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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

26. 10. 2010 - 02:37

Big Brother Awards 2010

Josef Pröll, die Staatsanwaltschaft Wien, T-Mobile, ITworks, Claudia Bandion Ortner und die Internetabsperrer. Sie alle haben gestern einen Big Brother Award erhalten.

Big Brother Awards 2010

  • Big Brother is watching you!: Wenn die Realität die Dystopie überholt: Das Projekt INDECT strebt eine ständige und automatisierte Überwachung der Gesellschaft an.
  • Dein Drucker dein Spion: Lexmark bietet dir einen schönen Tausch: Fünf Jahre Garantie auf den neuen Drucker für deine Daten.
  • Kennzeichen gecheckt: In Niederösterreich werden neue Kamerasysteme getestet, die Kennzeichen vorbeifahrender Fahrzeuge registrieren und überprüfen.

Gestern sind im Wiener Rabenhof-Theater die alljährlichen Big Brother Awards vergeben worden, an Personen, Institutionen oder Unternehmen, die sich besonders um die Verringerung unserer Privatsphäre verdient gemacht haben.

Neu ist bei der Gala in diesem Jahr, das die PreisträgerInnen nicht mehr Oscar-like von den LaudatorInnen aus einen Kuvert hervorgezogen und vorgelesen werden, sondern dass diesmal eine anonyme Stimme aus dem Off den/die GewinnerIn verkündet und die Jurybegründung gleich mitliefert. Der Big Brother selbst spricht so quasi zu den Anwesenden.

Publikumk Big Brother Awards Gala

FM4/Irmi Wutscher

Das geneigte Publikum - in erster Reihe: Christian Felber von ATTAC

Außerdem, so bittet Moderatorin Dagmar Streicher, soll das Publikum nicht begeistert applaudieren – denn dann könnten die Big Brother Awards von Nominees und Prämierten als etwas Gutes missverstanden werden – nein, diesmal soll bitte der Empörung Luft gemacht werden. Eine Aufforderung der das Publikum mit Buhrufen und Pfiffen bei der Bekanntgabe der GewinnerInnen gerne nachkommt. Vor allem bei der Bekanntgabe des Preises für die Firma ITworks, die Langzeitarbeitslosen persönliche Fragen nach Medikamenten- oder Alkoholkomsum stellt, geht die Off-Stimme von Big Brother in einem lauten Pfeifkonzert unter.

Transparenzdatenbank. Glasklar.

Als Laudator für die Kategorie Politik kommt Gerald Votava auf die Bühne. Er stellt vor allem detaillierte Überlegungen zum geplanten Kennzeichen-Check von Erwin Pröll an: "Ich weiß nicht wie lange ein Autobesitzer braucht, um das Auto gestohlen zu melden, und wie lange der Dieb über die Grenze braucht. Also von dem Ort in Österreich, der am weitesten weg von einer Grenze ist, werden das wohl zwei Stunden sein." Und er spinnt die Idee weiter: "Sollte das System funktionieren, müssten die Autodiebe insofern Rücksicht nehmen, dass sie die Autos zwar stehlen, dann irgendwo parken, warten bis die Meldung im System ist und dann auf keinen Fall das Nummernschild wechseln. So würde das System funktionieren und das bringt Erwin Pröll die dritte Nominierung ein."

Typ mit Kapuzenpulli

FM4/Irmi Wutscher

"Registrierter Bürger" im Publikum

Gewonnen hat in der Kategorie Politik dann aber doch sein Neffe, Josef Pröll, für die am 19. Oktober beschlossene Transparenzdatenbank. Diese führt Daten aus so verschiedenen Bereichen wie Einkommen, Sozialversicherung, Staatliche Transfers usw. zusammen. Somit werden von allen österreichischen BürgerInnen sämtliche Zahlungen vom und an den Staat einsehbar.

Besonders wichtig war der Jury, mit diesem Preis den Unterschied Parteien und BürgerInnen aufzuzeigen: "Hier der gläserne Bürger, dort ein weitgehend opakes Parteienfinanzierungssystem."

Unter den Talaren…

Im Bereich Behörden und Verwaltung hat die Staatsanwaltschaft Wien den Big Brother Award bekommen. Science Buster Werner Gruber erwähnt in seiner Laudatio gleich die Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft mit: "Ein TV-Dokumentarist und zwei Skinheads wurden gleichermaßen für nationalsozialistische Wiederbetätigung durch die Polizei verfolgt, und das aufgrund eines Zurufs aus der Politik durch Herrn Strache. Schon pervers, die Welt, manchmal."

