Erstellt am: 24. 3. 2010 - 14:30 Uhr
Wir freuen uns aufs Seewiesenfest
Am 29. Mai ist das Seewiesenfest. Das ist in Kleinreifling, das wiederum in Oberösterreich.
Frühlingsbeginn ist etwas unfassbar schönes. Das Aufstehen um 7 Uhr fällt dir nicht schwer, weil dir die Sonnenstrahlen einen verheißungsvollen Tag ankündigen. Dann spazierst du über den Viktor-Adler-Markt und lächelst den Schichtarbeitern, Nachtportieren und Hundebesitzern (oder wer sich halt sonst zu dieser Stunde das erste Getränk am Fleischimbiss genehmigt) zu, die viel weniger grau als sonst wirken. Du pfeifst fröhlich den Internet Warrior von Oh No Ono vor dich hin und hast um halb 11 schon dein halbes Tagwerk verrichtet, damit du dich danach den dringenden Dingen des Daseins zuwenden darfst - sprich: der eigenen Freizeitgestaltung im Sommer.
Die Flüge fürs Melt müssen gebucht sein. Die Freunde, die sich ob des angeblich nur geringfügig ausgebauten Vorjahreslineups (welch infame Unterstellung!) noch zieren, zum Besuch des Urban Art Forms Festivals überredet werden. Der Urlaubsantrag fürs FM4 Frequency will gestellt werden. Und die aktuelle Nachrichtenlage zum AC/DC Konzert in Wels sollte ebenfalls laufend kontrolliert werden.
Kurzum: es ist Hochsaison für Checkungen aller Art. Wenn du da jetzt schon die bösen Worte Freizeitstress und Festival-Burn-Out in den Mund zu nehmen gedenkst, dann hältst du einmal kurz inne und gehst in dich. Beziehungsweise back to the roots.
Back to the roots
Weil Open-Air-Musik im Sommer nicht zwangsläufig was mit aus dem Boden schießenden Zeltstädten zu tun haben muss, für die es keine Navi-Karten zum Download gibt. Und weil man für den Musikgenuss (das ist leider ein Wort, das auch diejenigen Menschen verwenden, die Ohrenschmaus oder Festtagsschmankerl sagen, aber mir fällt da jetzt nix besseres ein) nicht zwangsläufig eine Milliarde Menschen um sich herum braucht.
Einfach einen schönen Frühsommertag mit Freunden im Grünen verbringen. Das wär's doch, denkst du dir jetzt. Sich nicht stressen müssen, ob du dich jetzt eine Stunde für ein Festivalarmband anstellen möchtest, oder die 60 Minuten lieber dafür nützt, die Sonnenbrille zu holen, die du deppert im Zelt hast liegenlassen.
Einfach am See sitzen, plaudern, Musik hören, vielleicht grillen, schwimmen, gute Zeit haben. So wie ein Feuerwehrfest, nur halt mit netten Leuten, denkst du dir. So wie ein Familienausflug, nur halt mit Freunden und coolen Bands, denkst du dir glückselig, während dein Herz schneller zu schlagen beginnt, und die Geschäftsfrau und der Geschäftsmann in dir sich bereits die Hände reiben, weil du so eine gute Idee gehabt hast.
Frikulum
Das Seewiesenfest
Aber Halt: die Idee ist überhaupt nicht neu. Das Seewiesenfest gibt es nämlich schon. Letztes Jahr hat es mir dort so gut gefallen, dass ich gleich einen Erlebnisaufsatz geschrieben habe. Dieses Jahr findet das coolste Feuerwehrfest der Welt schon zum 17. Mal statt. Die Hidden Cameras als Hauptact zwischen See und Wiese sind der wahrscheinlich dickste Fisch, der je an der Enns an Land gegangen ist.
Th Hidden Cameras
The Hidden Cameras
Das komplette Line-Up:
- Hidden Cameras
- We Were Promised Jetpacks
- Trouble Over Tokyo
- Oh No Ono
- MAdoppelT
- Marilies Jagsch & Band
- Destroy, Munich
Late Night Act
- Ku Bo live feat. Joyce Muniz
Kleines Zelt
- Poetry Slam
- Der Nino aus Wien feat. Sir Tralala
- Fetzenbuam aka Edithschneider & Captain Caracho
The Hidden Cameras, ja genau, vielleicht kennst du die von einer FM4-Soundselection oder so. In the NA war ein Hit von denen, oder Ban Marriage. Sie sind aus Kanada, kommen aus der Queerpop-Ecke, sprich, die Texte von Joel Gibb setzen sich recht handfest mit schwul-bi-lesbischen Lebensrealitäten auseinander.
