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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

16. 10. 2009 - 10:29

Album Der Woche: The Hidden Cameras

"Origin: Orphan"- das fünfte Album des transatlantischen Pop-Kollektivs. Und warum kleine Zeitfenster so richtig eng sein können.

Stahlbad Tête-à-Tête

Manchmal steht das Zeitfenster nur einen kleinen Spalt offen wenn wir neue Menschen kennenlernen. Schwubbs und schon wird es wieder zugeschlagen. Der erste Eindruck zählt, sagt man dann gerne. Ich meine dazu: yada yada. Und doch: wie viele verzerrte Charakterbilder tragen wir, eingesteckt in unsere Erinnerungstaschen, mit uns herum?

Nach 15 Minuten mit Joel Gibb am Telefon denke ich: what a bitch! Völlig unwillig zickt der The Hidden Cameras Frontmann durch das Gespräch. Ein paar Standardfloskeln und den mehrfach geäußerten Wunsch, endlich auflegen zu dürfen später und ich stimme zu: ja, eine auflegen!

Arts & Craft

Das ist schade, denn Joel Gibb könnte sicher einiges erzählen über die süffisante, kluge und vor allem zu Herzen gehende Musik seiner Hidden Cameras. Mit jenen verwandelt er seit seinem Umzug nach Berlin vor einigen Jahren vor allem die deutschsprachigen Länder in einen Käfig voller Narren.

Pop-Pediküre

Die Hidden Cameras, das waren jahrelang die rasierten Beine der Canadian Invasion. Himmelhoch jauchzender Kammerpop, Pathos gepaart mit Witz und Charme, schwules Polittheater auf der Bühne, das dem gesellschaftlich umkämpften Wort gay etwas von seiner ursprünglichen Leichtigkeit zurückgeben sollte.

Wir erinnern uns: Joel Gibb hatte den exzessiv performativen Pop der Hidden Cameras einmal als "Gay Church Folk Music" bezeichnet und jenen über die Einladung von Mehmet Scholl sogar ins bundesdeutsche Fußballstadion getragen, einem Ort, den wohl nur wenige den Beinamen "Queer Heaven" verleihen würden.

How far(ther) can you go?

Und dann Balladen wie Boys Of Melody (Album ‚The Smell Of Our Own‘, 2003), die meine Schoko Häagen-Dazs im Gefrierfach auch noch heute zum Schmelzen bringen. Gibb, der Pop-Caruso!

Th Hidden Cameras

Und jetzt Salzwasser. Vielleicht hat sich der Exilkanadier am Telefon ja deswegen so verweigert, weil das fünfte Album, bei dem die Hidden Cameras mittlerweile halten, das "neue dritte" ist – eine Wegscheide also, bei der Altes überprüft und Neues ausprobiert werden will.

Origin:Orphan

Substantielleres als "das es für einen Künstler oberste Priorität sei, sich selbst ständig herauszufordern und weiterzuentwickeln", fiel Gibb nicht ein zu "Origin:Orphan" – und das ist für einen Artist seines Formats wahrlich nicht viel.

Das Album selbst ist da schon auskunftsfreudiger. Es beginnt mit einer Art Ouvertüre, die bedeutungsschwanger "Ratify The New" genannt wurde.

Nach einem zweiminütigen Synth-Drone setzt Gibbs Stimme ein. Im Stile eines Hohepriesters verkündet er eine neue Zeit. Dann fällt eine Armee exotischer Klänge und pompöser Sounds über uns her, als sei Alexander der Große gerade in Persien einmarschiert.

Es sind diese Momente, in denen der Synchronschwimmer endlich als Turmspringer ernstgenommen werden will. Gibb scheint sich für "Origin:Orphan" etwas ganz Besonderes vorgenommen zu haben. Nur was? Je schwerer der Ton diverser Stücke, desto richtungsloser der Schritt. Ähnliche Bauchflecke erleiden auch Songs wie "Walk On" oder das Titelstück "Origin:Orphan".

The Hidden Cameras

Schlicht großartig hingegen Stomper wie "In The NA", "A Little Bit" oder das super spicy "Underage", das mit seinen poppigen Afrikabezügen sehr nahe an Paul Simons "Graceland" gebaut ist.

Diese Songs fegen allesamt mit dem The Hidden Cameras üblichen Esprit über die Distanz, was zeigt, dass man sich nicht notwendigerweise verändern muss, damit alles besser wird.

Ebenso zwingend die mitttels 60ies Beat vorangetriebene Sehnsuchtsschmonzette "Kingdome Come" und das ebenfalls klassisch ausgestattete "Colour Of A Man".

Schaumgebremst

Als Kollektiv, als Band, als musikalisch Entität klingen die Hidden Cameras auf "Origin:Orphan" insgesamt etwas disziplinierter und schaumgebremster als auf den ersten Alben.

Liegt es an der neuen Strenge, die sich der Chef verordnet hat, oder an der strikten Arbeitsteilung? Gibb schreibt und produziert mittlerweile ausschließlich in Berlin, aufgenommen wird dann mit der Band in mehreren Sessions in Toronto.

Doch auch auf Fragen dazu hat er bloß Knoten in die Leitung gebunden und sorgar ziemlich unwirsch reagiert, als ich mich nach dem Modus Operandi der Hidden Cameras erkundige.

Vielleicht aber, so meine Gedanken nach dem Interview, sitzt der Groll des Hidden Cameras Chefdirigenten ganz woanders. Möglicherweise hat Gibb einfach diese kleinen Zeitfenster satt, in denen er sich und sein Schaffen erklären soll, noch dazu, wo diese Zeitfenster mit Anwachsen des Medienaufgebots immer kleiner werden.

Vielleicht hasst er ja diese nichtssagenden "Phoner", wie sie in der Fachsprache genannt werden, diese Relikte einer aussterbenden Promotions-Kultur, genau so wie ich am anderen Ende der Leitung - weil jene nur noch Vorwand und Alibihandlung sind und nicht mehr Interview.

Ich weiß es nicht, er hat sich nicht dazu geäußert.

Da geht schon das nächste Zeitfensterchen auf: 15 Mintuen mit einer Wolfsmutter aus Australien. Cheesus!