Erstellt am: 6. 5. 2011 - 01:34 Uhr
Ein Affentheater zum Auftakt
Die Bühne ist dieses Jahr höher und es steht ein Äffchen drauf. Das wäre vermutlich ein Schnellschuss in Sachen Fazit über den ersten Tag beim Popfest 2011, aber gleichzeitig ein guter, solider erster Eindruck. Denn die Bühne ist zwar höher, aber nicht unbedingt größer und der Platz mag optimal genutzt werden. Und da macht so ein kleines Stoffäffchen schon einiges her. Sitzt da quietschvergnügt auf einer Drehorgel, grinst breit und lacht sich vermutlich insgeheim schlapp über das Affentheater auf und vor der Seebühne am Karlsplatz. Das Popfest 2011 hat begonnen.
Niko Ostermann
Kabinenparty!
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Das Popfest hat noch nicht den Stellenwert der Salzburger Festspiele, aber auch hier ist die Eröffnung das Wichtigste. Vom Beginn berichten die Medien, der Start hat am ehesten das Potential, Lust auf mehr zu machen. In diesem Sinne hat die Organisation mit Skero und SK Invitational einen großen Griff getätigt. Wie gesagt, die Bühne gilt es optimal zu nutzen, und auch wenn die Herrschaften um Stephan Kondert nicht ihr vollständiges Line Up auf die Seebühne stellen können, weil sie sonst im Gewässer stehen müssten, nutzen sie die Plattform bestens. Links von der Bühne steht eine traditionelle Wiener Drehorgel inklusive darauf sitzendem Stoffäffchen, dahinter immerhin vier Blasinstrumente, Schlagzeug, Keyboard und Platz für Skero zum Austoben gibt's auch.
Niko Ostermann
Auch für Stephan Kondert, den Mann am Bass, dem Mastermind, der abgeht, wie ein Floh im Hundezwinger. Kondert hat seine Kombo vom ersten Moment an im Griff: Im Hintergrund trompeten die Bläser ihre Melodien in den kalten Wiener Himmel, Skero vollzieht im Vordergrund seine Sprachakrobatik. Kamp kommt als Gast-MC bei einem Song vorbei, legt dafür nicht einmal seinen Rucksack ab, vermutlich sind die Einkäufe noch drin. Auch das ist Wien, hektisch, hektisch. "Hudeln" heißt dazu das passende Stück. Dazwischen wird die Masse in Männchen und Weibchen getrennt: Gender-gerecht sollen die einen Affenlaute nachmachen (die Männer natürlich) und die Frauen eine Variante von "ahaaa"-Gekreische rauskrächzen. Das Äffchen wird sich gefreut haben.
Niko Ostermann
Apropos Äffchen: das bringt ein Herr Wolfgang Geißler mit, seines Zeichens Drehorgelspieler im Böhmischen Prater. Seine Drehorgel wird zum passenden Utensil für die ganz eigene SK Invitational-Wienerlied-Interpretation. Überhaupt ist es ein Kunststück, das diese Truppe es schafft, ganz Wien auf die Seebühne zu kriegen. Die Wiener Heurigen, die Schickeria, den Brunnenmarkt, für einige Momente hat man das Gefühl, all das sei präsent. Ein bisschen New York mischt sich auch ein, dank dem R'n'B-Gesangstalent Lylit, die SK Invitational zur Backing-Band verdonnert. Ein kleiner Bruch im Set, sind doch Lylits Kompositionen purer Soul, eine Stilrichtung, die durch amerikanischen Mainstream und manche Casting-Show ordentlich gelitten hat. Aber SK Invitational beherrschen alle Stile, ohne peinlich zu wirken. Auch ein Kunststück.
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Und dann kommt "Kabinenparty". Hit und Fluch zugleich, Texta wären fast daran zerbrochen. Die Menge tobt, das Mainstream-Publikum fühlt sich nun auch zuhause und bleibt vielleicht noch bis Gustav, dann hätte man schon was gewonnen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt erinnert mich Skero an Ernst Jandl. Auch Jandl wurde hauptsächlich mit dem "Otto Mops" in Verbindung gebracht, seiner "Kabinenparty" sozusagen.