Das hat schon so manchem latent schwulenfeindlichen Bekannten, dem ich das erzählt hab, die Schamesröte ins Gesicht steigen lassen. Oft wissen die Leute ja gar nicht, worum es in dem Lied geht, das sie so gern mitsummen. Viel vom Hidden Cameras Konzept, das Joel Gibb als Gay Church Folk Music bezeichnet, hat mit Provokation zu tun. Das mit der Kirche hat natürlich auch seine Berechtigung. Weil die Hidden Cameras nämlich ihre Freude am Leben gern in hymnische Gesänge kleiden, die dem Pathos und der Weltumarmung eines Kirchenchorals schon recht nah kommen. Aber egal. Hör am besten selbst: das aktuelle Album heißt Origin:Orphan.
inkmusic
Trouble Over Tokyo
Dann ist beim Seewiesenfest auch noch Trouble Over Tokyo mit dabei. Hinter dem Pseudonym steht ein Typ namens Toph Taylor. Der hatte eine selten hirnrissige Idee: nämlich London zu verlassen, wo er in diversen Indie-Bands gespielt hat, und seiner Karriere einen neuen Schub zu verpassen. So weit, so gut, aber jetzt kommts: in einem Anfall geistiger Umnachtung hat sich der gute Toph Österreich als Homebase ausgesucht.
Was für eine Verschwendung, möchte man sagen. Aber da siehst du wieder, was Idealismus im Zusammenhang mit Musik heißt. Statt sich titelseitenfüllend im Mutterland des Pop als Gleichzeitigkeitswunder feiern zu lassen, das die existenzialistischen Momente von Thom Yorke mit den sexuellen Momenten von Justin Timberlake zu vereinen versteht (das hat der Guardian tatsächlich geschrieben!), lässt er in Ruhe und Abgeschiedenheit in Österreich seiner Kreativität freien Lauf. Uns kanns nur Recht sein.
Denn Trouble Over Tokyo ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmetalent. Für mich vor allem deswegen, weil er so schnarchig-käsefüßige Singer-/Songwriterkonzepte dermaßen leichtfüßig in ein funkig groovendes Pop-Ding überführt, dass dir Hören und Sehen vergeht. Äh, achso, na ja, blödes Bild, wenn ich da jetzt ein Live-Erlebnis empfehlen will: extrem cool halt. Und für alle Fans kann ich schon einmal die Gerüchtetrommel rühren: bis dahin wird es eine neue Single geben. Und im Sommer dann endlich den lang ersehnten Nachfolger von Pyramids.
moondog21 / problembär records
Dilletantisches auf allerhöchstem Niveau
Und von wegen Empfehlung. Das Seewiesenfest hat auch eine zweite Bühne! Naja, genau genommen ist es ein Bundesheerzelt, in dem es heiß ist und die Sicht schlecht. Ich vermute allerdings, das gehört zum Konzept. Dort spielt sich nämlich jedes Jahr Dilletantisches auf allerhöchstem Niveau ab. (Andere sagen "Kult" dazu.)
Die Neigungsgruppe hat dort mit ihren Pop-Gstanzeln etwa ein ganzes Kapitel ihrer Bandgeschichte geschrieben. Dieses Jahr fällt die große Ehre dem Nino aus Wien zu. Über dessen unfassbares Talent, ehrliche und ehrenhafte Poesie mit erdig-derbem Scheißdrauf zu verbinden, hab ich mich auf diesen Seiten schon ungefähr zig Mal euphorisch gezeigt. Und für den Nino und seine deutschspachigen Literatur-Miniaturen, die einmal so tun, als würden sie sich schalkhaft verkleiden, dann wieder so bitter und real dylanesk sind, ist das sagenumwobene Bundesheerzelt auf der Seewiese fürwahr der beste Ort der Welt.
In der Nacht
Darauf freu ich mich auch schon besonders. Letztes Jahr war ich nach dem Hauptact so dermaßen, ähem, paralysiert (?), dass den Nachbericht für die Morning Show dankenswerterweise die sympathische Crew vom Seebab-Stand übernommen hat. Das wird mir nicht noch einmal passieren, weil es nämlich nach den Hidden Cameras noch voll weitergehen wird.
Die aus Funk und Fernsehen (zum Beispiel aus der fulminanten FM4 Unlimited Show) bestens bekannte DJane-Musikerin-Sängerin-Clubveranstalterin Joyce Muniz kann von Electro im weitesten Sinne bis Funk im weitesten Sinne alles, und wird die Mainachtkälte entsprechend aus dem Festzelt aussperren.
Sonst gäbe es noch zig Sachen zu erwähnen. Zum Beispiel, dass die pfeifend bereits erwähnten Oh No Ono ihr Österreichdebüt feiern werden. Oder dass noch zig andere Bands auftauchen werden. Dass das Seewiesenfest eigentlich bereits mit den Auswärtsspielen losgegangen ist, deren Abschluss diesen Samstag das Garish-Konzert im Bertholdsaal in Weyer bildet. Dass der Poetry Slam super ist. Aber das alles lässt sich bequem auf der Seewiesenfest-Website nachlesen.