Erstellt am: 8. 5. 2011 - 03:40 Uhr
Panik sucht den Superstar
"Wohin ich blicke, seh ich jemand,
der sich für jemand andern zum Trottel macht"
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Das Finale von "Deutschland sucht den Superstar" stellt zwei Liebende gegenüber. Pietro Lombardi gegen Sarah Engels: ein junges Pärchen, sie das Talent, er der Hiasl der Nation, beide ausgebeutet vom selben ausgelutschten Format, das bei jeder neuen Staffel ihre bisherigen "Superstars" verleugnen muss. Als wäre es dafür geschrieben worden, dazu diametral "DMD KIU LIDT", das neue Album von Ja, Panik: Weltekel, Kapitalismus, Trauer. Das Leben ist ein Casting incl. The Angst And The Money. Bitte jetzt anrufen: Das Popfest 2011 geht in seinen dritten Tag.
Niko Ostermann
Zwischen-Psychedelic
Bands, über die man spricht, kommen immer aus dem Nirgendwo. Die Erwartungen an Black Shampoo sind niedrig, schließlich folgen nach ihnen einige große Namen. Aber das Dreigespann, soviel sei vorweg genommen, ist die Überraschung des diesjährigen Popfestes. Jakob Brem, Saskia Kasper und Lukas Friesenbichler dürften direkt einem Tarantino-Film entsprungen sein, so brachial, so staubig und wütend sind sie dem psychedelischen Nährboden Wiens entwachsen. Robert Rotifer nennt das nicht mehr "Alt- oder Neo-Psychedelic", es ist "Zwischen-Psychedelic".
Niko Ostermann
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Alles fängt mit einem Feedback-Gewitter an, Melodien direkt aus der Wüste, Spaghetti-Riffs schlängeln sich an den Kakteen vorbei rauf auf die Seebühne. Harte Männer, Melancholie, verbrannte Lagerfeuerasche und Marlboro-Country liegen in der Luft, Black Shampoo haben bisher nur eine EP namens "Curious Kid" (Album folgt im Herbst), aber ihr Set ist dynamisch, wechselt zwischen laut und leise, Hugo Race, Howe Gelb, Woven Hand, ja sogar 16 Horsepower schimmern durch. "Look out, here comes the pain again", predigt Sänger Jakob mit rostiger Stimme, "Got no money, got no bride" folgt, begleitet von dramatischen Harmonien des Drummers Lukas. Wenn man kaum Songs der Band kennt, kein Drehbuch mitgeliefert bekommt, dann ist die Überraschung groß, wie diese drei relativ jungen Menschen einen solchen Wulst an dreckigem Seelenmüll mit soviel Gefühl für Ecken und Kanten hervorbringen können. Und das immer wieder zerlegt mit feinen Melodien. Chapeau, ich applaudiere. Ganz groß.
Francis International Stadionrock
Inzwischen spricht sich rum, dass Lena Meyer-Landrut nicht beabsichtigt, ein drittes Mal beim Songcontest anzutreten.
Niko Ostermann
Während Lena ihren Zenit schon überschritten hat, sind andere gerade auf dem besten Weg, ihn zu erklimmen. Denn selbst eine Band wie die wunderbaren Francis International Airport, die gegenwärtig so kompakt und präsent wirken, wie noch nie zuvor, können sicher noch was drauflegen. "In The Woods" heißt das Meisterwerk, das ihnen jüngst einen Neustart ermöglichte, nicht zuletzt, weil ein gewisser Georg Tran alias Landscape Izuma die Band seit einiger Zeit komplettiert. Trans Solowerke zeugen bereits von einem enormen musikalischen Verständnis für intensive, fragile Momente. Kombiniert man diese nun mit der Wuchtigkeit von Hymnen, vermischt die Stärken von Laut und Leise, dann hat man eine der besten österreichischen Bands derzeit: Francis International Aiport.
Niko Ostermann
Das hat sich rumgesprochen, Francis International Aiport sind der erste Hingucker des heutigen Tages. Bei der Popfest-Premiere im letzten Jahr ging die Band noch still und leise im TU Innenhof unter, dieses Mal bekommt sie Stadionrock-Atmosphäre, den großen Slot auf der Seebühne. Laut wie im Stadion wird es nicht, es gibt am heutigen Tag eine kleine Lärmpegel-Auflage, die vor allem in die Zeit von Francis International Aiport fällt. Auch, wenn man absolut kein Wort von den Songansagen versteht, die Musik kommt an. Gottseidank. Die Band ist abwechselnd in violett, blau, rot und grün getränkt, fügt immer wieder ausgedehnte Passagen ein, die spürbar im Raum atmen, immer wieder ergänzt von Trans zart unterlegten Keyboardklängen. "I beg you all please slow down" singt Markus Zahradnicek im Opener "All Your Lines End In Me", es folgen "Amnesiacs", "Feet Of Clay" und "Monsters", alles herzzerreißende Lullabies für das Seelenwohl. Das Songwriting, die Hymnen, selbst die Beleuchtung auf der Bühne: In der Jetzt-Zeit stimmt für diese Band alles.