U-Musik auf der Suche nach Erkenntnis
FM4 überträgt live:
Und zwar am Freitag, 6.5. 15 bis 19 Uhr und Samstag, 7.5. von 19 bis 22 Uhr.
Eva Jantschitsch: Was kann man zu dieser Dame sagen, ohne ihr Rosen zu streuen, worauf sie vermutlich verzichten kann? Schon ihr Soundcheck ist ein politisches Statement, ausschließlich bestehend aus der Wiederholung der Lassie Singers-Zeile: "Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß". Die vorbeipilgernden Teenies haben das sicher mitgenommen.
Gustav gehört zu den Glanzlichtern der österreichischen Popmusik, musikalisch wie textlich. Die deutsche Sprache in ein solch komplexes Soundgeflecht einzubetten, mit ihr zu spielen, sie beim Wort zu nehmen, an ihr zu scheitern und zu wachsen – das hat Gustav mit ihren beiden Alben ein gutes Stückchen salonfähig gemacht. Seit dem letzten Werk sind schon wieder einige Jahre ins Land gezogen, hochkulturelle Arbeiten sind dazwischen gekommen. Jüngst eine musikalische Neuinterpretation von Goethes "Faust" mit dem Titel "Unterhaltungsmusik auf der Suche nach Erkenntnis", bald bei den Salzburger Festspielen zu sehen und hören. Gustav ist nicht nur der Künstlername einer selbstbewussten Konzeptkünstlerin, sondern Markenzeichen für den Spagat zwischen Experiment und Melodie, zwischen Zugänglichkeit und Verkopfung.
Niko Ostermann
Für viele ist Gustavs Auftritt eine Premiere. Der Platz vor und um die Seebühne hat sich inzwischen bis zum Rand gefüllt und Gustavs Kompositionen sind ein klarer Bruch für das von SK Invitational eingestimmte Publikum. Manche verstimmt es, manche flüchten, andere bleiben erstaunt stehen. Inzwischen ist es auch dunkel geworden, die Karlskirche wechselt ihre Farben und Gustav beginnt – passenderweise – mit "Abgesang". Die Beats knarren, fiepsen, knacksen und brodeln, ein langsamer Walzer der Moleküle beginnt. Gustav tänzelt, stimmt das Publikum sogar zum Mitsingen ein.
Und dazwischen findet sich sogar Platz für Ungewohnteres: ein Cover von Rage Against The Machines "Sleep Now In The Fire". Ungewohnt, sicherlich ein Hohn für die alten Rage-Fans, aber Gustav darf das. Dann immer wieder Samples aus alten Filmen, Knickse fürs Publikum, Ausrufe ("Markus möge bitte seine Mama anrufen") – Gustavs Kunst ist das Spiel mit den Konventionen, einerseits der Sprache, andererseits der Erwartungen an ein Popkonzert, die sie allzu gern nicht einhält. Aus diesem Grund wirkt Gustav auf der Seebühne nach Skero vielleicht für manche fehl am Platz, aber eigentlich ist das doch die schönste Aussage ihres Auftrittes. Pop ist "Kabinenparty" und "Abgesang" zugleich. Am Schluss noch der Aufruf zum Liebe machen – immer doch.
Niko Ostermann
Der selbstbewusste Blick
Um 22 Uhr wird die Seebühne geschlossen, die Menge verteilt sich. Manche bestellen sich Pizza, bei den eiskalten Temperaturen auch eine Art, sich aufzuwärmen. Inzwischen bereitet sich Mika Vember alias Michaela Koglbauer am Balkon des Wien Museums vor. Letztes Jahr wurde die ausgefallene Location noch von Paper Bird bespielt, dieses mal von Mika Vember plus Band. Dank des Akkordeons klingen Seemannslieder mit Walzer-Einschlag über den Karlsplatz. Damit sich das Publikum gleich aufwärmt, darf es klatschen, und zwar im Rhythmus. Sätze wie "I make my own history" fallen in dem groovebetonten Set, während sich eine nackte Dame, fotografiert von Trude Fleischmann ( = auslaufende Ausstellung im Wien Museum mit dem Titel "Der selbstbewusste Blick") auf einem großen Plakat neben dem Balkon die Szenarie bedächtig ansieht.
