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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

9. 2. 2011 - 12:15

Transmediale.11 Tag 5: Man ist nicht, man wird

Mein fünfter Transmediale-Tag drehte sich um die Konstruktion der "Person", die Möglichkeiten der "Reaktion", die Gefahr der Oppositionsmacht und welche Rolle die Technik bei all dem spielt. Mit dabei: Viele Fragezeichen und Slogans.

Das Leben im Excess - ein typischer Transmediale-Titel für eine Keynote-Diskussion. “Transpersonality and Autonomy in the Age of Biopower” Puha… Kein Wunder, dass sich bei Twitter jemand darüber beschwerte, dass auf der Transmediale zu viel “Academese” gesprochen werde: die Scholar-Version von Beratersprech und Businesskasperei.

Auf der anderen Seite: Für jemanden wie mich bedeutet das auch mehr Freiraum zu denken. Ich höre Menschen bei einem interessanten Gespräch zu und ernte interessante Gedanken, die ich am Abend (und in diesen Texten) verarbeite. Was diese Leute genau meinten, weiß ich nie. Ich mache mir nur meinen Reim daraus und das macht mir ausreichend Spaß. Bestenfalls geht es euch dann genau so wie mir: Aus meinem erratischen Gefasel, also dem Versuch, aus erratischem Gefasel der Redner einen Sinn herauszupulen, pult ihr ein paar Ideen heraus, über die ihr dann wiederum erratisch faseln könnt und so weiter und so fort.

Also: Person. Roberto Esposito versuchte sich an einem historischen Abriss der Konstruktion von “Person”. Das geschah vor allem Anhand von Fragen und Paradoxien: Ab welchem Jahr ist eine Biomasse ein Mensch (Empfängnis, Geburt, …) - Lösung: Person ist ein Attribut, das etwas zugewiesen wird. Welche Anteile eines Menschen sind seine Person (Geist/Körper-Dualismus)? Wer ist Subjekt, wer Objekt - wer unterwirft wen? Wer ist Herr über wessen Handlung? Der Körper über den Geist, der Geist über den Körper? Eines anderen Geist über eines Dritten Körper usw…? Wann verliert ein Mensch seinen Personen-Status (im Alter, in der frühen Kindheit, in der Krankheit, im Sklavenstatus, im Amt?) Was könnte eine Anti-Person sein (ein Irrer), was eine Semi-Person (ein Kind). Wie verhält sich die Gemeinschaft zur Person? Schafft die Gemeinschaft die Person oder Personen eine Gemeinschaft? Das ging immer so weiter - am Ende blieb übrig: Person ist ein historischer Begriff, eine Vorgang, kein Zustand und muss immer neu verhandelt werden.

@transmediale.de

TM-Rahmenprogramm. Ihr hab ja keine Ahnung, was in mir vorgeht, wenn ich dieses Bild sehe. (Substitut - Don't follow me)

Richtig spannend wurde das, als Judith Revel ihre Gedanken zur Reaktionsfähigkeit, Response-Ability vortrug. Das übersteigt meine Fähigkeiten zum Zusammenfassen allerdings völlig. Weil es eben mehr als Academese war (und mit viel Mühe vom Übersetzer aus dem Italienischen eingedeutscht wurde). Wo anfangen?

Revel ging es zunächst um die grundsätzliche und grundsätzlich spannende Frage, in wiefern Menschen überhaupt Wandel herbeiführen können? Ein radikaler Determinismus sieht einen übergeordneten Willen, den man nicht verstehen und nicht beeinflussen kann. Andererseits kann Wandel aber auch als etwas rein menschliches verstanden werden. Im ersten Fall passiert Wandel einfach, im anderen wird er produziert. “"Wenn sich die Menschheit selbst erfinden kann, dann kann der Mensch frei entscheiden, in welchem Verhältnis er zu sich und zur Gesellschaft stehen will."

Wer etwas ändert, ändert es gegen eine Macht. Diese Oppositionsmacht wiederum ist auch nur eine Macht. Macht ist immer Handeln als Antwort auf das Handeln anderer. Macht leitet per se nichts eigenes ein. Mächtig ist, der etwas macht. Wer was macht, macht Macht. Widerstand ist Produktion und aus ihr entsteht Macht.

Die große Frage lautet nun: Können sich politische Subjekte anders organisieren, ohne selbst zu so einer neuen Macht zu werden. Also: Wie kann man mit Macht einen machtlosen Zustand erreichen? Um diesem dialektischen Kreislauf zu entkommen, müsste der politische Raum woanders errichtet werden, so Revel. Man müsste Macht nicht als Macht gegenüber einer anderen Macht definieren.

An diesem Punkt des Vortrags driftete ich leider ab. Meine Aufzeichnungen springen hin zu der Forderung, das Leben nicht im Exzess, sondern als Exzess zu begreifen. Ja, ähm. Aber was soll’s: Gute Gedanken können ja auch ohne Kontext fruchtbar sein.

