Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Take A Run At The Sun"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

1. 3. 2011 - 19:10

Take A Run At The Sun

"Underneath The Pine" leuchtet in allen Pastelltönen. Auf dem zweiten Album von Toro Y Moi gibts anstelle von stolpernder Elektronik weichgezeichneten Softrock mit Disco-Unterfutter: Das FM4 Album der Woche

Der Plan war, "Underneath The Pine" relativ kurz nach "Causers Of This" zu veröffentlichen, die meisten der Stücke sind im mehr oder weniger selben Zeitraum entstanden. Chaz Bundick möchte das zweite Album seines Projekts Toro Y Moi als logisches Gegenstück zu seinem im Frühjahr 2010 erschienen Debüt verstanden wissen, als zweites Kapitel und als völlig harmonischen Antipol - nicht als Bruch mit alten Idealen oder als radikale Umkehr. „Causers Of This“, der erste Longplayer des aus South Carolina stammenden Multiinstrumentalisten und Kinderzimmer-Produzenten Bundick, durfte im vergangenen Jahr nach vorausgegangenen Veröffentlichungen von ästhetischen Genossen wie Washed Out, Memory Tapes oder dem Neon Indian als das zärtliche Flagschiff der sogenannten "Chillwave" herhalten – verwaschene 80er-Nostalgie, Erinnerungen an Synthie-Pop, Loops, Lo-Fi-Attitude und schwelgende Indie-Melodien, man hat davon gehört. Nun zu rufen, "Chillwave", das gäbe es gar nicht, ist staubige Einstellung von Vorgestern - alles was behauptet wird, das gibt es, und „Causers Of This“ wird die Platte sein, an die sich die Menschen erinnern werden, wenn in acht Jahren das Chillwave-Revival (die Zyklen werden kürzer) eingeläutet werden wird.

Toro Y Moi

Toro Y Moi

Chaz Bundick , Toro Y Moi

„Causers Of This“ war sumpf-grün und schwarz- bis mangan-Blau. Ein Album, das sich bei aller süßlicher Melodie und vermeintlicher Leichtigkeit am Grunde des Tümpels, unter der Algenschicht, abspielte. Melancholisch und verfinstert, „a classic break-up album“ sagt Bundick - mit fresh am Strand Chillen und Surfen hatte das nicht viel zu tun. Das höfliche Pop-Songwriting konterkarierte Bundick mit weite Schatten werfenden elektronischen Klangwänden und metallisch rumpelnden Beats, die er sich bei experimentierfreudigen HipHoppern und Soundfuturisten wie J Dilla oder Flying Lotus abgehört hatte. Die Stärke von Toroy Y Moi lag hier eher im Entwerfen von Landschaften, im Design von Atmosphäre, im Beat-Schmieden, im „Produzieren“, weniger im traditionellen Schreiben von „Liedern“. Vermutlich auch ein Charakteristikum der Chilllwave: Die Verpflichtung zur Undeutlichkeit, die strukturierte Unstrukturiertheit.

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Auf „Underneath The Pine“ verschieben sich nun die Vorzeichen ein wenig. Auf den ersten Blick erscheint der Wandel größer, als er tatsächlich ist, denn die Veränderung ist in erster Linie eine formale: Chaz Bundick hat für sein zweites Album den Laptop, den Sampler und die Elektronik ins Kellerabteil gesperrt und sich ganz der analogen Klangherstellung gewidmet, also die Platte komplett von Hand mit real angreifbaren Instrumenten eingespielt – nach anfänglichen Solo-Shows im Leuchten des Bildschirms bedeutet „Toro Y Moi“ mittlerweile nun auch in der Live-Variante schon seit einiger Zeit die Performance einer aus echten Menschen bestehenden Band. Man muss sicherlich nicht das böse Wesen „Computerstaat“ samt Maschinen-Musik, Paranoia und Gefühls-Verlust auf der einen Seite heraufbeschwören, und auf der anderen den „menschlichen“, menschelnden, wärmenden Honigtopf der Körperlichkeit – dennoch reitet „Underneath The Pine“ im Vergleich mit der Unterkühltheit von „Causers Of This“ auf einem wohligen Sonnenstrahl daher, der zuerst den Nacken kitzelt und sich dann um die Seelentemperatur kümmert. Zwei Platten, zwei Gemüts-Sisters.