Dekadent und voller Ferkeleien
Dann kommt DMD KIU LIDT.
Niko Ostermann
Der Countdown, den Andreas Spechtl mit seiner Kolumne über das Überleben in der Metropole wieder eingeführt hat, fehlt. Aber die Projektion des eigenen Bildes auf eine weiße Leinwand, das ist ähnlich transzendental wie ein Spiegel als Albumcover und ein Akronym als Schuldzuweisung. Ja, Panik lehren uns: Michael Ende hat nicht unser Leben zerstört, sondern der Kapitalismus, und das lernen wir ausgerechnet an dem Tag, an dem ein Superstar erkoren werden muss.
In Anzügen betreten Ja, Panik die Bühne. Die Erwartungen sind hoch, wachsen über alle Köpfe, sogar über jene, die nur projiziert sind. All jene, die die Auflösung des Albumtitels kennen, schnaufen durch, ein Manifest ist zu erwarten, Mitschreiben ist angesagt, Zitate für die Fußnoten sammeln. "Safe the planet, kill yourself" wirft uns Spechtl entgegen, er ist ein Verführer, ein hochintelligenter Schmähführer. Was soll man da mitnehmen, was darf man verpassen, die Angst and the Money ist groß. Wer kennt "Das Kapital" nicht? Wer hat die STEP nicht absolviert?
Niko Ostermann
Die Angst ist unbegründet und vielleicht auch der Hype zu groß. Denn Ja, Panik sind die klügste Rockband, die dieses Land seit Jahren hervorgebracht (und an Berlin verloren) hat, aber keine Abgötter. So gezielt und durchdacht Spechtl seine Phrasen aneinanderreiht ("Sorry for my bad English, but my German is worse"), so zutiefst menschlich sind seine Geschichten. Wer einmal seine Kolumne auf FM4 gelesen hat, der weiß, dass seine literarischen Fähigkeiten, die auch in seinen Songtexten eine Rolle spielen, ein Gespür für schicksalhafte Momente des Individuums vermitteln. Das Ich in der Masse, das kleine Stimmchen im großen Geschrei, Spechtl weiß sie zu beschreiben.
Niko Ostermann
Popfest auf FM4
- Tag 4: Die guten Kräfte sammeln sich mit Allstar-Band und Ginga
- Tag 3: Panik sucht den Superstar mit Ja, Panik
- Tag 2: Candy Everybody Wants mit Trouble Over Tokyo
- Tag 1: Affentheater zum Auftakt mit Skero und Gustav
- Videos vom Popfest - Interviews mit Skero, Gustav, Trouble Over Tokyo
Hinter all den verschlüsselten Symbolen und Zeichen, bei denen jeder Semiotiker seine helle Freude hätte, verbergen sich teils liebevolle Akkordabfolgen, süßliche Refrains und kleine Ohrwürmer. "Die Luft ist dünn, "Trouble", Suicide", "The Horror" bleiben im Kopf, nagen sich fest. Die Band wechselt gerne Rollen und Sprachen, bei "Nevermind" sind gleich mehrere Stimmen dran, die Bandmitglieder singen von sich selbst - Sebastian, Stefan, Thomas, Christian, Andreas nevermind. Dann wird's laut, ein Coldplay-Moment blitzt auf. Die Leinwand im Hintergrund wird weniger stark genutzt, als erwartet, ein auf der Schreibmaschine getippter Brief leitet "Mr. Jones und Norma Desmond" ein, ein Liebesbrief an die Frau aus "Sunset Boulevard", in dem es heißt: "Dear Norma, I'm your biggest fan, I know all your words by heart. Please explain them to me". Ein versteckter intertextueller Verweis, den man verstehen kann, aber nicht muss. Ja, Panik funktionieren auch ohne Lexikon in der Hand.
Der schönste Moment ist, als der Vorhang fällt. Am Ende spielen sie "The Evening Sun" und beenden den Song mit einer Acappella-Passage. "And no one will do me harm no more, as long as she keeps watch at my door". Hirnwichserei sieht anders aus.
Danach wird viel diskutiert. Und während man weiterzieht, in den Prechtlsaal zu Beat Beat, dem Noise-Pop von Sex Jams und den legendären Mäusen, die ihr Set um exakt 3:08 mit einem Schrei eröffnen, bleibt weiterhin die Diskussion. Und schon allein aus diesem Grund hat DSDS gegen DMD KIU LIDT keine Chance.
51,9 % der kostenpflichtigen Anrufe haben für Pietro Lombardi gestimmt. "Wohin ich blicke, seh ich jemand, der sich für jemand andern zum Trottel macht", heißt es dazu bei Ja, Panik. Bitte nicht mehr anrufen.