Jan-Peter Sonntag

TM-Satellit. Extended Atmosphéres, .CHB, Jan-Peter Sonntag

Also: Wir haben einen neuen, machtlosen Zustand, wie immer der auch aussieht. Revel fragt sich nun, wie sich neue Subjektivitäten gruppieren könnten, damit es zu keiner Fragmentation kommt. Sprich: Wenn es keinen Zusammenhalt, also keine Macht gibt, dann droht Zersplitterung und Stillstand in der Einsamkeit.

Eigentlich, wenn ich das richtig verstanden habe, haben wir längst so einen Zustand. Wir leben in einem doppelten Existenzsystem, das uns einerseits als Individuum erhält, andererseits zur Gemeinschaft integriert. Die Sphäre der Gemeinschaft, in der alle Mitglieder perfekt gleich sind, und die Sphäre der individuellen Freiheit, in der wir all unsere Widersprüche und Einzigartigkeiten behalten können. Sprich: Ein Zustand zwischen Faschismus und Individualismus.

Bisher war die öffentliche Sphäre durch den Staat garantiert - in dem jeder das gleiche Sprachrecht hat, wenn er von einigen Rechten zurücktritt, also zum Bürger wird. Im Privatraum konnte man jene Unterschiede zur Gemeinschaft ausdrücken, solange man die Politik selbst nicht in Frage stellte. Aber all das ist heute in der Krise.

Das Leben an sich würde, selbst in seinen intimsten Momenten, zu einer Frage der Macht. Die Institution der Gleichberechtigung aller Mitglieder (Bürger) und der Freiheit entstand aus einer Ent-Subjektivierung, Ent-Singularisierung. Aber das sei heute nicht mehr möglich, sagt Revel. Der umgreifende Individualismus …

Also, wie kann eine Gemeinschaft ohne politische Sphäre funktionieren? Ein Blick in die Geschichte: Das gab es längst. Gemeinschaft über Sprache, präindividuelle, transindividuelle Gesellschaften, in denen die Mitglieder ohne Privatheit existierten also nicht individuell waren.

Das Selbst entstand Revel zufolge erst durch die Konstruktion des Anderen (eh ein alter, aber äußerst interessanter Hut). Die moderne Politik garantiert vor allem den Individualismus der Subjekte - aber einen Schutz vor Faschismus, also der Ent-Individualisierung, garantieren etwa Demokratien noch lange nicht. Ich lese da heraus: Jede moderne Gesellschaft hat das Potential zum Faschismus. Eine Meinung, der ich auch anhänge.

@transmediale.de

Blubb macht die Gesellschaft; HONF - Intelligent Bacteria; Jonathan Gröger

Verwirrt, mit einem Gefühl von Kribbeln in der Erleuchtungsgegend? So ging es mir auch - und dann kamen die Publikumsfragen. Und die schlugen einen tollen Slogan Revels und Espositos heraus. Eine Liste, eine Liste!

Die einzige Möglichkeit, heute Widerstand zu leisten, ist durch Überschwang an Subjektivität.
Das Gemeinsame ist nicht die Begründung der Gemeinschaft, sondern ihr Ergebnis.
Jeder ist eine Multitude, jeder ändert sein Selbst strategisch von Situation zu Situation.
“Die Frage: ‘Wer bist du?’ Das ist Faschismus!”
Das Unpersönliche dient dazu, die Mechanismen der Individualisierung zu entkräften.
“Wir können nur die Dispositive der Immunisierung entkräften, die das Gemeinschaftliche einschränken.”
Der Einzelne und das Individuum sind nicht identisch.
“Was ist das unpersönliche, heute in Kairo?” Gefolgt von dem mir rätselhaftesten Applaus der Transmediale …

Aber welche Rolle spielt nun die Technik in dem Schlamassel? Als Erbsünde habe die Moderne ein paar Spaltungen geschaffen. Sie habe das Gemeinsame unterbrochen, Unterscheidungen zwischen ich und du, Macht-habenden und Ohnmächtigen erschaffen.

Das Internet spiele eine Doppelrolle: Es füge zusammen, habe eine befreiende Funktion für das Gemeinsame, zerstöre Schranken zwischen den Einzelheiten. Andererseits bring es neue “Großanlagen”, Aneignungsdispositive und Trennlinien (etwa mangelnden körperlichen Kontakt).
”Wir müssen im Internet aufpassen, einerseits die Gemeinschaftsdimension packen und andererseits die Immunisierung aufheben.” Das sei zutiefst problematisch.
“Lasst uns das Gemeinsame erzeugen” könne man nicht einfach sagen: Alles sei heute ein Doubleblind. Und zuletzt müsse man endlich von der Idee der Identität loslassen.

Man ist nicht, man wird.