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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

9. 5. 2011 - 09:27

Die guten Kräfte sammeln sich

Vom Legenden-Brunch reden wir noch in 20 Jahren. Das Popfest 2011 geht mit einer Allstar-Band und Ginga zu Ende.

Popfest auf FM4

Das Wort "Legende" beinhaltet bereits das "Ende", eine unrühmliche Bezeichnung eigentlich. Dann lieber die "Leg-enden", also jene, die ihre Songs den anderen zu Füßen legen. Solche wie Sigi Maron, Robert Räudig, Maria Bill, Willi Resetarits und Peter Henisch. Alte Hasen, heimische Schmäh- und Wortführer, die dank des "Legenden-Brunch" auch dem Popfest-Publikum in Erinnerung gerufen bzw. gar vorgestellt werden. Als Zivildienstleistende im Hintergrund: u.a. der Nino aus Wien, Ernst Molden, pauT und Robert Rotifer.

Schönster Moment dabei: Der immer noch bissige und zärtliche Zyniker Sigi Maron trifft auf den immer noch bissigen und zärtlichen Zyniker Nino, sie trällern gemeinsam "Du Oasch" und Sigis "Es gibt kan Gott". Bei Letzterem sinkt Nino vor der Legende auf die Knie. Moments to remember. Das Popfest 2011 endet mit seinem 4. Tag.

Sigi Maron und Nino aus Wien

Niko Ostermann

"Die Klara is meine, net deine"

Stö da fua du bist oid

Lang ist's her, 1980. Da haben Chuzpe einen kleinen Hit gelandet mit ihrer Coverversion von Joy Divisions "Love Will Tear Us Apart". In diese Zeit fällt die Entwicklung von New Wave, die brodelnde Entwicklung des Undergrounds, Robert Räudig war Speerführer. Mit der "Beislanarchie" von 1977 katapultiert er sich beim "Legenden-Brunch" am Popfest wieder ins Gedächtnis, um 14:30 nachmittags wegen Regens, Muttertag. Nino sucht seine in der 6. Reihe, die 9. von links, aber sie sei eine Radikale, wie er. Spätestens hier fliegt der Schmäh, sogar Legenden verabreden sich auf Facebook - es gibt schließlich kan Gott. So heißt das neue Album
von Sigi Maron, der wie Räudig und all die anderen Legenden seit rund drei Jahrzehnten die heimische Polit- und Songwriterszene aufmischt. Ergänzt durch einige Allstars der aktuellen Szene(n), die selbst schon kleine Legenden sind, bekommt jeder Altstar seine paar Minuten im Rampenlicht, seine drei Lieder, die aktuell und brisant wie nie klingen.

Legendenbrunch beim Popfest

Niko Ostermann

So jung kumma nimma zsam

Das ist musikalisch wichtig, aber vor allem sind diese Musiker Mutmacher. Die Szene hat sich drastisch verändert im Vergleich zu damals im "Atlantis", die Menschen jedoch nicht. Sie suchen immer noch nach ihren Stimmen, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Von den Herrschaften (und der großartigen Maria Bill) können wir noch einiges lernen, auch wenn so ein Brunch (altmodisch: Jause) die Gemütlichkeit beim Nachmittagskaffee bereits vorgibt. Politische Parolen verpackt in Alltagsgeschichten, das geht in Wien immer, die Grantler sind hier zu Hause. Hoffentlich trifft niemanden bald der Schlag, schad wär's drum.

Gemeinsames Pilgern ins Wien Museum lohnt sich: Tanz, Baby, bereits letztes Jahr eine große Nummer am Popfest, dürfen dieses Mal indoor ein Ständchen bringen. Damals wirkte David Kleinl mit seiner Rose im Knopfloch noch wie eine Figur aus einem Stephen King-Roman, die kleinen Kinder in die Gullis zerrend. Dieses Mal wie ein Rosenkavalier, weißer Anzug, rote Ansteckblume, gewohnt gefühlvoll und mit Anstand lässt Kleinl im Wien Museum seine Chansons über Liebe und Sehnsucht erklingen. In den Hallen des Museums kommt das wunderbar, bis in die oberen Stöcke ist alles rammelvoll.

Tanz, Baby im Wien Museum

Niko Ostermann

Tanz, Baby bringt im Wien Museum ein Ständchen

Murder Ballads

Dann kommt ein ziemlicher Bruch.

Vogel beim Wienfest

Niko Ostermann

Ein einsamer Vogel weiß es immer zuerst ...

Es kühlt stark ab, der Karlsplatz ist nur zu einem guten Viertel gefüllt. Eigentlich schade, denn der unspektakuläre, weil unaufgeregte Auftritt von Georg Altziebler alias Son of the Velvet Rat hätte mehr Zustrom verdient. Aber irgendwie passt es auch, seine Musik ist die eines Outlaws, Americana-Düfte liegen in der Luft, bisschen Wilco, ganz viel Walkabouts, Chris Eckman soll auch auf dem neuen Album den Arrangeur spielen. Hier sollen nicht wieder vergilbte Metaphern von einsamen Wandersmännern, Road Trips auf der Route 66, geifernden Krähen, oder was auch immer man nimmt, um die US-amerikanischen Roots in all ihren Facetten zu kommunizieren, bemüht werden. Sinnvoller ist es, darüber nachzudenken, was diese Art der Musik für eine Stadt wie Wien bedeutet. Kürzlich hat sie mich begleitet, auf der neuen U2-Strecke Richtung Aspern, über die Donau, den Donauturm wie ein einsames Symbol im Augenwinkel. Die Einsamkeit hat man auch hier, die Gedanken über Verlust, Tod und Existenz, dazu braucht es keine Harley. Für den Road-Trip reichen die abgenutzen U-Bahn-Sitze.

