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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

8. 7. 2011 - 16:05

Softcore

Für immer Chillwave. Das Debüt-Album von Washed Out packt die Disco-Melancholie in Watte. "Within And Without" ist das FM4 Album der Woche.

Das Cover von "Within And Without" zeigt im Gegensatz zu den sonnengebleichten und verwaschenen Bildern in Polaroid-Ästhetik, die frühere Releases von Washed Out zu zieren pflegten, eine gestochen scharfe, professionell ausgeleuchtete und insgesamt superslicke Fotografie: Ein nacktes Pärchen in intimer Umarmung auf weißem Laken.

Washed Out

Washed Out

Ernest Greene, Washed Out

Ernest Greene, der Mann hinter dem Bastel-Pop-Unternehmen Washed Out, will in diesem Bild zuvorderst nicht die sexuelle oder erotische Komponente sehen, sondern es vielmehr als Einblick in einen privaten, hochemotionalen, ja, beinahe schon würdevollen Moment verstanden wissen. Ebenso ist das Artwork nicht nur irgendein random Pic, das toll aussieht, sondern im hochglänzenden Design-Charakter des Fotos soll sich ausdrücklich der dezente Wandel im Sound von Washed Out spiegeln. Von im Kinderzimmer zusammengetackertem Lo-Fi nach geschmackvoll ausproduziertem Hyper-Geschmeide.

Wer Washed Out sagt, muss auch Chillwave sagen: Neben dem Neon Indian und Toro Y Moi gehört der aus dem ländlichen Georgia stammende Ernest Green mit seinem Projekt Washed Out zu den großen Drei des zunächst bloß "ironisch" ausgerufenen, dann doch seit gut 2 Jahren mit sanfter Beharrlichkeit durch die Welt driftenden Mikro-Genre-Konstrukts. Die Idee „Chillwave“, die sich - wie das immer so ist mit von Journalisten von außen aufgepfropften Labels - die Protagonisten des Genres selbst nie auf die Fahnen geheftet haben, ist ein offenes System, zusammengesteckt aus vagen, musikalischen ebenso wie außermusikalischen, emotionalen Signifiern: Synthie-Pop und Melancholie, Ahnungen von stolperndem Instrumental-HipHop der Schule J. Dilla oder des Labels Stones Throw, Reminiszenzen an "geschmackvolle" 80er-Charts-Musik samt Yacht- und Weißpulverschick, erinnert durch die grobkörnigen Bilder eines schon fast kaputten Super-8-Films. Der Strand, die Sonne, die Jugend - die ganze billige Pracht ins Heute transportiert mithilfe nostalgie-beladener Artefakte wie good ol’ Audio-Mixtape, VHS-Kassette und schlecht kopiertem Fanzine.

Auf "Within And Without", dem nach EPs und Singles ersten Longplayer von Washed Out, bleibt nun diese seifenblasenhafte Aura des Weichen, Nebulösen und Gefühlvollen erhalten, einzig die Rahmenbedingung sind andere, man ahnt es schon, professionellere geworden. Ernest Greene hat dieses Mal aus seiner Disco-Schwermut und den in Watte gepackten Beats nicht bloß eine Stimmung, einen Vibe entwickelt, sondern all die wundersamen Klänge und seine geschichteten Gesänge in tatsächliche Songs - allesamt delikateste Pop-Preziosen auf Synthie-Basis - gegossen.

Washed Out

Washed Out

Wer je den äußeren Einfluss der Umgebung, in der eine Platte aufgenommen wurde, auf das Endprodukt geringschätzen wollte, soll sich nur beispielsweise solch wunderbar im Wind schunkelnde Nummern wie "Far Away" oder "Before" anhören, und wird vor dem geistigen Auge sofort einen wehmütigen, jedoch hoffnungsvollen Ernest Greene erspähen wie er da im Ruderboot so über den kleinen See treibt, an dem das Ferien-Landhaus seiner Schwiegereltern steht, in dem er "Within And Without" ersonnen, geschrieben und aufgenommen hat. Ein paar letzte Lichtstrahlen bringen das Wasser zum Glänzen.

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Bislang hat Ernest Greene stets alleine an seinen Geräten und Hall-Effekten geschraubt, für das Debüt-Album von Washed Out hat er einen Produzenten ins Studio geholt, namentlich Ben Allen, der schon für nicht minder großartige Menschen wie Deerhunter oder das Animal Collective an den Reglern gestanden ist. Was zur Folge hat, das die Platte nun wirklich gut "klingt", der Gesang und einzelne Drum-Sounds mitunter prägnanter und schärfer aus dem Mix hervortreten. Dennoch zeichnet sich diese hier in 9 Songs und 40 knackigen Minuten Album-Perfektion aufgehende, aus Goldwatte gesponnene, elektronische Pop-Musik glücklicherweise nach wie vor durch ihre Unaufdringlichkeit und den schwer greifbaren Duftwolken-Charakter aus. Die Musik von Washed Out ist immer noch ein stimulierender Dampf und ein durch 17 halbdurchlässige Seiden-Vorhänge gefilmter Akt der Zärtlichkeit. Dieses Mal bloß mit besserer Kamera.

Washed Out

Washed Out

"Within And Without" von Washed Out erscheint bei Weird World/Domino Records

Und dann ist da zwischen all der Zartbitterkeit und Weichzeichnung noch ein Stück, das die Energie- und Endorphin-Levels der Platte sachte zwei Umdrehungen nach oben schraubt und sich mit seinem wie aus dritter Hand emulierten Baukasten-Karibik-Touch mit Steeldrums im Hinterkopf als eine Art "Sunshine Reggae" für alle zuhause im Regen gebliebenen Hipster empfiehlt: "Amor Fati", der gar nicht so heimliche Hit auf "Within And Without", eines der besten Stücke des Jahres so far. Es würde sich anbieten, dass zu diesem schönen Lied ein Werbeclip für ein mit exotisch gelben Limonaden zu mixendes alkoholisches Mixgetränk gedreht wird, in dem die hübschesten Menschen der Welt in einem Kanu türkise Ozeane kreuzen, eine einsame Insel erreichen, dort dann Beach-Volleyball spielen und in einer improvisierten Bretterbudendisco total crazy Samba tanzen. In Zeitlupe. Der Schweiß fließt, die Gefühle überschlagen sich. Dann wird gekuschelt.