girl-Groups, Phil Spector, Soul und Motown. Nun will er mit Memory Tapes keine 1:1-Nachstellung der geliebten Sound-Schemata erreichen, sondern versteht diese bloß als Rahmenhandlung zu seinen Klang-Experimenten. Haywke möchte nicht wie ein Mann in einem Raum am Klavier klingen, sondern wie die Aufnahme eines Mannes in einem Raum am Klavier, seine Stücke sind "Field Recordings von Pop-Songs". Entfremdung und Verfremdung sind die zentralen Themen der Platte, was bedeutet, dass die allesamt famosen Songs durch Effekte, Hall und verstaubte Bandmaschinen geschickt wurden und die Texte vom Isoliert-Sein und Draußen-Vor-Der-Tür-Stehen handeln.
Die Idee des Happy-Sad Songs hat sich Memory Tapes ebenfalls von Motown abgehört: Die Koppelung von Herzschmerz und Trübsal mit uplifting Musik, die am Ende doch wieder die Vögel singen lässt. So entsteht auf "Player Piano" die Reibung, die das Leben interessanter macht. Man höre die großartige Single "Today Is Our Life": "We Will Never Be Better Off Than We Are". Glas halb leer? Hier erwächst aus gehauchten Stimmen, einem Flüstern, freundlich klappernden Drums und aus den Orgeln fließendem Honig die elastischste Pop-Musik der Welt und erzählt von grauem Brot. Ein Schatten von einem Mann hat sie eingespielt, mit Geisterhand, und das Player Piano, das ist übrigens - wer es wissen muss - ein Klavier, das sich selbst spielt.