Son of the Velvet Rat beim Popfest

Niko Ostermann

Son of the Velvet Rat

"Words like autumn leaves" - so klingen die Songs von Son of the Velvet Rat. Sie ähneln stillen, tragenden Mörderballaden über Blut unter den Fingernägeln wie jenen der Tindersticks, ein großer Bass steht dazu passend am Set. Immer wieder wird die Mundharmonika bedient, einmal von einem kleinen Star, der in der Menge kaum auffällt: Richard Pappnik, guter Freund von Altziebler und seines Zeichens Drummer von Element of Crime. Bei "Sad Mountain" ist es Punkt 20 Uhr, die Glocke der Karlskirche schlägt im Takt mit, noch nie war der Platz so gebannt. "Are the angels pretty?" fragt er am Ende eines Sets, das auf der Seebühne unwirklich, bisschen unpassend wirkt, weil diese Musik eben die Privatheit sucht, den Kerzenschein braucht, keine Menge, die vor Kälte friert. Oder vielleicht doch. Einer der besten Songwriter des Landes war hier.

Golden Boys

Mit etwas Verzögerung kommt dann eine der besten Bands des Landes auf die Bühne. Ginga, ein Phänomen. Letztes Jahr schon mit einer Platte am Start, die aber kaum wen interessiert. Dann der Auftritt im Prechtlsaal der TU, die Platte "They Should Have Told Us" wird neu aufgenommen und seitdem ist das Wörtchen "Ginga" Inbegriff für die coolste Band des Landes, die jeder mal gesehen haben muss. Das ist Österreich.

Ginga beim Popfest

Niko Ostermann

Im Hintergrund ein Bettlaken gespannt mit dem Bandnamen draufgesprayt, das reicht zur Dekoration für ein großes Finale am Popfest 2011. Die Karlskirche wird in ein zartes Blau getaucht und die Band um Sänger Alex Konrad, der immer noch an den jungen Robert Smith erinnert, betritt die Bühne. Heute mit Bass-Ersatz, James Stelfox liegt nach einem Beinbruch im Krankenhaus. Müsste man Ginga mit einem Wort beschreiben, dann "Energie". Der Trick dieser Gruppe ist der perfekte Mix aus Rhythmus, Harmonien und ein Gespür für Melodien. Sie ist mit vier ausgezeichneten Stimmen gesegnet, ist musikalisch versiert und schreibt auch noch gute Songs. Die Geheimwaffe der Band, und das sei an dieser Stelle auch mal erwähnt, ist aber Emanuel Donner an der Violine, an den Trommeln und am Mikro als herzzerreißende Backgroundstimme. Ihn anzuschauen bedeutet zu sehen, wie sich Noten in Strom verwandeln, wie sich Power und Druck anfühlen, ohne einfach nur am Verstärker zu drehen.

Ginga beim Popfest

Niko Ostermann

Alex Konrad, der die E-Gitarre wie eine Ukulele hält

"This goes out to all the boys and girls", heißt es in "Fashion", die Band ist inzwischen zum Allgemeingut avanciert. Geliebt von dem Typen vor mir, der wie Ned Flanders zwischen den Songs herumkreischt, geschätzt von der Gruppe männlicher Mitt-Fünfziger aus Russland neben mir, die sich eine Kiste Bier und eine Dose Thunfisch teilt. "Cinnamon", "Fashion", "This Is Happening", "Fever" - Ginga können aus dem Vollen schöpfen und es sich sogar leisten, meinen Liebling auszulassen ("Fire"). Dafür gibt es neue Nummern eines hoffentlich bald erscheinenden Albums, eine mit dem Titel "Dancer". Das Set bietet alles, sogar ein minutenlanges Gitarrensolo, das wirklich und wahrhaftig der Hammer ist. Am Ende eines viel zu kurzen Sets (es ist Sonntag und Sperrstunde ist kurz nach 22h), kommt der Kinderchor St. Robert Rotifer bei "Up A Creek" dazu, eine Horde an Freunden, deren Himmelhochjauchzen Alex Konrad begeistert dirigiert. Dann ist Schluss, die Band wird zur Zugabe gebeten, winkt aber ab.

Die Lust nach mehr wird von einigen noch gestillt: Im Innenhof der TU bietet eine kleine Bühne eine Zugabe, mit Luise Pop, Ping Ping und Wolfgang Schlögl. Insbesondere Schlögl ist für das letzte Set am Popfest 2011 eine hervorragende Wahl, ist er doch Paradebeispiel für einen generationsübergreifenden Musiker: Slow Club mit Hansi Lang, Soul Dub mit den Sofa Surfers oder solo als I-Wolf. Niemand anders hätte den Bogen vom Legenden-Brunch bis Ginga besser spannen können.

Ginga beim Popfest

Niko Ostermann

Was bleibt, ist ein wunderbares Festival an vier Tagen mit einer breiten Palette an musikalischen Geschmäckern und einer guten Durchmischung mit Fragen des Diskurses, eben wie ein modernes Festival in Wien zu sein hat. Was außerdem bleibt, kann mit einem Blick auf den Karlsplatz beantwortet werden: eine Menge Müll. Das Popfest ist auch zu einem Großstadt-Festival geworden, mit all der Routine, die dazu gehört, mit all dem Nörgeln über das schwatzende Publikum und den unangemessenen Lautstärke-Pegel. In zwanzig Jahren werden trotzdem alle sagen, dass es früher besser war, damals 2011. Auch das ist Wien.