Niko Ostermann
Es ist nicht einfach, den Balkon des Wien Museums zu bespielen, die Leute sind unruhig und brüllen in ihr Handy ("Wir steh'n grad vorm Wien Museum und wollen uns ein Konzert anschauen"), aber Mika schafft es problemlos, eine weite Soundlandschaft mit ihren Songwriterperlen zu eröffnen, eine Landschaft, die atmet und betört. Wunderschön für diese kalte Nacht. Dankeschön.
Dann kann man sich eigentlich nur zerreißen: Entweder zu Meaghan Burke ins Wien Museum oder zu Broken.Heart.Collector ins brut im Künstlerhaus. Beides total unterschiedlich. Meaghan Burke ist, na sagen wir mal "nicht gerade Easy Listening". Burke lebt hauptsächlich in New York, dementsprechend spricht sie mit dem Publikum Englisch. Ihr Album "Other People's Ghost" ist wie dieser Live-Auftritt von ihrem Cello geprägt, dem sie immer wieder schräge, wummernde und scheppernde Laute entlockt. Was immer man für musikalische Zeichen von einem Cello erwartet, wird hier dekonstruiert. Was übrig bleibt, ist ein ganz eigenes Sounduniversum, etwas kalt, beängstigend und verstörend.
Niko Ostermann
Popfest auf FM4
- Tag 4: Die guten Kräfte sammeln sich mit Allstar-Band und Ginga
- Tag 3: Panik sucht den Superstar mit Ja, Panik
- Tag 2: Candy Everybody Wants mit Trouble Over Tokyo
- Tag 1: Affentheater zum Auftakt mit Skero und Gustav
- Videos vom Popfest - Interviews mit Skero, Gustav, Trouble Over Tokyo
Auf eine gewisse Weise verstörend ist auch das Treiben im brut, der Spielstätte für Soundexperimente, das lässt sich schon am Line Up ablesen. Broken.Heart.Collector führen neben Crazy Bitch in a Cave und Cherry Sunkist die heutige Riege der Künstler unter der Discokugel im brut-Raum an. Stickig ist es, geraucht wird an allen Ecken, Rauch kommt sogar von der Decke, es riecht nach Umbruch. Broken.Heart.Collector, angeführt von Sängerin und Allroundtalent Maja Osojnik, beginnen mit einem krachenden Percussiongewitter, der Schlagzeuger imitiert kurzfristig eine Drummachine, verzerrte Riffs bröseln sich auf, immer wieder gebrochen mit jazzigen Zwischentönen. Die Musik ist schwer zu fassen, sie reicht von elektronischen Improvisationen bis zu Experimental-Rock.
Während die Nacht noch weitergeht, mit Dust Covered Carpet, Marilies Jagsch, Cherry Sunkist und vielen mehr, bleibt ein weiteres Fazit, das gut und schlecht zugleich ist. Das Popfest hat sich eingespielt: Bereits am ersten Tag, einem Donnerstag, sind mehr Leute da, als erwartet. Der Charme der unschuldigen Premiere des Vorjahres ist weg, übrig bleibt ein Megafestival voller Möglichkeiten.
Als Sinnbild dafür sieht Kollege Kobza gegen Ende, wie ein Mann an einem Brahms-Denkmal im Resslpark Wasser lässt. Auf die Frage, ob er denn keinen Respekt vor österreichischer Musik hätte, kommt als Antwort: "Nur vor der aktuellen". Das ist doch schon mal was.