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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

12. 10. 2010 - 10:17

Im Namen des Vaters

In "Veitels Traum" erleidet ein dichtender Dorfgendarm beim Liebesakt einen Herzinfarkt. Am nächsten Morgen wird er mit einem Loch im Kopf aufgefunden.

You're a suspect, baby. Neue Krimis aus Österreich
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An einem regnerischen Tag Mitte der Achtziger Jahre fährt der Gendarm Joachim Veitel wie jeden Monat in die Nachbarstadt, um mit Natalie zu schlafen. Auch dieses Mal ist der Liebesakt intensiv. Allerdings zu intensiv, denn noch während des Verkehrs bemerkt Natalie, dass Joachims Herz nicht mehr schlägt. Sie schreit jedoch nicht. Vielmehr windet sie sich unter dem männlichen Körper hervor und entschließt kühl, dass die Leiche aus ihrem Bett verschwinden muss. Sie sucht Joachims Kleider, zieht sie ihm mühevoll an, schleppt ihn aus dem Haus ins Auto und fährt ihn zu einer Waldlichtung, wo sie ihn auf eine Parkbank legt.

Am nächsten Morgen wird Joachim Veitel gefunden. Mit einem Loch im Kopf. Auf dem Parkplatz eines Nachtclubs.

Dichter unter sich

Andreas Weber - Veitels Traum

Picus Verlag

Andreas Weber: "Veitels Traum" ist 2010 im Picus Verlag erschienen.

Im Provinznest Kalm in Marsch, in dem Joachim Veitel zu Lebzeiten Gendarm gewesen ist, bleibt seine zerrüttete Familie zurück: die betrogene Ehefrau Maria und die beiden Söhne Tobias und Horst. Hinweise auf den mysteriösen Tod des Vaters sind spärlich. Einzig und allein die Gedichtbände des Hobby-Poeten könnten ein Anhaltspunkt sein. Vor allem Tobias macht sich auf die literarische Suche nach dem Motiv des "Beinahe-Mordes", beginnt dafür sogar das Studium der Germanistik.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die Perspektive des Romans auf den Sohn gelegt. Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre Tobias Profi-Handballer geworden. Nun sind es die Rapid-begeisterten GermanistInnen, die ihm helfen, die Gedichte des Vaters besser zu verstehen. Wie sein Vater beginnt er aber zu schreiben, möchte mit seiner Karriere als Schriftsteller "dem Vater ein Denkmal setzen", da dieser es lediglich zum "dichtenden Dorfgendarmen" gebracht hat. Wie ein junger Wilhelm Meister erlebt Tobias mehrere Stufen der literarischen Entwicklung: In seinen Texten gibt er das Kleinstädtische seiner Heimat der Lächerlichkeit preis und stellt sich in die Tradition der Aufklärung.

Bis eine Frau in sein Leben tritt, welche die Vergangenheit um den mysteriösen Tod seines Vaters wieder zurückholt: Natalie. Und erst ab diesem Zeitpunkt wird dem Leser klar, warum der Vater mit einem Loch im Kopf gefunden wurde.

Gendamerie-Mütze aus Österreich

Polizeimuseum Dettenhausen

Ein Überbleibsel des Dorfgendarmen Joachim Veitel

Famous last Words

Andreas Weber liest aus seinem Roman:

  • 12.10. Stifter Haus, Linz
  • 28.10. Österreichische Gesellschaft für Literatur, Wien

Ein dichtender Gendarm mag nichts Ungewöhnliches sein, wird in der kleinen Ortschaft Kalm in Marsch nahe der Kleinstadt Lanz aber heftig diskutiert. Veitel betrügt seine Ehefrau mit einer anderen, erleidet einen Infarkt, wird aber mit einem Loch im Kopf im Rotlichtmilieu gefunden. Und dürfte sich privat für einen Möchtegern-Goethe gehalten haben. Der Dorfgendarm bietet daher allerlei Gesprächsstoff, um beim Dorfgreißler über ihn zu diskutieren. Kalm in Marsch und Lanz sind beides fiktive Orte, aber durchaus repräsentativ für österreichische Befindlichkeiten in der Provinz. Für Spürnasen gibt es auch Hinweise: Die Ortschaften liegen in einem von der ÖVP dominierten Bundesland und 80 km von Wien entfernt. Der Roman dürfte also in Niederösterreich spielen.

Neben der Kriminalschiene fährt der Roman allerdings noch eine andere: jene des Entwicklungsromans. Der Tod des Vaters ist nur der Ausgangspunkt für das Leben des Sohnes, der eine Karriere als Autor anstrebt. "Veitels Traum" ist selbst von einem Germanisten verfasst: Andreas Weber legt nach "Lanz" erneut einen Roman über die Verstrickungen der Kleinbürger in den Achtziger Jahren vor. Schuld und Verdrängung stehen im Vordergrund. Die Dichter und Denker (und jene die es gerne sein wollen) werden bei Andreas Weber mit viel Komik karikiert. Man denke nur an die "Rapid-begeisterten GermanistInnen": Das hätte dem grün-weißen Wendelin Schmidt-Dengler sicher gefallen.

Weitere Leseempfehlungen:

Die einzige Möglichkeit zur Lösung des Kriminalfalls und der glücklichen Entwicklung des vaterlosen Sohnes dürfte im Schreiben liegen. Es ist ein weiterer ironischer Seitenhieb des Romans, dass das Opfer mit Talent für poetische Worte eigentlich während einer triebgeleiteten Stöhn-Orgie stirbt.