Dagmar streicher, werner gruber

FM4/Irmi Wutscher

Werner Gruber packt aus, was er beim ZDF so alles durch den Nacktscanner geschmuggelt hat, unter anderem den Sprengstoff "Thermit"

Die Staatsanwaltschaft Wien hat mehrere JournalistInnen der Zeitschriften News, Profil und Wirtschaftsblatt vorgeladen, da sie aus Gerichtsakten eines gerade laufenden Verfahrens zitierten. In Österreich ist das übrigens erlaubt, in Deutschland aber nicht. Österreich hat hier keine Rechtshilfe zu leisten, die Staatsanwaltschaft hat die JournalistInnen aber trotzdem verhört. Dieselbe Staatsanwaltschaft hat auch über vier StudentInnen, die einen Mistkübelbrand gelegt haben, mit dem Mafiaparagrafen mehrere Wochen Untersuchungshaft verhängt. Die Jurybegründung für den Preis: "Der wiederholten Versuche, Deutsches Recht in Österreich umzusetzen, nur weil den Staatsanwaltschaften offenbar ein Paragraf gar so gut gefällt, der Zitieren aus Gerichtsakten unter Strafe stellt, waren die letzten Tiefpunkte einer Entwicklung, die konsequent in eine Richtung ging."

Entgegengenommen haben die Trophäe für die Wiener Staatsanwaltschaft dann Ulla Schmid und Michael Nikbakhsh vom Magazin Profil. Sie werden ihn übergeben, wenn sie das nächste Mal zur Staatsanwaltschaft zitiert werden, meinten sie.

Gegendarstellung und die Stimme des Volkes

Auch bei allen übrigen Kategorien ist heuer - wie üblich - keine der PreisträgerInnen gekommen, um sich die Betontrophäe abzuholen. Allerdings haben sich gleich zwei Nominierte eingefunden, die vor dem Publikum im Rabenhof Stellung nahmen.

Gleich nach der Verleihung des Politik-Awards kommt Christian Felber von ATTAC auf der Bühne. Er war ebenfalls in dieser Kategorie nominiert. Denn er hatte laut Nominierung befunden, dass nur der "automatische Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden" das Problem lösen könne und dass Österreich "endlich das Bankgeheimnis für Aus- und Inländer abschaffen" müsse. In seiner Verteidigungsrede begründet er das damit, dass zwar die privaten Einkommensdaten von 95 Prozent der Bevölkerung einsehbar seien, nicht aber die restlichen 5 Prozent der Finanzeinkommen. Und dass er nach Möglichkeiten ruft, diese Ungleichbehandlung abzuschaffen. Was der Applaus nach seiner Rede zeigt: er scheint damit beim Publikum „die Kurve gekratzt zu haben“, wie Dagmar Streicher es ausdrückt.

Nicht so gut kratzt Daniel Gottscheider die Kurve hin zu denn Guten. Er war mit seiner Web2.0-Lotterie Lottelo im Bereich „Kommunikation und Marketing“ nominiert. Mit dem Satz "Wir haben nie um Ihre Daten gebeten" erntet er beim Publikum hauptsächlich Gelächter.

Clemens Haipl

FM4/Irmi Wutscher

Clemens Haipl macht vor der Laudatio erst mal ein Foto vom Publikum und stellt es auf Facebook.

Einen interessanten Spin hat es dieses Jahr bei der sogenannten Volkswahl gegeben. Hier zählen allein die von außen, also dem "dem Volk", abgegebenen Stimmen, die bis zum letzten Tag, dem 25. Oktober, abgegeben werden konnten. Wie Jurymitglied Karin Kosina erzählt, war lange Facebook Spitzenreiter, dann ist Maria Fekter dazugekommen. In der letzten Woche hat sich alles noch einmal gedreht und Justizministerin Claudia Bandion-Ortner hat in letzter Minute die Wahl für sich entschieden. Unter anderem deswegen, weil der Grüne Justizsprecher Albert Steinhauser in seinem Blog einen Big Brother Award für Bandion-Ortner gefordert hatte.

Ob sich die Big Brother Awards jetzt den Vorwurf der Instrumentalisierung durch die Politik gefallen lassen müssen? Nein, findet Karin Kosina „Denn so funktioniert direkte Politik. Wenn sie das jetzt schade finden, starten sie doch ihre eigene Kampagne!“ Also Ausschau halten, nach potenziellen Nominees, die Volkswahl für die Big Brother Awards 2011 ist sicher nicht weit!

Alle PreisträgerInnen auf einen Blick:

  • Business und Finanzen: Gudrun Höfner GF ITworks
  • Politik: Josef Pröll [ÖVP]
  • Behörden und Verwaltung: Staatsanwaltschaft Wien
  • Kommunikation und Marketing: T-Mobile Austria
  • Lebenslanges Ärgernis: Die Internetabsperrer
  • Volkswahl: Claudia Bandion-Ortner [ÖVP]
  • Defensor Libertatis: John Young