Erstellt am: 11. 10. 2010 - 16:42 Uhr
Satzbauherr & Sprachbildhauer
You're a suspect, baby. Neue Krimis aus Österreich
Von 11. bis 15.10. täglich in FM4 Connected und auf fm4.orf.at
- Satzbauherr & Sprachbildhauer: Batmans Schönheit von Heinrich Steinfest
- Im Namen des Vaters: Veitels Traum von Andreas Weber
- Schnaps und Schnapsen: Ohnmachtspiele von Georg Haderer
- "Ja, ich hab im Tatort mitgespielt": Die Musenfalle von Nora Miedler
Und jetzt sitze ich also in Stuttgart und habe mich daran gewöhnt. Hauptsache nicht Berlin oder Paris oder New York. Ich bin schließlich keine Boutique.
Was für ein super Absatz. Und der ist noch nichtmal aus einem Steinfest-Buch, sondern aus einem Steinfest-Interview. Heinrich Steinfest (ihr merkt schon, ich mache einen Brainwashgang mit euch durch ständige Namenswiederholung) liest sich in Interviews so wie er schreibt, der Mann ist eins mit seinem Werk. Dieses Werk hab ich, nein, nicht verschlungen, dieses Verb gehört endlich rausgekickt aus der Phrasendrescherkiste der Buchrezensenten, Steinfests Bücher verschlingt man nicht, da würde man ja nichts davon genießen können. Da könnte einem was entgehen und das wär im Falle Steinfest mehr als schade, nämlich geradezu fahrlässig.
Seine Bücher liegen im Buchgeschäft am "Kauf mich!"-Tisch artig neben Wolf Haas, Pierre Emme und Thomas Raab, tarnen sich also als heimischer Kriminalroman. Wären sie nur das allein, wär das eh schon großartig genug, doch sie sind soviel mehr. Seinen hinkenden, einarmigen Privatdetektiv Markus Cheng, in Wien geborenen Sohn ausgewanderter Chinesen und Besitzer eines inkontinenten Dackels, hat er in drei Romanen in bizarre Mordfälle stolpern lassen, an deren Ende nie die Katharsis einer kompletten Aufklärung stand. Mit dem im September erschienenen "Batmans Schönheit" schließt er die Cheng-Reihe ab, nicht ohne damit die vorhergehenden Cheng-Romane in ein anderes Licht, jede Menge Fragen (auf)zuwerfen und die Grenzen vom Genrestaat "Kriminalroman" weit hinter sich zu lassen.
Heinrich Steinfest
Wolle und Aliens
Steinfest begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Science-Fiction Geschichten und in den letzten Jahren wurde dem Fantastischen in seinem Werk mehr und mehr Platz eingeräumt. In ein ansonsten von Satire und Lakonie reichlich ausgestattetes realistisch anmutendes Setting wird Absurdes eingewebt auf eine Art und Weise, die stets immer noch plausibel scheint. Der Roman "Gewitter über Pluto", beginnt mit einem ehemaligen Pornodarsteller, der in Wien ein Wollgeschäft eröffnet, es gibt es dann eben auch ein 608 Jahre altes Alien in Menschenform, verheiratet mit einer Ärztin und Herausgeber des "Schwäbischen Bürgerblattes für Verstand, Herz und gute Laune". Die Kombination ergibt bei Steinfest Sinn, schließlich sind sich auch Wollgeschäfte und Alien-Heimaten sind sich ähnlicher, als man meinen möchte.
"Für ein Ladenlokal gilt das gleiche wie für einen Planeten. Wenn man will, dass dort richtig was los ist, braucht man eine Atmosphäre."
