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Felix Knoke Berlin

Verwirrungen zwischen Langeweile und Nerdstuff

5. 2. 2011 - 19:38

Transmediale.11: Macht Geschenke & Body-Medium

Mein dritter Transmediale-Tag bot - abgesehen von der Rückkehr des Körpers - wenig Fleisch, zum Glück war noch was vom Vortag übrig: Christin Lahrs Macht Geschenke.

@wikipedia.de

"Wir dürfen die Körper nicht übersehen!" Jetzt versteh ich das Sub-Motto der diesjährigen Transmediale.11: Body:Response - Biomedial Politics in the Age of Digital Liveness. Es gibt den Körper, neue Medien lösen ihn nicht auf und alte Bilder und Symbole, die um den Körper herum und auf ihm entstanden, alte Regeln und längst überkommene Sperrgebiete, Denkmuster, Blickrichtungen und -möglichkeiten leben auch in neuen, angeblich körperfernen Medien weiter.

Transmediale.11 Tag 2 versuchte sich dem über zwei Bilder zu nähern: dem des Fingerabdrucks und dem des so genannten genetischen Fingerabdrucks. Die Diskussionsrunde überlegte, wie diese Bilder (und es sind ja tatsächlich Bilder: Linien und Punkte mit all ihren durch ihre Entstehung verschuldeten Fehlern und Uneindeutigkeiten. Sie zeigte - wirklich interessante - Kunst zu Fingerabdrücken und Genom, stellte vieles in Frage, was man diesen Bildern quasi noch vor der bewussten Interpretation (und als Bild kann ja ein Fingerabdruck auch nur interpretativ erschlossen werden) anheftet. Nur ein Kunst-Beispiel: Ein Bild eines Fingerabdrucks (der ja auch wieder nur ein Bild eines Fingers ist, der irgendwie als Bild einer Identität gilt), darunter die Frage: Black or White.

Genetischen und anderen Fingerabdrücken wird unterstellt, auf eine gewisse Essenz zu verweisen: Wenn sie Identität eindeutig anzeigen, dann muss in ihnen auch alles stecken, was man zu einer gewissen Zeit als identitäts-konstituierend annimmt: Geschlecht, Rasse, Hang zur Kriminalität. Das ist der essenzialistische Kern von Sexismus, Rassismus und, äh, Essenzialismus (also der Annahme, einem Körper sei etwas zu eigen im Gegensatz zur Entwicklungsmöglichkeit. Weiber können nicht Auto fahren und Neger haben Rhythmus im Blut).

Einer der Sprecher, der Schweizer Hans-Jörg Rheinberger, rief deswegen dazu auf, als Wissenschaftler nicht medienblind zu sein. Es muss die Medialität dieser Bilder beachtet werden. Und es müssen die Körper - und der Körper ist ja auch nur ein Medium - beachtet werden. Diese Kritik fand ich toll! Es gibt Biomacht, es gibt einen Körper, der Machteinflüssen unterliegt und über den Macht konstruiert wird.

Und dann: Weg vom Essenzialismus, hin zur Performance. Oder, wie das eine Zuschauerin am Beispiel Geschlecht einwarf: Wir haben vergessen, dass wir "doing gender". Gender ist eine Performance, keine Essenz. Diese Performance kennt viele Medien, zum Beispiel den Körper.

@transmediale.de

Daito Manabe, Face Visualizer

Na gut, weil davon abgesehen der dritte Transmediale-Tag für mich nicht genug Fleisch bot (und damit auch für euch nix übrig bliebe), bestehe ich darauf, hier einfach einen interessanten Monolog vom Vortag, aufgeteilt in fünf mundgerechte Häppchen zu präsentieren.

Christin Lahr: Macht Geschenke

Am zweiten Tag der Transmediale sprach ich nach meinem interessanten Ausflug in die Piraten-Mode von Ubermorgen.com mit der Künstlerin Christin Lahr. Mit Ubermorgen.com vereinte sie Bissigkeit und Humor, ihr Vorgehen ist aber weitaus subtiler als die auf unausweichliche Konfrontation es anlegenden Ubermorgen.com. Also: Lahrs Werk “Macht Geschenke: Das Kapital”, Untertitel: “Kritik der politischen Ökonomie. Schenkung, Überweisung von Kapital an das Bundesministerium für Finanzen”.

Auf der Transmediale saß Christin Lahr, sie an ihrem Schreibtisch, vor sich diverse Ausgaben von Karl Marx’ “Das Kapital”, hinter sich Artefakte ihres künstlerischen Prozesses: Online-Überweisungsträger und die Spuren des Transformationsprozesses: Kapital in Geld.

@transmediale.de

Christin Lahr am Schreibtisch, links Das Kapital, drum herum ihr soziales Kapital

Denn Lahr transformiert den ersten Band von Karl Marx’ “Das Kapital” in Geld, das sie dem deutschen Bundesministerium für Finanzen überweist. Dazu unterteilt sie “Das Kapital” in 108-Zeichen-Häppchen, je einen Cent wert. Weil Christin Lahr das am besten, weil interessantesten und amüsantesten, selbst erklären kann, hier mein Interview mit ihr zum Anhören. Nur ein bisschen gerafft, nur ein bisschen ent-ähmt. So viel zur Offenlegung meiner Prozesse …

Christin Lahr erklärt, wie Macht Geschenke funktioniert - und wie sie ihr Werk öffentlich macht. Dazu gehört auch das öffentliche Ansammeln von Kapital, also Marx' Kapital in allen Sprachen.

Christin Lahr (Transmediale) - Teil 1

Das Sammeln selbst zersetzte ihr den Ideologie-Begriff. Anhand lustiger Anekdoten kann das jeder für sich selbst nachempfinden.

Christin Lahr (Transmediale) - Teil 2

Lahr nimmt den Text "Das Kapital" und will dessen Kontexte ändern. Deswegen überschreibt sie ihn sachte - sie legt eine halbtransparente Folie über den Text, streicht darauf Zeichen aus und schreibt als Zahl dazu, wie viel Zeichen es braucht, dieses Wort zu überweisen. Daraus entsteht eine Notation des "Kapital" in ihrer Handschrift - die aber nicht anmaßend ist. Sie will dieses Buch nicht wie die Bibel oder den Koran huldigen, sondern dessen Text als Inspiration verwenden. So interpretiert sie und verändert auch zugleich und lotet aus: Was ist das Verhältnis Macht zu Ohnmacht, was liegt in der Verantwortung des Einzelnen zu tun?

Christin Lahr (Transmediale) - Teil 3

Doch ihr Projekt ist auch eine Aufforderung und Ermutigung: Jeder kann etwas verändern, nämlich sich selbst. Das sei der "Ability"-Teil des Transmediale-Mottos Response:Ability.

Christin Lahr (Transmediale) - Teil 4

Lahr will nicht nur Kontexte-Hacken, den Staat mit einem harmlosen Cent-Denial-of-Service-Angriff ärgern, sondern mit "Macht Geschenke" zeigen, dass Gesellschaft wir alle sind.

Christin Lahr (Transmediale) - Teil 5