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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

14. 10. 2010 - 12:51

"Ja, ich hab im Tatort mitgespielt"

In "Die Musenfalle" verpackt Nora Miedler die Nöte von JungschauspielerInnen in einen wirklich unterhaltsamen Kriminalroman.

You're a suspect, baby. Neue Krimis aus Österreich
Von 11. bis 15.10. täglich in FM4 Connected und auf fm4.orf.at

Lilly steckt im Monsterkostüm und erschreckt Kinder in der Geisterbahn, als sie der Anruf ihrer Agentin erreicht. Sie hat den Vertrag! Sie ist Green Poison, das neue Werbe-Testimonial eines großen Mobilfunkbetreibers. Das bedeutet zwar, dass sie zur Prime Time in Glitzerbody und Nuttenstiefeln über die heimischen Fernsehbildschirme stolzieren wird, aber was soll’s. Die Leute würden sie erkennen. Das war es, was sie wollte.

Die erste Szene des Buches wirft uns nach allen Regeln der dramaturgischen Kunst mitten ins chaotische Leben der Protagonistin.
Lilly Sommer ist Schauspielerin, der große Durchbruch ihr sehnlichster Wunsch. Wer allerdings einen ordentlichen Wintermantel braucht, die Miete eines WG-Zimmers zahlen muss und auf die tägliche Ration Gras nicht verzichten kann, darf sich für Kommerzrollen nicht zu gut sein. Immerhin liegt Lillys letzte echte Rolle zwei Jahre zurück, und das war auch nur die Pechmarie in einer Frau-Holle-Aufführung im Theater der Jugend. Green Poison kommt ihr also gerade recht.

Dumm nur, dass kurz nachdem sie den Vertrag unterschrieben hat, der Manager des Mobilfunkunternehmens erstochen wird. Noch dümmer, dass sie wenige Stunden vor dem Mord mit ihm geschlafen hat.

Schauspielerstolz

Nora Miedler, österreichische Jungschauspielerin und Autorin des Kriminalromans "Die Musenfalle"

© Walter Miedler

Nora Miedler, Jahrgang 1977. Nach ihrem Debüt "Warten auf Poirot" (2009) ist "Die Musenfalle" ihr zweiter Krimi.

Das ist die Ausgangslage, von der aus die Autorin Nora Miedler ihre Protagonistin in eine Undercover-Ermittlung schickt, die ihr schauspielerisches Talent tausendmal besser unter Beweis stellt, als es auf einer Bühne oder vor einer Kamera je möglich wäre.

Mein Gesicht juckte unter der Theaterschminke. Obwohl wir dezent vorgegangen waren, spürte ich den gepinselten Bluterguss unter dem linken Auge so deutlich, als wäre er tatsächlich durch die Begegnung mit einer Faust zustande gekommen - Stanislawski, Sie wissen ja. Die Blicke der Passanten waren eindeutig, ich durfte mir gratulieren.

Eine Herausforderung, nach der sich vielleicht auch die Autorin insgeheim sehnt. Immerhin hat Nora Miedler einige Jahre selbst als Schauspielerin gearbeitet. Sie hat am Konservatorium Wien studiert, war in etlichen Theaterproduktionen z.B. im Rabenhof oder bei den Seefestspielen Mörbisch zu sehen, hat aber auch einmal in "Kommissar Rex" mitgespielt. Es entspringt daher vermutlich nicht purer Fantasie, wenn Lilly gerne betont, sie sei Theaterschauspielerin, Fernsehen habe nicht den gleichen Stellenwert für sie. Trotzdem muss sie selbstironisch gestehen:

"Ja, ich hab im Tatort mitgespielt" – "Die Leiche? Hahaha." An dieser Stelle stimmte ich stets ins Lachen ein, verschwieg, dass ich tatsächlich nach einem halbminütigen Auftritt erdrosselt wurde – aber hey, werden Sie mal erwürgt, wissen Sie, wie schwierig das ist? – und dass ich natürlich eine Fernsehkarriere wollte!

Lesen statt fernsehen!

Mittlerweile hat Nora Miedler ihre Hauptbeschäftigung ganz aufs Schreiben verlagert und für "Die Musenfalle" eine Handlung ersonnen, die jeder Tatort-Episode locker zur Ehre gereicht. Zum erstochenen Manager gesellen sich noch ein toter Richter und ein verschwundenes Mädchen, die auf verschlungenen Wegen alle mit den abstrusen Geschäften der ehrwürdigen Schauspiellehrerin Frieda Bernhard zu tun haben. Letztere bildet in einer Theaterkommune die Bühnenelite von Morgen aus. Fast nebenbei portraitiert Miedler also das österreichische Schauspielmilieu zwischen realen Weltruhmambitionen und überheblicher Eitelkeit. Die wahre Kunst, so gibt sie uns zu verstehen, ist oft viel korrumpierbarer als jeder kleine Statist. Ahnungslos, wer glaubt, dass man mit einem Werbevertrag seine Schauspielerseele verkauft.

Buchcover "Die Musenfalle" von Nora Miedler

© Ariadne Kriminalroman / Argument Verlag

Die Musenfalle ist 2010 bei Ariadne Kriminalroman im Argument Verlag erschienen.

Getragen wird "Die Musenfalle" aber, wie fast jeder gute Krimi, von ihren wunderbar brüchigen Figuren, deren Parts Nora Miedler allesamt gekonnt übernimmt. Allen voran Lilly, die ihre Monsterhaftigkeit aus der ersten Szene wie eine Maske durch den ganzen Roman trägt. Sie gibt sich als derbes, aufsässiges Weib, das viel zu leicht zu haben ist und durch seine Impulsivität permanent in unangenehme Situationen gerät. Sie kann so richtig schön g'schissn sein. Von ihrer Perspektive wechselt die Autorin zu Dino, Lillys detektivischem Partner, der sich nach einer verpatzten Oscar-Chance dem Alkohol hingegeben hat, zu Frieda, der guruhaften Schauspieldiva oder zu Britta, Lillys stocksteifer Mitbewohnerin.

In dieser Konstellation ergeben sich die launigsten Dialoge, die rotzigsten Schmähs und die an bester schauspielerischer Menschenkenntnis geschulte Detektivarbeit. Für den kommenden Sonntagabend lautet die Empfehlung daher nicht ORF2, sondern 250 Seiten Musenfalle.