Preise pflastern seinen Weg; am 24.10. wird Heinrich Steinfest mit dem Heimito von Doderer Literaturpreis ausgezeichnet
Piper Verlag
Heinrich Steinfests Bücher sind im allesamt im Piper Verlag erschienen
"Ein dickes Fell", für mich sein Opus Supermagnum, kann nicht nur jede Menge Tote vorweisen, die teilweise mit einer Überdosis Kölnisch Wasser über den Jordan geschickt wurden, sondern auch noch Theorien über Golem-Erweckung und Zeitlöcher. Außerdem eine Auftragsmörderin, die wegen fehlender Kinderbetreuung ihren schwer behinderten Sohn zur Arbeit mitnimmt und ein Komponist aus der Zukunft. Jetzt ist das Fantastische in der Literatur etwas, was bei mir in die Kategorie "Rosinen im Apfelstrudel" fällt, brauch ich nämlich eigentlich gar nicht, meide ich sogar wie der Bockfüßige das Weihwasser. Bei Steinfest aber schluck ich das Fantastische, begierig wie der Hund die Tablette, die man trickreich in einem Wurstradl versteckt hat. Weil Steinfest Sprache neu orchestriert.
Seine Romane sind üppig, voller Abschweifungen und Exkurse, die sich schließlich manchmal als Romanfundament herausstellen, hier wird Wittgenstein genauso behandelt wie Hitchcock; seine Bücher als Sinfonien der Sprachgewalt und Sprachoriginalität zu bezeichnen, wär noch untertrieben. Ich schwöre. Genauso wie er seine scheinbar gewöhnlichen Kriminalfälle mit dem Fantastischen kombiniert, setzt er auch Sprache neu zusammen. Da treffen sich Worte, die sich bisher noch nichtmal vom Sehen kannten. Er baut Metaphern um, er beschreibt Dinge auf eine Art, wie sie noch nicht beschrieben worden sind (die Lippen einer Frau sehen aus "wie Schnecken beim Turnen"), drischt auf das Abgedroschene durch dessen Nicht-Verwendung ein. Für die Bilder, die Steinfest mit Worten erschafft, muss im Gehirn ein neuer Flügel eröffnet werden. Seine Romane ziehen ihrer Wucht aus seiner Schilderungskraft, seiner Originalität und dem Absurden, das sich an Alltagsbeobachtungen, die manchmal in der Panier der Bosheit rausgebacken wurden, reiht.
mgm
Wiener und Stuttgarter
Der in Australien geborene Steinfest lebt jetzt in Stuttgart, wuchs aber in Wien auf und lebte hier bis in die 1990er Jahre. Und Wien, das bei ihm gerne als verwunschen bezeichnet wird, kriegt jetzt nicht unbedingt Beschreibungen, die das Wiener Tourismusbüro mit Freude copy/pasten wird. So meint er in einem Interview zum Unterschied der beiden Städte:
"Die Stuttgarter wollen alles, nur nicht als liebenswert gelten. Die Wiener hingegen wollen das. So böse können sie gar nicht sein, daß sie nicht einen Kult um ihre angebliche Herzlichkeit treiben." Und in "Cheng" komponiert Steinfest einen Einschub über die Österreicher und den Zorn: In sein auch nicht gerade abstinentes Gesicht hatte sich der Zorn eingeraben, der Zorn, der den meisten Österreichern ihr unverwechselbares Aussehen verleiht. (Natürlich, überall auf der Welt gibt es zornige Menschen, aber im österreichischen Zorn hat sich Gott wiedergefunden. Dieser Zorn nährt sich selbst. Es ist der Zorn über die Erschaffung der Welt).
Dietrich und Hemingway
In "Batmans Schönheit", dem letzten Cheng-Roman, in dem es unter anderem einen Ernest Hemingway und eine Marlene Dietrich gibt, beide weder verwandt noch verschwägert mit den berühmten Trägern des gleichen Namens, schickt Steinfest seinen nun das angeheiratete Familienidyll genießenden Privatdetektiv auf eine groteske letzte Odyssee. Deren Ausgang bisherige Steinfest-Irrheiten wie Kinkerlitzchen aussehen lässt. Ich kann nur unbedingte, ernstgemeinte, von Herz kommende Empfehlungen für das gesamte Steinfest-Oevre abgeben; für die Cheng-Reihe wie für seine anderen Romane und die "Gebrauchsanweisung für Österreich", in der sich Steinfest mit folgender Analyse wohl auch eine Selbst-Diagnose stellt:
"Die österreichische Sprache ist die Verwandlung des Hochdeutschen in etwas Raffiniertes und Hinterfotziges, nicht selten Elegantes, Doppelbödiges und Sarkastisches." Noch fünf gute Gründe, Steinfest zu lesen.