Toro Y Moi

Toro Y Moi

Mit den 11 auf „Underneath The Pine“ versammelten Strücken betreibt Chaz Bundick eine fließende Verknüpfung von Songs, Song-Skizzen, ambienthaften Passagen und Instrumentals. Der Opener „Intro/Chi Chi“ ist ein kurzes, rudimentäres Stück Musik: Ein dröhnender Schwall Purpur samt ätherischem Sirenengesang, der sich deutlich an Shoegazing-Großtaten von My Bloody Valentine anlehnt und mit ein wenig Percussion-Geklopfe lose bei einer Art Schwundstufe von Manchester Rave im Andenken von Primal Screams „Screamadelica“ ankommt – einer Zeit und Haltung, in der Drogenmusik, Tanz und Rock in verwirrendem Rauch aufgegangen sind. „New Beat“, Nummer 2 auf „Underneath The Pine“, ist neben dem herausragenden Track, dem mittlerweile wohl schon gut bekannten „Still Sound“, der „hitmäßigste“ und songförmigste Song des Albums, ein von elegant federndem Bass getragenes Stück Disco-Funk, im Ergebnis nicht unähnlich der von Hand gespielten Tanzmusik, wie sie aktuell vielleicht Erlend Øyes The Whitest Boy betreiben. Dabei aber eher auf die Überhelden von Chic sowie weißpulverbefeuerten Soft – und Yacht-Rock der 80er bezugnehmend, ebenso wie auf Stevie Wonder und einen sich ins Universum hinaus psychedelisch verlaufenden Herbie Hancock an den Tasten. Dies ist die Musik, die, stilsicher zurückgelehnt, das Fundament des Albums bildet. Ein Album, das pastellfarben funkelt und dessen Coverartwork der Welt wie ein matter Pfirsich entgegenleuchtet.

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Toro Y Moi

Toro Y Moi

"Underneath The Pine" von Toro Y Moi ist bei Carpark/Hoanzl erschienen

"Underneath The Pine“ bleibt jedoch vage. Die zweifelsfrei vorhandenden, jeden Mensch gernhabenden Melodien lässt Bundick ausfransen, unterbricht und zerkegelt Song-Fragmente mit Passagen des Summens und Zirpens. Das mit gezupfter Gitarre beginnende, in Lagerfeuerharmonie-Gesang übergehende und ohnehin nur 2 Minuten 40 Sekunden lange Stück „Before I’m Done“ endet mit einer Minute wohligen Brummtons, aus dem besten Stück des Albums, „How I Know“, taucht nach gut 40 Sekunden Instrumental-Part, der eher das Ende eines Stückes einzuleiten scheint, unerwartet ein Refrain – ein REFRAIN – hervor, angesichts dessen man im Zusammenhang mit Grizzly Bear oder Animal Collective nie mehr „Beach Boys“ wird sagen müssen. Immer wieder längere, gesangslose Phasen, die die Songs aushebeln.

In manch einer Review soll in „Underneath ThePine“ gar schon eine Art – leichtfüßiges, sicherlich – Update zu David Bowies epochalem, unter der Mithilfe von Tony Visconti und Brian Eno entstandenem Album „Low“ aus dem Jahre 1977 gesichtet worden sein – jener Platte, die in ihrer Gegenüberstellung von grandios wirrem Songwriting und experimentelleren, an Minimal Music geschulten Soundflächen nicht wenigen Menschen als die beste der 70er-Jahre gilt. Das ist freilich zu hoch gegriffen, dennoch kann aus dieser großartigen Platte, die „Underneath The Pine“ ist, eine mögliche ähnliche Absicht herausgelesen werden, im Ansatz auch vergleichbar mit den poppig gepolten Alben von eben Brian Eno, beispielweise „Another Green World“: Die Versöhnung von Pop und kompletter Eingängigkeit mit klanglicher Feldforschung, aber eben nicht durch Vermengung, Gleichmachung und Glattbügelung, sondern durch Nebeneinanderstellung. Wohlgemerkt: Radikal oder schwierig zu hören ist „Underneath The Pine“ in keiner Sekunde – dennoch lassen erst die Momente des Auseinanderdriftens, wenn Stücke zerfallen und im Leeren hängen bleiben, selbst das gar sweet-simple Instrumental „Divina“, das wie aus einem von Air gestalteten Soundtrack zu einem Softest-Sex-Film geborgt daherkommt, das Album zu diesem duftenden Wunderding werden, in dem das Leben - für 40 Minuten - ausnahmsweise einmal erhellend ist und schön und Geschmeidigkeit die Königin.